Event | 14. November 2022
Am 3. November fand nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause die Gesundheitstagung Schweiz 2022 an der Hochschule für Wirtschaft Zürich HWZ statt. Die Tagung wurde in Zusammenarbeit mit wittlin stauffer durchgeführt. In sechs spannenden Referaten wurden zentrale Probleme sowie Potentiale der Transformation im Schweizer Gesundheitswesen präsentiert und diskutiert. Zwischen und nach den einsichtsreichen Präsentationen blieb bei Kaffee und Apéro auch genügend Zeit für einen Austausch zwischen den Anwesenden.
Yvonne Ribi, Pflegefachfrau und Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, startete mit ihrem Referat die Tagung. Sie analysierte die aktuelle Situation, ein Jahr nach der Annahme der Pflegeinitiative, und beleuchtete die nun dringend notwendigen Massnahmen und nächsten Schritte.
Damit ausgebildete Pflegefachpersonen länger im Beruf bleiben, ist neben einer Ausbildungsoffensive auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen inklusive optimierter Personaldotation und Vergütung nötig. Personalerhalt kann nachhaltig gesichert werden, wenn eine Basis von Wertschätzung durch Fortschritte betreffend Zeit, Vereinbarkeit, und Geld verstärkt wird.
Trotz innovativen Einzelaktionen von Institutionen, um dem «Pflexit» entgegenzuwirken, ist es laut Frau Ribi zurzeit an den Kantonen, Sofortmassnahmen einzuleiten. Trotz offenen Bundesbeschlüssen können die Kantone jetzt schon eine zentrale Rolle dabei einnehmen, die rechtzeitige Abholung der kalkulierten Gelder zu ermöglichen und bessere Voraussetzungen zur Erfüllung des Leistungsauftrags zu schaffen. Frau Ribi präsentierte dazu auch einen Finanzierungsvorschlag, bei welchem der Kanton bei jedem durch Personalmangel geschlossenen Bett seinen Anteil für die durchschnittlichen Einnahmen pro Bett bezahlt (55%), welcher danach in die Finanzierung der Sofortmassnahmen investiert wird.
Abbildung 1: Überlegungen zu "Stopp Pflexit" - stationärer Bereich (Yvonne Ribi, 2022)
Beatrice Müller, Finanzchefin der Schweizer Paraplegiker Stiftung SPS, erläuterte wie innerhalb der Stiftung mithilfe eines digitalen Management-Informationssystems versucht wurde, Purpose, also den verankerten Sinn und höhere Zweck unternehmerischen Handelns, zu messen. Nach der Erläuterung der heterogenen Struktur der SPS mit einem Kundensegment und sieben Erbringern erklärte Frau Müller die Herangehensweise zur Gestaltung eines MIS.
Bei der Ausgestaltung wurde klar, dass neben Finanzkennzahlen und betrieblichen Leistungskennzahlen auch Kundenzufriedenheit und Wirkungsmessung eine zentrale Rolle einnehmen, speziell durch Wechselbeziehungen im Sinne der Purpose-Messung. Trotz erkannter Relevanz der Purpose Messung durch sich ändernde moralische Erwartungshaltungen an Menschen und Unternehmen, musste die Vision der SPS noch von der abstrakten auf die konkrete Ebene überführt werden. Dies gelang durch die Ergänzung und Konkretisierung der Vision durch Workshops, bevor Zuständigkeiten, Spezialitäten, und Marketingthemen definiert wurden.
Um die erwünschten Wirkungen einer Purpose-Erfüllung, erhöhte Steuerbarkeit und eine stärkere Kommunikation, messen zu können, musste aus dem Prozess ein Basismodell geschaffen werden. Dabei wird die subjektive Wirkung (Zufriedenheit) mit ausgewählten betrieblichen Leistungskennzahlen verbunden und Purpose-Entwicklung in einem Dashboard präsentiert. Pilotphase und Fine-Tuning in der nahen Zukunft werden bestimmt weitere interessante Entwicklungen in diese Pionier-Rolle der Purpose Messung aufzeigen.
Abbildung 2: Basismodell der Purpose-Erfüllungsmessung bei der SPS (Beatrice Müller, 2022)
In der ersten Breakout-Session stellte sich Benedikt Niederer, Leiter Innovation- und Digitalisierungsmanagement bei den Psychiatrischen Diensten Aargau PDAG und Mitglied der Geschäftsleitung, die Frage, was der allgegenwärtige Begriff «Digitalisierung» genau bedeutet und repräsentiert. So erläuterte er:
Stellt Digitalisierung jedoch auch eine «Basisinnovation, welche einen neuen sechsten Kondratieff-Zyklus einleitet,» dar, wie zuvor die Textilindustrie oder die Eisenbahn? Oder zählt man die Digitalisierung doch eher zum fünften Kondratieff-Zyklus, gekennzeichnet durch die Informationstechnik und eingeleitet durch den ersten digitalen Computer?
Herr Niederer betrachtet die Digitalisierung als Megatrend, aufteilbar in Technologie-Trends wie Cloud, Hyperautomation, KI, oder Big Data. Diese werden Unternehmen in der nahen Zukunft massiv prägen und eine richtige Zukunftsausrichtung wird nötig sein, um von der Digitalisierung profitieren zu können.
Gesellschaftliche Veränderungen, rasante medizinische Fortschritte, neue politische Rahmenbedingungen, sowie neue Marktlösungen, bedienen sich der Möglichkeiten der Digitalisierung und wandeln den Gesundheitssektor vom problemorientierten «Sick-care» hin zum lösungsorientierten «Health-Care». Auf diesem Weg in eine gesündere Gesellschaft sind die Spitäler wegen ihres Fachwissens die besten und glaubwürdigsten Kompetenzzentren.
Nermin Daki, Geschäftsleiter der Stiftung Alterszentrum Region Bülach SARB, präsentierte in seiner Breakout-Session, wie sich die neuen Massstäbe der 38-Stunden-Woche mit der Vision der Stiftung, aktuellen Branchenproblemen, und internen Struktur vereinbaren lassen.
Zentral sei dabei die Integration der Arbeitgeber-Attraktivität in der Unternehmensstrategie und Vision der SARB. Dies wirke Rekrutierungsschwierigkeiten, Konkurrenz, und dem stärker werdenden Arbeitnehmermarkt entgegen. Als Ziele der Stiftung werden von Herrn Daki somit eine bessere Rekrutierung, gute Arbeitsbedingungen, eine Abhebung von der Konkurrenz sowie Gesundheitsförderung genannt.
Im direkten Austausch mit Mitarbeitenden konnten Potentiale zur Einsparung von Arbeitszeit festgestellt werden. In der Pflege und Betreuung führte dies zum Beispiel zu einem gestaffelten Beginn der Dienste aufgrund unterschiedlicher Gewohnheiten der Bewohner:innen. Auch in administrativen Bereichen konnte durch die Einführung verschiedener Systeme und Tools zeitliche Abhilfe geschaffen werden. Das zukunftsweisende Vorgehen der SARB zeichnet sich aus durch eine direkte Kommunikation, eine Diskussion der Dienstpläne in den Teams, einer Anpassung der Reglemente, einer Abstimmung der Prozesse im Managementsystem und einer optimierten Rekrutierung.
Abbildung 3: Vorgehen beim Projekt Wochenarbeitszeit der SARB (Nermin Daki, 2022)
Die zweite Breakout-Session leitete Peder Koch, CEO der Berit Klinik und Delegierter des Verwaltungsrates, mit einem Referat über die positive Entwicklung, welche die Klinikgruppe unter seiner Führung durchlebte, ohne sich dabei an «Mainstream»-Ansätzen zu orientieren.
Herr Koch äusserte sich dabei kritisch über die Zunahme an staatlichen Eingriffen. Dabei stellte er Fragen zur Durchdachtheit dieser Strategien sowie zur Korrelation der steigenden Krankenkassenprämien mit dem Abbau der Gesundheitsversorgung.
Zusätzlich zur speziellen Struktur und Leistungsgebiet der Privatklinikgruppe Berit, ist die Philosophie unter Peder Koch einzigartig: Zentral ist dabei das Führungsprinzip der 4M’s:
Der universale Einsatz und die Verkörperung dieses Mottos ermöglicht nicht nur zufriedene Patient:innen, sondern ist auch zentral für zufriedene Mitarbeitende, hohe medizinische Qualität und eine funktionierende Versorgung der Region.
Somit konnte die Berit Klinik trotz dem herausfordernden Wandel im Schweizer Gesundheitswesen, die sich ergebenden Chancen nutzen, und ihren eigenen erfolgreichen Weg gehen.
Abbildung 4: Philosophie der Berit Klinik (Peder Koch, 2022)
David Chaksad, Leiter Stab Spitaldirektion am Universitätsspital Zürich USZ, fand in seinem Teil der Breakout-Session die richtigen Worte zu den Erwartungen, welche Mitarbeitende und Kader in Zukunft an die Unternehmenskultur werden haben dürfen.
Seine Erläuterungen und Ausführungen zum Thema «Unternehmenskultur» folgten dem Ansatz, dass Unternehmensstrategien in vielen Gesundheitsorganisationen schon ausgereift sind, sich aber durch die Inkludierung einer fortschrittlichen und zugeschnittenen Kultur nicht nur von der Konkurrenz absetzen, sondern auch ein stark verbessertes Arbeitsklima und zufriedenere und organisationsverbundenere Mitarbeitende schaffen könnten. Mit spannenden Beispielen aus bestehenden Unternehmenskulturen und orientiert an der Aussage von Peter F. Drucker, «Kultur isst Strategie zum Frühstück», wurde somit ein Ausblick in den anstehenden Kulturwandel ermöglicht. Die Frage, wie die Werte mit der Mission und der Vision der Organisation verbunden werden können und wie die nachhaltige Integration von kulturellen Aspekten gelingen kann, stand im Zentrum der Präsentation.
Respektvoller Umgang, gelebte Gleichberechtigung, eine flache und unterstützende Führungskultur, geteilte Werte und Ideale, oder auch Kritikfähigkeit, sind nur einige Punkte, welche vermehrt Einzug in Organisationen halten sollen, gestützt auf Vorschlägen und Inklusion der Mitarbeitenden. Herr Chaksad gelang es, die Kriterien und Vorteile einer sozialen und durchdachten Unternehmenskultur zu präsentieren und diese gleichzeitig von werbeorientierten und nicht wahrhaftig gelebten Leitsätzen abzugrenzen.
An der abschliessenden Podiumsdiskussion diskutierten die Referent:innen unter der Moderation von Mandy Gnägi nochmals die zentralen Aussagen des Nachmittags. Daraus ergab sich eine gelungene Zusammenfassung der Referate, welche trotz unterschiedlichen Ansätzen durch zentrale Punkte von sozialer Wertschätzung, innovativer Zukunftsvisionen, und Engagement für ein nachhaltiges Gesundheitswesen, geprägt waren.
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