Aktuell | 27. Juli 2021

Purpose – wie, wozu, wohin?

Für die einen steht die kollektive Sinnorientierung mehr denn je im Zentrum des unternehmerischen Wirkens. Andere wiederum empfinden das Ganze eher als modische Zeiterscheinung und sprechen von einem Purpose-Hype. Stefan Eggenberger, Leiter Center for Communications HWZ, geht dem «Warum» auf den Grund.

Hwz Portraits Stefaneggenberger

Dieser Artikel erschien als Erstpublikation in der Printausgabe von Persönlich. Es handelt sich daher um eine verkürzte Zweitpublikation. Stefan Eggenberger schrieb diesen Gastbeitrag im Zusammenhang mit dem «Guerilla-Workshop» zum Thema Purpose, der vom HarbourClub organisiert wurde.

Im Rahmen des Guerilla-Workshops vom Mai 2021 stellte Christian Pfister, Head of Group Communications und Strategic Marketing der Swiss Life, den «Purpose Process developed by Swiss Life» ins Zentrum. Dieser bringt den im Zentrum des unternehmerischen Tuns und Lassens stehenden Unternehmenszweck wie folgt auf den Punkt: «Wir unterstützen Menschen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.» Christian Pfister erläuterte die hinter diesem einen Satz stehenden vielseitigen Absichten, aber auch die anspruchsvolle Vorgehensweise: auf allen Stufen gemeinsam orchestrierte Anstrengungen, die unzähligen Absprachen, den intellektuell, emotional und multikulturell herausfordernden Fokussierungsansatz.

Impuls «Golden Circle»

Christian Pfister zeigte auf, welch enormen Auftrieb und welche weltweite Popularität das Thema um den Purpose und um das «why» erhielt, nachdem vor rund zwölf Jahren der britisch-amerikanische Autor und Unternehmensberater Simon Sinek den TEDx-Talk «Wie grossartige Führungspersönlichkeiten zur Handlung inspirieren» und seinen Welt-Bestseller «Start with why!» lancierte. Mit seinem Modell «Golden Circle» postuliert Sinek einen Dreisatz, der nicht beim Was, sondern beim Warum startet. Seine Kernaussage – «People don’t buy what you do. They buy why you do it» – bringt diese Denkhaltung plakativ zum Ausdruck. Laut Pfister hat diese weltweite Themen-Aufmerksamkeit auch bei Swiss Life die interne Debatte begünstigt.

Herausforderungen

Die anschliessende Diskussion zeigte auf, dass sich CCOs – je nach Branche und Leistungsauftrag der Organisation – intensiv mit den vielseitigen Erwartungen an eine sinnorientierte und sinnstiftende Unternehmensführung auseinandersetzen und in entsprechende Aktivitäten involviert sind. Dabei sind folgende Herausforderungen besonders aufgefallen:

1. Kein Purpose ohne Purpose

Die mögliche kulturelle Veränderung startet nicht bei der Definition eines Unternehmenszweckes, sondern bei der initialisierenden Grundsatzdiskussion über die Frage «Wozu und wofür brauchen wir einen Purpose?» Es geht also nicht darum, einfach modisch zu sein, sondern darum, als Organisation zeitgemäss Akzente zu setzen und unternehmerisch verantwortet zu agieren. Dies bedingt zuerst die gemeinsame Debatte über den Sinn eines Sinnfindungsprozesses.

2. Keine Reise mit zu vielen Kompassen

Hier ist die Frage, wie der Purpose mit den bereits bestehenden Orientierungsgrössen wie etwa Visions, Missions, Mission Statements, Brand Promises, Shared Values, Basic Beliefs, Value Propositions und Manifestos kombiniert, priorisiert und synchronisiert werden soll. Dies erfordert eine nachvollziehbare Architektur, eine Ableitung und eine Verknüpfung der letztlich genutzten Tools. Es gilt, unnötige Redundanzen zu vermeiden und die überdachende Haltung der Organisation (be)greifbar zu machen.

3. Kein Purpose-Projekt ohne CEO-Commitment

Ohne Unterstützung auf Geschäftsleitungsstufe, insbesondere der oder des CEO, wird einem Purpose-Projekt schnell der Schnauf ausgehen. Und dieser sollte nicht nur für einen 100-Meter-Sprint, sondern eher für einen Langstreckenlauf genügen. Dieser Punkt ist auch eng mit der Herausforderung 1 verbunden, denn wenn wir keinen ausreichenden Grund für ein Purpose-Projekt haben, wie wollen wir dann CEOs von dessen Notwendigkeit überzeugen?

4. Keine Identifikation ohne Miteinbezug

Je internationaler ausgerichtet die Organisation, desto wichtiger der angemessene Miteinbezug der Länderorganisationen. Kommandierte Purposes entfalten nicht die gleiche Wirkung wie gemeinsam entwickelte, ganzheitliche Ausrichtungen auf sinnorientierte und sinnstiftende unternehmerische Engagements. Kommandierte Purposes erzeugen allenfalls Gehorsam, entwickelte Purposes entfalten eine Sogwirkung, ermöglichen Identifikation und prägen das Corporate Behaviour.

Hwz Purpose Never Walk Alone

Quelle: Center for Communications HWZ in Anlehnung an den Triple-Bottom-Line-Ansatz

Zukünftige CCOs für das «why» sensibilisieren

In der Aus- und Weiterbildung im Bereich Unternehmenskommunikation sind die im HarbourClub diskutierten Purpose-Aspekte heute fester Bestandteil. Im Zentrum stehen dabei die Bereitschaft und die Fähigkeit zur konsequenten und kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem «why». So wird zum Beispiel im Center for Communications der HWZ das folgende 8-P-Modell (Purposes never walk alone …) auf dispositiver, operativer und strategischer Kommunikationsebene verwendet: Mit dem 8-P-Modell lassen sich ganzheitliche Betrachtungen entwickeln, Wechselbeziehungen erkennen und bewerten, Zusammenhänge ableiten und einschätzen sowie gewünschte Wirkungen und Wertschöpfungen erörtern. Es hat sich als pragmatisches Tool für die Erarbeitung gemeinsamer Erkenntnisfortschritte, für die Formulierung von Forschungsfragen sowie für die Bildung von Hypothesen und Thesen bewährt, wie folgende Beispiele aufzeigen:

These 1: Purpose without probity is worthless

Eine Organisation ist nur dann redlich, wenn ihr Unternehmenszweck rechtschaffen ist. Hierbei spielen Postulate der Ethik und Moral, der Corporate Governance und der Corporate Social Responsibility die entscheidendeRolle.

These 2: People are the point of proof

Soll ein definierter Unternehmenszweck nachhaltige Wirkung entfalten, braucht es Menschen, die ihn mit ihrem Verhalten erlebbar machen. Also geht es um die Praxis der internen Kommunikation, der konkreten Führungs- und Kooperationskultur, aber auch um den Umgang mit Schlüssel-Stakeholdern wie Stimmbürgerinnen, Kunden, Konsumentinnen und weiteren mehr.

These 3: Performance ensures acceptance

Kontinuierliche, qualitativ hochwertige Leistungen und Ergebnisse stützen eine weiterführende Ausrichtung auf einen Unternehmenszweck. Denn ohne redliche Wirkung, ohne erkennbare Erfolge wird es schwierig, Menschen für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema Purpose zu begeistern.

Schlussbetrachtung

Wer das Thema Purpose ignoriert, vernachlässigt das bedeutende Segment der selbstständig und eigenverantwortlich denkenden und handelnden Menschen. Wer das Thema Purpose als blosses Kulissenthema attraktiv inszeniert, muss damit rechnen, dass mündige Stakeholder das Spiel durchschauen. Wer hingegen die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit seinem Purpose als eine unternehmerische Tugend für eine gemeinsame, wertschöpfende Aufgabenerfüllung betrachtet, schafft ein normatives Fundament für ein gemeinsames Engagement und arbeitet an seiner zukünftigen Berechenbarkeit. Trust rocks!