Aktuell | 3. März 2022

«Angst lähmt Menschen»

Matthias Mölleney, Leiter Center for Human Resources Management & Leadership HWZ, äussert sich im Interview mit der «Handelszeitung» über den Ukraine-Krieg, Egomanen an der Spitze und Unterstützung in Krisensituationen.

Portrait Matthias Mölleney HWZ

Dieses Interview wurde von Journalistin Tina Fischer geführt und ist am 3. März 2022 als Erstpublikation in der Handelszeitung erschienen.

Matthias Mölleney war der letzte Personalchef der Swissair. Nach dem Grounding musste er mehr als 5000 Kündigungen schreiben – darunter auch seine eigene. Er kennt den Krisenmodus. In den dunkelsten Stunden erlebte er Beschimpfungen, Anfeindungen, selbst Morddrohungen. Aus einem Drohbrief rieselte weisses Pulver. Die Polizei wurde involviert.

Mölleney hat sich nach dem Grounding von der Aviatik weitestgehend verabschiedet. Es ist seitdem als Experte in Personalführung unterwegs. Im Gespräch mit der «Handelszeitung» äussert er sich zu Führungspersönlichkeiten wie Putin, spricht über Kontrolle, vor allem aber über Kontrollverlust.

Herr Mölleney, die Stimmung angesichts der Lage in der Ukraine ist bei den Unternehmen gedämpft und die Sorge vor Veränderungen gross. Was nehmen Sie von Unternehmensseite her wahr?

Über Veränderung wurde seit Jahren viel geschrieben – Firmen und Menschen müssten veränderungsfähiger werden. Aber in dieser Situation ist nicht die Veränderungsfähigkeit im Zentrum, sondern die Verunsicherung. Es stellt sich die Frage, was jetzt passiert, was noch kommt. Das verunsichert und ist gefährlich – weil es eine potenziell sehr problematische Veränderung ist, mit der wir nicht umgehen, sie nicht managen können.

Dabei hätten doch Unternehmen während Corona lernen können, mit Unsicherheit umzugehen?

Das ist nicht vergleichbar. Während Corona war die Wahrscheinlichkeit stets hoch, dass es irgendwann tendenziell besser wird. Aber hier weiss man, dass der Krieg in der Ukraine schlimme Folgen haben könnte. Also haben die Leute Angst. Und Angst lähmt Menschen und macht sie entscheidungs-, aber vor allem veränderungsunfähig. Man versucht noch mehr, am Alten festzuhalten, da man nicht weiss, was man stattdessen erwarten muss.

Wie können Unternehmen also mit dieser Unsicherheit umgehen – kann man das lernen?

Nein, lernen kann man das nicht. Verunsicherung bekämpft man, indem man versucht, transparent zu sein: Klarheit zu bringen, Vorbild zu sein und nicht um den heissen Brei herumzureden. Als Beispiel der ukrainische Präsident Selenskyj: Er äussert keine vagen Aussagen wie «Es kommt alles gut», sondern zeigt, was er tut und denkt. Er ist transparent und greifbar. Das hilft den Leuten und gibt ihnen Orientierung. Genau solche Personen benötigt es in der Führung, am besten sogar eine Mannschaft oder Teams, sodass die Führung möglichst breit abgestützt ist.

Selenskyj als Beispiel für einen guten Chef, Putin als Beispiel für einen schlechten?

Absolut. Putin ist ein gefährlicher Egomane an der Spitze der Hierarchie. Doch die Zeiten, in denen nur eine einzelne Person sozusagen unkontrolliert an der Spitze steht und alle Macht auf sich konzentriert, müssten jetzt vorbei sein.

Man darf jetzt auf keinen Fall systematisch Hexenjagd auf Russinnen und Russen machen. Denn ein Russe ist nicht zwingend ein Putin-Versteher.
Matthias Mölleney

Wie sollen Unternehmen mit Putin-Verstehern umgehen?

Es gibt ein paar wenige, die den Krieg leugnen. Aber man darf jetzt auf keinen Fall systematisch Hexenjagd auf Russinnen und Russen machen. Denn ein Russe ist nicht zwingend ein Putin-Versteher. Wenn aber jemand als Putin-Versteher auftritt im Unternehmen, dann ist ein Gespräch unter vier Augen notwendig. Doch eigentlich steht vielmehr die Frage im Zentrum, wie man als Unternehmen agieren und mit der unsicheren Situation umgehen soll.

Was also möchten Sie den Unternehmen mitgeben, gerade auch wenn sie vom Krieg direkt betroffene Mitarbeitenden haben, die beispielsweise ihren ukrainischen Verwandten helfen möchten und deshalb der Arbeit nicht zu 100 Prozent nachkommen können?

Unternehmen sollten ihren Mitarbeitenden Freiraum lassen und ihnen Vertrauen schenken. Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin zum Helfen Richtung Ukraine fährt, dann könnte sich das Team der betroffenen Person selber organisieren und sich bereit erklären, so lange deren Arbeit zu übernehmen. Solidarität steht an erster Stelle. Führungskräfte sollten diese Selbstorganisation unterstützen und ihren Angestellten bereits im Voraus das Vertrauen entgegenbringen. Es braucht keine Corporate-Programme, sondern die Zusage von oberster Stelle, selbstständig agieren zu können. «Ihr wisst am besten, wie es im Team läuft. Wir vertrauen euch und unterstützen eure Entscheidungen» – so lautet die Devise, die ich in den letzten Tagen oft gehört habe und die jetzt am wirksamsten hilft.

Über Matthias Mölleney

Matthias Mölleney wechselte nach 20 Jahren in den Diensten der Lufthansa 1998 in die Schweiz. Dort war er Mitglied der Konzernleitung und Personalchef von Swissair, Centerpulse und Unaxis. Er ist Gastreferent an der Universität St. Gallen und weiteren nationalen und internationalen Hochschulen sowie mehrerer Veröffentlichungen zum Personalmanagement. 2005 gründete er die Beratungsfirma peopleXpert gmbh in Uster, die sich einerseits mit der Entwicklung und Einführung von modernen Personalmanagement-Konzepten beschäftigt, andererseits Unternehmen und Führungskräfte in Veränderungssituationen berät und begleitet. Seit Anfang 2010 leitet er das Center for Human Resources Management & Leadership an der HWZ.