Aktuell | 4. Mai 2022
Durch Corona hat die Digitalisierung in der Bildung Fahrt aufgenommen. Zeit, sich Gedanken zu machen, welche Unterrichtsformen zukünftig Sinn machen. Hierbei sollte man sich nicht von der Technik leiten lassen, sondern die Inhalte und Lernziele sollten bestimmen, welche didaktischen Formen sinnvoll sind. Im Gastbeitrag von Dr. Sascha Demarmels, Mitarbeiterin Hochschulentwicklung HWZ, den sie für «Hochschuldidaktik online» schrieb, geht sie diesen Fragen auf den Grund und erklärt, wann welche Lehrformen eingesetzt werden sollten.
Dieser Gastbeitrag ist als Erstpublikation anfangs Mai 2022 auf «Hochschuldidaktik online» erschienen.
Durch Corona wurden wir in den vergangenen Monaten und Jahren zu Online-Unterricht gezwungen. Zwischendurch waren an vielen Hochschulen hybride Lehrformate möglich, so dass ein Teil der Studierenden vor Ort, ein anderer Teil online an Veranstaltungen teilnehmen konnte. Jetzt finden Lehrveranstaltungen wieder vor Ort statt und das ermöglicht den Dozierenden nun aus dem Vollen zu schöpfen, denn sie haben in den vergangenen Monaten eine Menge an neuen Methoden ausprobiert und evaluiert. Was während der Pandemie Pflicht war, wird damit zur Kür: Der Einsatz von digitalen Tools in der Hochschullehre.
Die Digitalisierung in der Bildung hat durch Corona einen wahren Schub erhalten. Aber bei neuen und künftigen Unterrichtsformen geht es nicht nur um Digitalisierung. Im Gegenteil: Ausgangspunkt für die Frage nach geeigneten didaktischen Methoden sollte nicht die Technik sein, sondern die Inhalte und die Lernziele. Wenn wir nun, als Dozierende, Studierende, ja, auch als Gesellschaft die Bildung neugestalten wollen und können, so dürfen wir auch fragen, welche Methoden zu uns, unseren Studierenden und unserem jeweiligen Kontext passen.
Studierende sind stark in ihren Alltag eingebunden, manche arbeiten oder haben eine Familie. Sie brauchen darum eine gewisse Flexibilität, beispielsweise bei der Stundenplanung. Sie bringen ausserdem unterschiedliche Vorkenntnisse und Kompetenzen mit. Darum müssen und können nicht alle Studierenden in allen Fächern gleich viel lernen.
Und nicht nur die Studierenden, alle Menschen sind heute gefordert, sich ständig weiterzubilden und Neues zu lernen. VUCA (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) erfordert von uns, dass wir mit schnellem Wandel und mit komplexen Problemen umgehen können. Die Lösungen liegen nicht mehr einfach auf der Hand, d.h. wir müssen uns und unser Wissen konstant weiterentwickeln.
In der Praxis bedeutet dies, dass wir uns stetig neues Wissen und neue Kompetenzen aneignen, die wir für unsere alltäglichen Aufgaben gerade brauchen. Darum ist ein Ziel von Aus- und Weiterbildungen zunehmend auch, Studierenden zu befähigen, sich selber Wissen anzueignen, also «lernen zu lernen» und auch kollaborativ zu lernen. (vgl. z.B. McKinsey, 2021, Deloitte, 2021)
Im Fernunterricht konnten wir einerseits das kollaborative Lernen durch digitale Tools fördern, andererseits haben Blended-Learning-Ansätze mit individueller Vorbereitung der Studierenden und anschliessende gemeinsame Lehrveranstaltungen den Online-Unterricht insgesamt entlastet – denn die wenigsten können online den ganzen Tag konzentriert Vorlesungen anhören.
Durch diese Individualisierung des Lernens gehen Studierenden also eigene Wege und eignen sich in asynchronen Phasen neues Wissen und neue Kompetenzen an – angemessen an ihre Vorkenntnisse und an ihre Lernbedürfnisse. Während sie sich gewisse Grundlagen selber erarbeiten, geht es in den synchronen Veranstaltungen darum, dieses Wissen gemeinsam interaktiv zu verankern.
Daraus ergibt sich letztlich eine vielfältige Palette an Lehr- und Lernformaten. Sie können in verschiedenen Kanälen (vor Ort, online, hybrid) eingesetzt werden. Welche Methoden wann und wo am meisten Wert schaffen, hängt vom Inhalt ab, aber auch von den Bedürfnissen der Studierenden und Dozierenden.
Wenn Studierende vor Ort kommen, wollen sie einen konkreten Mehrwert haben. Was sie sich auch online und asynchron erarbeiten können, bringt diesen Mehrwert meistens nicht. Gefragt ist vor Ort vor allem der soziale Austausch (vgl. z.B. Befragung der Universität St. Gallen, 2020). Dagegen fordert die asynchrone Phase mit selbstgesteuertem Lernen einiges an Eigenverantwortung und intrinsischer Motivation von den Studierenden. Und sie brauchen geeignetes Feedback auf ihr Lernen und ihren individuellen Lernprozess.
Die Aufgabe von Dozierenden verschiebt sich damit von der Wissensvermittlung zum Lerncoaching und beinhaltet auch, dass Dozierende bei den Studierenden ein Verständnis für selbstgesteuertes Lernen und Eigenverantwortung schaffen und Unterstützung bieten für jene, die sich solche Kompetenzen noch nicht angeeignet haben. (vgl. z.B. Carpenter et al., 2020)
Wie kommen wir nun zur richtigen Methode für die jeweiligen Inhalte? Bei der Konzeption von Lehrveranstaltungen sollten wir bereits zu Beginn ein Bewusstsein darüber haben, welche Inhalte und welche Lernziele sich für welche Phase gut eignen.
Die aktuelle didaktische Diskussion geht davon aus, dass die Wissensaneignung (d. h. der erste Kontakt mit neuem Wissen) gut asynchron bewältigt werden kann. Dies aus zwei Gründen: Erstens haben unterschiedliche Studierende ein jeweils anderes Tempo bei der Wissensaneignung und bevorzugen für diese Wissensaneignung unterschiedliche Methoden (z.B. lesen, Video schauen usw.). Zweitens sollte für die nachhaltige Verankerung synchrone Lernzeit für die interaktive Auseinandersetzung mit dem Stoff (z.B. in Plenumsdiskussionen und in Gruppenarbeiten) bereitgestellt werden. Sowohl die Vertiefung (Fragen zum Stoff, inter-aktive Auseinandersetzung) wie auch ein kollaboratives lernen können nicht in der asynchronen Phase stattfinden. (vgl. z.B. Deslauries et al., 2019, Ulrich & Brieden, 2021, Foelsing & Schmitz, 2022)
Die Entscheidung für bestimmte Methoden sollte dabei erst gefällt werden, wenn die Inhalte und die Lernziele feststehen. Im nächsten Schritt geht es darum, die didaktischen Methoden sinnvoll zu mischen. Was für Online-Veranstaltungen gilt, gilt dabei grundsätzlich auch für den Präsenzunterricht: Es geht um das richtige Mass an unterhaltenden Elementen und es geht darum, Methoden abzuwechseln. Als Faustregel kann gelten: Nach spätestens 20 Minuten sollte ein Wechsel erfolgen. Beispielsweise sollten Dozierende nicht länger als 20 Minuten Input präsentieren, danach kann beispielsweise eine Plenumsdiskussion oder eine Diskussion in Gruppen angehängt werden. Auch Quizzes können den Unterricht auflockern. Und es ist in synchronen Phasen ebenso erlaubt, die Studierenden für eine kurze Zeit selbständig nachdenken und für sich selber reflektieren zu lassen.
Obwohl vor Ort Konzentrationsstörungen und Fragen in der Regel besser aufgefangen werden können als online, eignet sich ein durchgängiger Vorlesungs-Stil weder online noch vor Ort für ein nachhaltiges Lernen und Verankern von Wissen.
Der richtige Mix an Methoden macht es aus – aber was ist der richtige Mix? Im Zentrum stehen die Lernziele. Die Entscheidung für ein didaktisches Setting läuft also immer über die Überlegung, wie diese Lernziele am besten erreicht werden können. Die folgende Übersicht (Abbildung 1) zeigt, welche Lernformen sich für welche Lernziele eignen können.
Abbildung 1: Lernziele und Unterrichtsmethoden
Sowohl für asynchrone Phasen, wie auch für die verschiedenen Möglichkeiten der Durchführung von synchronen Lehrveranstaltungen (z.B. vor Ort, hybrid, online) eigenen sich unterschiedliche didaktische Methoden. Die folgende Tabelle (vgl. Abbildung 2) gibt eine Übersicht, welche Methoden in welchen Situationen besonders wertbringend eingesetzt werden können.
Abbildung 2: Didaktische Methoden für verschiedene Formen von Lehrveranstaltungen
Es scheint sinnvoll, die Methoden auch an den Vorlieben von Studierenden und Dozierenden auszurichten. Wenn wir Methoden wählen, die zu uns selber passen und mit denen wir uns wohl fühlen, dann wirken wir authentischer und die Lehrveranstaltung wird besser gelingen, als wenn wir uns stark verbiegen müssen.
Leistungsnachweise im Open-Book-Modus haben den Vorteil, dass sie eine grössere Bandbreite an Lernzielen abfragen können und die unteren, für die Hochschulbildung weniger interessanten Stufen (z.B. blosses erinnern) nicht berücksichtigen. In jedem Fall soll eine Prüfung die Lernziele abdecken (und diese umfassen selten nur das Erinnern von Wissen).
Weiter sollen Übungsaufgaben während der asynchronen und der synchronen Lernphase Übungsmöglichkeiten für den Leistungsnachweis enthalten. Es macht also wenig Sinn, wenn während der Lernphase ausschliesslich Lernziele auf den unteren Stufen geübt werden und im Leistungsnachweis dann Lernziele der höheren Stufen gefragt sind oder auch umgekehrt.
Wir haben jetzt die Chance, all das Gute aus der Fernunterricht-Zeit mitzunehmen und unseren künftigen Unterricht optimal an Inhalten und Lernzielen auszurichten. Die Möglichkeiten sind vielfältiger geworden und wir haben neue Methoden kennen gelernt, die wir jetzt sehr gezielt für passende Inhalte einsetzen können. Ich freue mich darauf und bin gespannt, wie sich unser Lehren und Lernen in nächster Zeit weiterentwickelt.
Dr. Sascha Demarmels ist Mitarbeiterin in der Hochschulentwicklung der HWZ. Sie ist in dieser Rolle unter anderem verantwortlich für die didaktische Weiterbildung der Dozierenden. Gleichzeitig ist sie tätig als Expertin für zwischenmenschliche Kommunikation und Zusammenarbeit mit Fokus auf selbstorganisierte Kontexte.
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