Aktuell | 29. Mai 2020

Die Learnings aus dem Homeoffice

Vom gewohnten Arbeitsplatz ins private Zuhause: Homeoffice wurde während des Lockdowns für viele Mitarbeitende zur Pflicht. Doch wie und wo arbeiten wir nach dem Lockdown? Sven Ruoss, Studiengangsleiter CAS Digital Leadership HWZ, im Interview über analoge Manager, die Verschmelzung von Arbeit und Freizeit und die Zukunftspläne der Tech-Giganten.

Portrait Sven Ruoss Hwz

Während des Lockdowns mussten viele Unternehmen ins Homeoffice wechseln. Was hat das bei Schweizer Unternehmen im Mindset ausgelöst?

Während des Lockdowns musste Homeoffice einfach funktionieren. Und es hat. Zur Überraschung vielen analoger Manager. Dank Covid-19 wissen wir nun: Arbeitseffizienz ist grundsätzlich unabhängig vom Ort der Leistungserbringung. Es gibt Tätigkeiten, welche deutlich besser im Team vor Ort erbracht werden können. Für andere Tätigkeiten ist ein ortsunabhängiges Arbeit effizienter. Es bleibt zu hoffen, dass Unternehmen auch zukünftig diesen Effizienzgewinn realisieren werden. 

Und was hat es bei den Mitarbeitenden ausgelöst?

Mitarbeitende erkennen, dass die Selbständigkeit im Sinne von Eigenverantwortung im Homeoffice an Bedeutung gewinnt. Vertrauen besiegt Hierarchie. Die Anforderungen an Führung verändert sich im digitalen Zeitalter mit Homeoffice fundamental. Wer über Ergebnisse führt, braucht keine Kontrollinstrumente im Homeoffice. Die Ergebnisse müssen einfach in der geforderten Qualität zum geforderten Termin vorhanden sein. Viele Mitarbeitende haben sich sehr schnell an die neue Situation gewöhnt. Die noch stärkere Verschmelzung von Arbeit und Freizeit im Homeoffice bereitet gewissen Mitarbeitenden noch Probleme. Das sieht man insbesondere darin, dass viele Mitarbeitende deutlich mehr arbeiten als im Büro.

Was ist deine Einschätzung: Hat sich Homeoffice jetzt etabliert, auch bei Unternehmen, die vorher ein Homeoffice hatten, oder wird da wieder erwartet, dass alle zurück am Arbeitsplatz erscheinen?

Homeoffice gewinnt sicherlich an Bedeutung. In welcher Grössenordnung wird uns die Zukunft verraten. Für viele Unternehmen wird ein Mix zwischen ortsabhängiger und ortsunabhängigem Arbeiten die effizienteste Variante sein. Die Mischung machts. Das wäre eine Win-Win-Lösung. Unternehmen gewinnen Effizienz. Mitarbeiter gewinnen Selbständigkeit und Flexibilität. 

War die Zeit lange genug für einen wirklichen Wandel im Mindset?

Das kommt darauf an, ob man ein verkrustetes oder ein agiles Mindset hat. Der analoge Manager wird mittelfristig sowieso aussterben oder sich anpassen müssen. Der digitale Co-Creator und Leader gewinnt an Bedeutung. Wir leben in der VUCA-Welt. In dieser neuen Realität muss auch entsprechend geführt werden. Der eine oder andere Schweizer Manager muss in den nächsten Monaten bezüglich «Leadership im digitalen Zeitalter» noch eine massive Lernkurve an den Tag legen. Ansonsten sind seine Tage gezählt. 

Tech-Giganten bleiben bis Ende Jahr im Homeoffice. Glaubst du, das ist erst ein erster Schritt und wird noch verlängert? Vielleicht bis immer?

Eine pauschale Antwort taugt da vermutlich wenig. Es soll dort gearbeitet werden, wo kollaborative, bedürfnisgerechte und effiziente Zusammenarbeit möglich sein wird. 

Tech-Giganten wie Facebook, Google und Twitter werden meines Erachtens sehr ökonomisch geführt. Viele Top-Talente arbeiten bei diesen Tech-Giganten. Motivierte Talente hassen ineffizientes Arbeiten und lieben Selbständigkeit und Flexibilität. Das spricht für Homeoffice. Immer mehr Unternehmen können es sich bezüglich Talent Acquisition gar nicht mehr leisten, auf Homeoffice zu verzichten. Ich persönlich würde beispielsweise nie in einem Unternehmen arbeiten, bei welchem ich nicht auch die Möglichkeit habe, im Homeoffice zu arbeiten. 

Bei Twitter dürfen Mitarbeitende für immer im Homeoffice bleiben. Für welche Unternehmen siehst du hier ebenfalls Potential?

Grundsätzlich haben viele Unternehmen das Potential für ortsunabhängiges Arbeiten. Insbesondere Wissensarbeiter eignen sich dafür. Allerdings vermute ich, dass nicht viele Mitarbeitende komplett «remote» arbeiten möchten. Ich bin gespannt, wie viele Twitter-Mitarbeitende tatsächlich dann über mehrere Jahre nie ein Twitter-Gebäude betreten werden. Der Mix macht es aus. 

Du hast zu diesem Thema einen Artikel auf LinkedIn gepostet und viele Kommentare und Reaktionen erhalten. Weshalb polarisiert dieses Thema so?

Es handelt sich dabei um einen Clash des «alten Welt Paradigma» versus des «neuen Welt Paradigma». Aktuell sind wir in der Transformationsphase. Es kommt zu einer fundamentalen Machtverschiebung. Ab 2024 werden die «Digital Natives» die Mehrheit der aktiven Bevölkerung in der Schweiz ausmachen. Die «Digital Immigrants» und die «Digital Converts» klammern sich häufig an ihre Position im Unternehmen. Die «Digital Natives» erkämpfen sich die Macht. Beim Thema «Homeoffice» geht es genau um diesen Kampf der Vorherrschaft der alten versus der neuen Welt. Darum polarisiert es.