Aktuell | 2. Februar 2021

Wealth Management der Zukunft: Hybride Kundenberatung

Die digitale Revolution umtreibt den Finanzsektor seit geraumer Zeit. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass dieser Trend die Branche weiterhin prägen wird. Im Interview mit Finews erläutert Martin Meyer, weshalb sich Vertrauen nicht digitalisieren lässt, wieso in seinem Studiengang Antizipation ein wichtiges Element ist und weshalb die Kundenberaterinnen und -berater einen kulturellen Wandel vollziehen müssen.

Martin Meyer 2 Web

Dieses Interview ist als Erstpublikation auf finews.ch erschienen, geführt wurde es von Peter Hody. Dies ist eine gekürzte Fassung. 

Herr Meyer, führt die Digitalisierung im Wealth Management zu einem Einheitsbrei der Angebote, wenn alle Banken sich auf Algorithmen verlassen, um Kundenbedürfnisse zu treffen?

Nein, das sehe ich nicht so. Im Zuge der Digitalisierung im Wealth Management setzt sich bei den Schweizer Privatbanken das hybride Modell durch: Dienste werden digitalisiert und der Kundenberater bleibt das wesentliche Element in der Kundenbeziehung. Das macht gerade in Bezug auf die Differenzierung von Dienstleistungen sehr viel Sinn.

Erklären Sie das.

Vertrauen, also die menschliche Resonanz, spielt im Private Banking eine enorm hohe Rolle.

Vertrauen lässt sich nicht digitalisieren

Das ist der Hauptgrund für das hybride Modell. Vollkommen digitale Modelle wie Robo-Advisor haben sich hingegen im Wealth Management mit vermögenden Kunden nicht durchgesetzt. Der Grund: Robo-Advisor geniessen zu wenig Vertrauen. Revolut ist ein gutes Beispiel: Im Retail-Segment und Zahlungsverkehr ist dieser Anbieter sehr erfolgreich. Aber Revolut sehr viel Geld anvertrauen würde derzeit wohl kaum jemand.

Wie wirkt sich die Komponente Vertrauen denn auf eine Differenzierung von Wettbewerbern im Wealth Management aus?

Digitalisierung ermöglicht Individualisierung.

Durch Datenanalyse lernen Beraterinnen und Berater ihre Kunden viel besser kennen und können ihnen gezielte, individuellere Angebote und Dienstleistungen machen, damit die gesteckten Ziele erreicht werden. Ein Beispiel: ESG-Anlagen sind derzeit sehr gefragt, doch gibt es eine Vielzahl von ESG-Ratings. Wenn ich meine Kundinnen und Kunden und ihre Nachhaltigkeitsziele genau kenne, kann ich sehr präzise und digital ein ESG-Portfolio zusammenstellen, das den spezifischen Wünschen entspricht.

Damit werden die Anforderungen an Kundenberater höher.

Diese Aussage würde ich nicht verallgemeinern. Die Anforderungen für Kundenberaterinnen und -berater steigen, sofern diese von den alten komplexen Systemen, die in den Privatbanken teils immer noch dominieren, nicht auf digitale Systeme umstellen können oder wollen.

Die Schwierigkeiten und Anforderungen sind kultureller Natur: Kundenberaterinnen und -berater müssen zur Einsicht gelangen, dass sie den digitalen Wandel vollziehen und mit neuen Systemen arbeiten müssen.

Allein schon, weil die Regulatorien und Gesetze im Wealth Management immer anspruchsvoller werden. Aber die neuen Systeme sind sicherlich nicht komplexer oder anforderungsreicher als die alten. Maschinen bieten hingegen neue Möglichkeiten und Chancen.

Haben Sie dafür Beispiele?

Nehmen wir die Medizin: In China erhalten heute Patientinnen und Patienten oftmals zunächst eine Diagnose eines Arztes. Ping An, die dominierende Krankenkasse prüft mit einer KI anschliessend die Diagnose nach. Das Spannende: Wenn es um die Diagnose geht, ist die Maschine heute bereits besser – und die Patienten vertrauen der Maschine auch mehr. Auch dies ist ein hybrides Modell. Ich gehe davon aus, dass sich die Kundenbetreuung im Wealth Management in die gleiche hybride Richtung entwickelt.

Das Swiss Banking verlässt sich im internationalen Konkurrenzkampf sehr stark auf Vertrauen: Vertrauen in die Bank, in die Tradition, die politische Stabilität und den Franken. Genügt das?

Nüchtern betrachtet nehmen die Schweiz und ihre Banken keinen Spitzenplatz als Innovatoren oder Anwender von neuen Technologien ein. Wir liegen im internationalen Mittelfeld. Aber es ist eine Tatsache: 40 Prozent des Werteversprechens der Schweizer Wealth Management-Industrie gehen auf die «Swissness» zurück – das ist viel. Die grosse Frage lautet: Wird dieser Wert abnehmen oder sogar noch steigen? Heute ist es immer noch so, dass im Ausland die Schweiz sehr stark mit «Vertrauen» assoziiert wird.

Die Gefahr ist, und das zeigt die zögerlich verlaufende Transformation im Swiss Banking, dass dieser Vertrauensvorteil verspielt wird.

Diese Gefahr besteht natürlich. Insbesondere auch, weil die Ertragslage im Swiss Banking nach wie vor recht komfortabel ist – der Leidensdruck fehlt noch weitgehend.

Die Schweiz ist sehr gut im Reagieren, im Antizipieren von zukünftigen Entwicklungen wie der Digitalisierung und im proaktiven Agieren, ist sie weniger gut.

Dieses Antizipieren ist Teil Ihres Lehrganges Digital Wealth Management an der HWZ. Wie lernt man zu antizipieren?

Im Lehrgang wenden wir zwei Methoden an. Zum einen ziehen wir unzählige nationale und internationale Research-Berichte und Studien, beispielsweise vom Gottlieb Duttweiler-Institut, heran. Viele dieser Experten laden wir in den Lehrgang ein und erarbeiten gemeinsam mit ihnen ein aktuelles, globales Lagebild und diskutieren mögliche Entwicklungen für die Wealth Management-Industrie. Eine weitere Methode ist, die Meinungsführer und Innovationsentscheider weltweit in Bezug auf ihre Zukunftsperspektive zu interviewen und daraus Synthesen zu ziehen. Letztlich analysieren wir jährlich den Faktor Vertrauen der Wealth Management-Kunden: Wo liegen ihre Grenzen und wie bewegen sich diese? Daraus lassen sich Schlüsse in Bezug auf den aktuell möglichen Digitalisierungsgrad ziehen. Konkretes Beispiel: Vor Corona waren Videokonferenzen für Kundenmeetings ein No-Go. Heute ziehen Kundinnen und Kunden Videokonferenzen vielfach vor – sie ersparen ihnen beispielsweise eine Reise nach Zürich.

Welche Schweizer Bank hat das eingangs beschriebene hybride Modell im Wealth Management wirklich umgesetzt?

Die ehrliche Antwort: Bislang eigentlich keine so richtig. Die technologischen Lösungen wären im Markt bereits vorhanden, aber sie werden bislang noch nicht konsequent und flächendeckend eingesetzt. Wobei ich anfügen muss: Das Thema geniesst in praktisch allen Banken eine sehr hohe Priorität. Ich beobachte auch, dass die Banken beim Thema Digitalisierung immer mehr die Optik des Kunden einnehmen. Das ist grundsätzlich richtig und sehr zu begrüssen. Doch genauso wichtig ist, die Skalierbarkeit der operativen Tätigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Es nützt einer Bank bezüglich Skalierung nichts, ein schickes Frontend für die Kunden zu entwickeln, während im Middle- und im Back Office noch die alten Maschinen und Prozesse laufen.