Aktuell | 16. Juni 2025
Neurotechnologien wie Gehirn-Computer-Schnittstellen verändern, wie wir denken, fühlen und handeln. Doch mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine tauchen auch ethische Fragen auf. Wie viel Technik verträgt die Persönlichkeit?
Dieser Fachbeitrag wurde 2020 von Melanie Tschugmall im Rahmen eines Leistungsnachweises im CAS Digital Ethics HWZ für den damaligen Blog des Institutes for Digital Business der HWZ verfasst und nun redaktionell neu überarbeitet.
Neil Harbisson gilt seit 2016 als der weltweit erste legal anerkannte Cyborg. Damals eine Revolution, ist die Grenze zwischen Mensch und Maschine knapp zehn Jahre später immer schwieriger zu ziehen. Aber was unterscheidet denn das menschliche Individuum von allem anderen?
Unsere Persönlichkeit und unser Verhalten. Das sind die Merkmale, welche innovative Technologien bald in erheblichem Masse verändern werden können. Sie greifen zutiefst dort, wo die personale Identifikation und Verhaltensfunktion des menschlichen Lebewesens sitzen: im Gehirn. Und das wirft neue Fragen auf.
Die Neurotechnik ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das die Bereiche der Neurowissenschaften und Technik miteinander verbindet. Es beschäftigt sich mit der Entwicklung von Technologien, die das Nervensystem beeinflussen oder unterstützen können. Diese werden im biologischen System eingesetzt, um zum Beispiel neurologische Erkrankungen zu behandeln.
Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI). BCI erlauben es Menschen, über Gedanken mit Computern zu interagieren. Die elektrischen Impulse des Gehirns werden vom System in Befehle umgewandelt und an einen Computer oder ein Gerät gesendet. Diese Technologie schafft neue Wege zur Kommunikation und Kontrolle, und hat dadurch das Potenzial, Menschen mit schweren Behinderungen zu helfen.
Es gibt zwei Formen von BCI: nicht-invasiv und invasiv. Erstere sind bekannte Anwendungen wie eine Magnetresonanztomographie (MRT), die anhand von elektrischen Signalen detaillierte Bilder des Gehirns erzeugt. Mit neuen Methoden, insbesondere Deep Learning, wird sich aber die Fähigkeit zur Informationsextraktion erheblich verbessern. Ein weiteres Beispiel für eine nicht-invasive BCI ist die Unterstützung von querschnittgelähmten Personen mit einem Roboteranzug. Der Anzug nimmt die abgeschwächten Signale aus dem Hirn der Patienten auf und steuert über diese Signale das Exoskelett. Durch Ankopplung an das Nervensystem übernimmt dies die Bewegungsmotorik und ermöglicht es der Person zu stehen oder zu gehen.
Die invasiven BCI gehen noch einen Schritt weiter. Sie durchdringen z. B. die Schädeldecke selbst, wie bei der Implantation von Deep Brain Stimulation. Dabei wird durch tiefe Gehirnstimulationen gezielt die Funktion in einem bestimmten Teil des Gehirns verändert. Eingesetzt wird diese Behandlung beispielsweise bei Parkinson oder Depression. Der Nachteil dieser Methode sind die Nebenwirkungen: Es ist möglich, dass sich die Persönlichkeit und das Verhalten der Patienten verändern.
Die beschriebenen Veränderungen am Menschen zeigen auf, dass Ethik in der Neurotechnik notwendig ist. Ein weiteres Argument für die Neuroethik ist die Ambivalenz der Technik. Neurotechnik gehört nebst nuklearen Waffen und Genetik zu den drei grossen Dual-Use-Dilemmas.
Dual-Use-Dilemmata entstehen, wenn dieselbe wissenschaftliche Arbeit zum Guten verwendet oder missbraucht werden kann, und es unklar ist, wie man Missbrauch verhindern kann, ohne auf nützliche Anwendungen zu verzichten. Der Begriff «Missbrauch» kann unterschiedlich interpretiert werden, wird hier jedoch definiert als jede unethische beabsichtigte Nutzung der Wissenschaft in zivilen oder militärischen Bereichen. Mit einem Ausmass, dass es sich um einen Kollateralschaden handeln kann.
Oft lösen solche künstlichen Verbesserungen am Menschen in der Wahrnehmung Unsicherheiten und Ängste aus. Häufig assoziieren wir dies mit den sogenannten Cyborgs. Viele denken dabei an Transformer oder gar Frankenstein – also die Umwandlung von einem Menschen in ein maschinelles Monstrum. Cyborgs sind jedoch real und nicht mehr nur Fantasien aus Hollywood. Aber was genau ist ein Cyborg? Reicht ein Implantat wie eine Elektrode bereits aus, um als Cyborg zu gelten? Gemäss Duden gelten Menschen, in deren Körpern technische Geräte als Ersatz oder Unterstützung nicht ausreichend leistungsfähiger Organe integriert sind bereits als Cyborg. Streng genommen genügt somit bereits ein Herzschrittmacher, um als Cyborg zu gelten.
Es gibt keine klare, abschliessende Begriffsdefinition. Was aber klar ist: Aus anthropologischer Sicht bleibt ein Mensch ein Mensch – auch durch die Nutzung von BCI. Möglicherweise beeinflussen BCI die Persönlichkeit eines Menschen, aber er wird dadurch nicht zu etwas anderem – auch wenn technisch immer mehr möglich ist. Egal ob Computerchip unter der Haut oder eine Antenne im Kopf: Gedachte Grenzen zwischen Menschen und Maschinen verschwimmen immer mehr. Deshalb brauchen wir Neuroethik.
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