Aktuell | 16. November 2021

5 Erkenntnisse aus zwei Jahren TikTok

Schweiz Tourismus hat sich vor zwei Jahren dazu entschieden, als eine der ersten Schweizer Organisationen, TikTok zu nutzen. Dafür arbeiten sie mit unterschiedlichen Creators aus allen Landesteilen zusammen – und dies sehr erfolgreich. Welche Erkenntnisse nimmt Schweiz Tourismus aus dieser spannenden Reise mit und wie steht es aktuell um die chinesische Social-Media-Plattform? Natalie Schönbächler, Dozentin im CAS Social Media & Content Marketing HWZ und Social Media Manager bei Schweiz Tourismus, gibt in «Ask the Expert» Auskunft.

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Die HWZ lebt zu einem grossen Teil vom Wissen ihrer Expertinnen und Experten aus der Praxis. In unserer Rubrik «Ask the Expert» stellen wir unseren HWZ-Expertinnen und -Experten Fragen aus Themenbereichen, die an der HWZ im Unterricht behandelt werden. Dabei handelt es sich um Fragen, die immer wieder auftauchen und aktuelle Fachbegriffe, die Erklärungsbedarf haben. In einem ausführlichen Blogbeitrag gehen Studiengangsleitende oder Dozierende den Fragen auf den Grund.

TikTok ist auf der Überholspur: In diesem Jahr überholt die chinesische Social-Media-Plattform TikTok erstmals Facebook bei der Erreichung der jungen Zielgruppe. Das ist eine der Kernaussagen der neuesten Studie der Interessengemeinschaft elektronische Medien IGEM. Konkret nutzen aktuell in der Schweiz 310’000 User zwischen 15 und 24 Jahren TikTok, wohingegen sich auf Facebook nur noch 260’000 Nutzer im gleichen Alter tummeln. Gemäss eigenen Angaben von TikTok-DACH im September 2021 weiss man, dass die relevanteste TikTok-Nutzergruppe älter wird. So finden sich die grössten Nutzerzahlen bereits heute in der Alterskategorie 18 bis 24 Jahre – sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland und Österreich.

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Quelle: TikTok 2021, Altersstruktur der TikTok-User pro Markt

Die Plattform TikTok ist auch in vielen weiteren Bereichen auf der Überholspur. So knackte TikTok im September 2021 die 1-Milliarden MAU (Monthly Active Users) Grenze. Dies nach nur vier Jahren. Facebook brauchte dafür rund 8 Jahre.

TikTok & Generation Z

Immer öfters wird TikTok auch als «MTV der Gen Z» betitelt. Die Plattform kopiert das Modell von MTV, bei dem andere das Programm gestalten. TikTok belohnt eine schnell geschnittene visuelle Energie wie damals MTV und wird wie MTV in den 80er Jahren oft als Modeerscheinung abgetan, die schlecht für die musikalische Kreativität sei. Gleichzeitig zeigt sich, dass es neue Künstler:innen heute schwer haben, wenn sie nicht auf TikTok setzen. Es überrascht also nicht, dass TikTok mit den 2021 MTV Music Video Awards kooperiert, um die kulturelle Präsenz weiter zu festigen. Nicht zuletzt wurde wohl vielen durch die EURO 2020, als TikTok als offizieller Sponsor auftrat und das Logo sämtliche europäischen Fussballstadien zierte, klar: Die Plattform ist im Mainstream angekommen.

TikTok im Kommunikationsmix

Die zentralen Fragen für Marketers sind nun: Wann macht die Integration von TikTok in den Kommunikationsmix Sinn und was sind Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung?

Wir bei Schweiz Tourismus haben uns diese Fragen ebenfalls gestellt. Seit November 2019 beschäftigen wir uns intensiv mit der Plattform und gehören mit der Veröffentlichung unseres ersten Videos im Januar 2020, der Rekrutierung von verschiedenen TikTokern wie auch mit der ersten aus der Schweiz gebuchten «Top View Ad» im Juni 2020 zu einem der ersten Unternehmen in der Schweiz, welches sich für den Einsatz von TikTok entschied.

Im Rahmen der «Test and Learn»-Strategie investiert Schweiz Tourismus jährlich rund 10% der Social Media Ressourcen ins Testen von neuen Plattformen. Mit dem Einsatz von TikTok experimentieren und lernen wir, wie Storytelling für ein junges, abenteuerlustiges und reiseaffines Zielpublikum funktioniert.

Unser primäres Ziel: @switzerlandtourism soll mit Persönlichkeit, Diversität und Energie-spendenden Natureindrücken eine neue Zielgruppe ansprechen und diese kontinuierlich aufbauen. Die junge Zielgruppe sind die Gäste von Morgen!

Das sekundäres Ziel ist für Schweiz Tourismus, dass die Videos Engagement-Rates generieren, welche die gängigen Social Media Plattformen schlagen.

Die fünf wichtigsten Erkenntnisse

Nach rund zwei Jahren, in denen ich dieses Projekt leite und unsere TikToker:innen eng begleite, nehme ich fünf zentrale Punkte mit:

1. Human Factor

Ohne «Gesicht» geht es nicht. TikTok lebt von Protagonisten und von persönlichen, authentischen Inhalten. Durch unseren Entscheid, unterschiedliche Personen auf TikTok zu «featuren», können wir Diversität und Abwechslung sicherstellen. Jede:r unserer TikToker:innen darf die Storyline authentisch und in der eigenen Sprache aufbauen. Dank des hyper-lokalen Algorithmus, wird die Sprache bei der Auslieferung berücksichtigt. Wir haben gelernt, dass es weniger um Perfektion geht, sondern viel mehr um die Geschichte.

2. Werbefranken richtig einsetzen

2020 investierte Schweiz Tourismus nur punktuell Werbebudget in die TikTok-Videos. Die Reichweiten und Engagements, welche wir uns von Facebook und Instagram nur wünschen konnten, wurden fast ausschliesslich organisch erreicht. Seit 2021 wird der Wettbewerb grösser und die Reichweiten sind härter umkämpft. Deshalb verfolgen wir aktuell eine gezielte, aber gleichzeitig wenig aggressive Boosting-Strategie. Videos, die organisch funktionieren, stärken wir mit bezahlten In-Feed-Boosts mit einem überschaubarem Budget. Dies funktioniert mit kompetitiven CPMs und effizientem Einsatz. Eine Paid-First Strategie würde ich für TikTok auf keinen Fall empfehlen. Dadurch kann die Glaubwürdigkeit des Brands (für die Community) und die damit verbundene organische Reichweite leiden.

3. Kein Werbecharakter

Wenn wir schon beim Thema «Paid» sind. Der YouTuber und TikTok-Experte Joseph Todd sagt klar: «Keine Logos und Labels in TikTok-Videos». Er führte diverse Tests durch und ist überzeugt, Videos mit zu starkem Werbecharakter funktionieren nicht. In der Produktion von Inhalten bedingt diese Ausgangslage bei Unternehmen ein Umdenken. Die Geschichte muss bei TikTok-Inhalten von der ersten Sekunde an im Zentrum stehen und Engagement triggern. Der Brand steht dabei strikt im Hintergrund. Wer zur Erstellung möglichst «nativer» Videos ein paar Tipps haben möchte: Involviert eure Community in den Videos und sprecht sie direkt an. Denn der Algorithmus belohnt Shares und Comments, Watch Time und neuerdings auch Profile Views nach Sichtung des Videos. Pro Tipp: Baut Loops ein, damit dasselbe Video mehrmals geschaut werden kann. Joseph Todd erwähnt auch, dass Videos, die basierend auf User-Kommentaren erstellt werden, Best Practice sind. Wir haben dies erfolgreich mit Food-Serien getestet.

4. Grenzen abstecken

«Gefährliche Mutproben, versteckte Werbung und fehlende Transparenz bei der Verarbeitung von Daten: Gleich mehrfach gab es zuletzt negative Schlagzeilen zu Tiktok.» – so oder so ähnlich lauteten Schlagzeilen aus den Medien. Diese Vorwürfe und Herausforderungen dürfen nicht unterschätzt werden. Es hilft, in der eigenen TikTok-Strategie festzuhalten, wen man ansprechen möchte und mit welchen Creators man zusammenarbeitet (und eben auch nicht). Weitere Wichtige Tools sind, eine Community-Management-Strategie für das Monitoring der Inhalte sowie Datenschutz-Abklärungen mit Spezialist:innen. TikTok publiziert folgende Ressourcen, die Auskunft zu diesen Themen geben:

Fakt ist: TikTok muss, wie alle anderen Social Media Plattform, der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und sich zukünftig noch stärker diesen Themen widmen. Aus Unternehmenssicht interessant ist, wie der folgende Fall ausgeht: Die irische Datenschutzbehörde DPC ermittelt in zwei Fällen gegen den chinesischen Kurzvideodienst. Zum einen geht es um die Verarbeitung von persönlichen Daten von Kindern und Jugendlichen und zum anderen um die Weitergabe von Kundeninformationen nach China.

5. Transfer

Erkenntnisse, welches Storytelling und welche Bildwelten auf TikTok funktionieren und wie die Zielgruppe darauf reagiert, können 1:1 für die «Konkurrenz» Instagram Reels und YouTube Shorts übertragen werden. Keine Best Practice Strategie ist, dass dieselben Videos auf allen drei Plattformen verwendet werden sollen. Vielmehr geht es darum, fit zu werden in der Kommunikation mit der vieldiskutierten «Gen Z», unabhängig von der Social Media Plattform. Die Erwartungen sind hoch; «Produkte und Dienstleistungen sollen schnell, intuitiv, unterhaltsam und nachhaltig zugleich sein.» fasst es Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland, zusammen. Gleiches gilt für den Anspruch an die Kommunikation.

The Expert: Natalie Schönbächler

Natalie Schönbächler doziert im CAS Social Media & Content Marketing HWZ und im Bachelor Betriebsökonomie im Major Digital Business. Zudem ist sie verantwortlich für Strategie und Umsetzung von interdisziplinären Marketing-Kampagnen mit Fokus auf Mediaplanung bei Schweiz Tourismus.