Aktuell | 7. August 2023

«Es muss eine durchgehende Multi-Experience geschaffen werden»

Thomas Ogi ist Berater und Experte für digitale Transformation im Bereich IT Services – und Dozent im CAS Future Insurance & Digital Transformation. Für ihn spielen Agilität und vor allem ein agiles Mindset eine zentrale Rolle bei der digitalen Transformation der Versicherungsbranche. Das möchte er auch unseren Studierenden vermitteln. Ein Gespräch über die Versicherung von morgen, «Embedded Insurance» und neue Kundenbedürfnisse.

Thomas Ogi Dozent

Thomas, wie digital bist du mit deinen persönlichen Versicherungen unterwegs?

Für mich ist es wichtig, dass ich meine Versicherungsdaten jederzeit und unkompliziert zur Verfügung habe und Schäden einfach und rund um die Uhr online melden kann. Vor einigen Jahren war die Erfüllung dieses Bedürfnisses bei fast allen Versicherungen noch ein grosser Luxus, weshalb ich damals zu «wefox» gewechselt bin. Als digitales Versicherungs-Start-up boten sie damals als einzige die Möglichkeit, seine Policen digital auf dem Handy überall verfügbar zu haben. Mittlerweile nutze ich wieder die direkte Beziehung zu den jeweiligen Versicherungen (z. B. für meine Sach- oder Krankenversicherung), da deren Kundenportal-Apps mittlerweile die gängigsten Informationen und Funktionalitäten (z.B. zum Einreichen von Schadensfällen oder Arztrechnungen) bieten.

Wie sieht deiner Meinung nach die (ideale) Versicherung von morgen aus? Wie viele Jahre wird es noch Versicherungsagenturen und -Filialen geben?

Ich möchte hier zwei spezifische Aspekte erwähnen. Erstens die Versicherungsprodukte selbst. Ich glaube, dass diese in Zukunft noch modularer und flexibler werden, um die individuellen Bedürfnisse der verschiedenen Kundensegmente abzudecken. Die Zeiten, in denen man ein starres Versicherungsprodukt für zehn Jahre abschliesst, sind mehr und mehr vorbei, weil die Welt zu komplex und volatil geworden ist, um über so lange Zeithorizonte zu planen, und weil die persönlichen Bedürfnisse in den Lebenssituationen zu unterschiedlich geworden sind. Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass es in der Versicherungswirtschaft immer mehr zu einem Paradigmenwechsel von reinen Transaktionsprodukten hin zu Dienstleistungen kommen wird.

Der zweite Aspekt betrifft die Kundenschnittstelle bzw. das Kundenerlebnis. Auch wenn die meisten Versicherungen heute ein Kundenportal anbieten, gibt es an der Kundenschnittstelle noch viele Prozesse, bei denen es zu einem Medienbruch und damit zu einem Mehraufwand für den Kunden kommt. Ein aktuelles Beispiel, das ich kürzlich selbst erlebt habe: Ich konnte eine kleine Anpassung meiner Wertsachenversicherung nicht wie gewünscht einfach online anstossen und abschliessen, sondern musste die E-Mail-Adresse meines Versicherungskontakts heraussuchen und die Änderung schriftlich per E-Mail beantragen. Nach einigem Hin und Her hat es dann doch geklappt.

Ich denke, dass im Bereich der durchgängigen digitalen Prozesse an der Kundenschnittstelle noch einiges an Potenzial liegt und die Versicherungen, die es schaffen, diese durchgängige Multi-Experience zu realisieren, auch für einige Zeit einen Wettbewerbsvorteil haben werden, gerade auch bei den digital affinen Kunden.
Thomas Ogi, Dozent im CAS Future Insurance & Digital Transformation HWZ

Ein gewichtiger Trend in der Versicherungsbranche, der diese Aspekte schön aufgreift, ist «Embedded Insurance» – Versicherungsprodukte, die als Teil einer übergeordneten Dienstleistung angeboten und einfach digital dazu gekauft werden können (klassisches Beispiel die Reiseschutzversicherung bei der Online-Buchung für eine Reise oder die inkludierte Autoversicherung bei einigen Autoanbietern). Aus meiner Sicht wird sich dieser Trend weiterverbreiten.

Aber auch wenn ich ein grosser Verfechter der digitalen Kundenschnittstelle bin, glaube ich, dass es auch in einigen Jahren noch Versicherungsagenturen geben wird, allerdings wird sich der Fokus vom reinen Produktverkauf hin zur Beratung der Lebenssituation des Kunden verlagern, um mit einer breiten Palette an Produkten und Dienstleistungen einen Mehrwert für den Kunden zu generieren. Wobei die Interaktion mit der Versicherungsagentur nicht am Anfang der Reise des Kunden stehen wird, sondern irgendwo in der Mitte, d. h. der Versicherungsberater muss noch besser verstehen, wo der Kunde gerade steht und muss in der Lage sein, mit fachlichen Informationen einen Mehrwert zu schaffen.

Du selbst kommst nicht aus der Versicherungsbranche, sondern arbeitest als Advisor und Experte für die Digitale Transformation im Bereich IT Services. Was ist dein Bezug zur Branche?

Vor fast zehn Jahren hatte ich die Möglichkeit, bei meinem damaligen Arbeitgeber IBM die Betreuung von Versicherungskunden zu übernehmen. Dadurch lernte ich die Branche besser kennen und versuchte in meiner Rolle immer wieder, an der Schnittstelle zwischen Business Herausforderungen und Technologie mit innovativen Lösungsansätzen Mehrwert zu generieren. Seitdem habe ich immer wieder mehrheitlich mit Kunden aus der Versicherungsbranche zu tun gehabt und mein Netzwerk in der Branche ist weiter gewachsen.

Was mich an dieser Branche nach wie vor fasziniert, ist die Tatsache, dass obwohl ein grosser Teil des Geschäftsmodells einer Versicherung auf Daten basiert, die digitale Transformation im Vergleich zu anderen Branchen immer noch ziemlich hinterherhinkt.
Thomas Ogi, Dozent im CAS Future Insurance & Digital Transformation HWZ

Nebst der Versicherungsbranche habe ich in den letzten Jahren aber auch immer wieder mit anderen Branchen zu tun gehabt. Ich glaube, dadurch konnte ich einen zusätzlichen Mehrwert für Versicherungen generieren, weil sich gewisse Muster in der digitalen Transformation gut von einer Branche auf die andere übernehmen lassen, insbesondere dort, wo die Transformation schon weiter fortgeschritten ist.

Du bist Dozent im CAS Future Insurance & Digital Transformation HWZ und unterrichtest Module im Bereich agile Methoden/agiles Mindset. Welche Rolle spielt dieser Bereich bei der digitalen Transformation in der Versicherungsbranche?

Agilität und vor allem ein agiles Mindset spielen aus meiner Sicht eine ganz zentrale Rolle in der digitalen Transformation. Wir sprechen hier nicht davon, ein physisches Formular zu digitalisieren und online zur Verfügung zu stellen, sondern bei der digitalen Transformation geht es darum, Prozesse, Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten komplett neu zu denken. Unternehmen finden sich plötzlich in einem sehr komplexen, volatilen und unsicheren Umfeld wieder. Das heisst, es braucht Experimente, um Neues auszuprobieren, Hypothesen zu testen und auch mal Projekte zu stoppen, weil sie nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Wenn Unternehmen hier mit einer klassischen Wasserfal-Denkweise herangehen, werden sie mit ziemlicher Sicherheit scheitern. Deshalb sind ein agiles Mindset und Eigenschaften wie Lernen aus Fehlern, siloübergreifende Zusammenarbeit und Anpassungsfähigkeit in der digitalen Transformation so elementar.

Du sprichst davon, wie mit agilen Methoden und einem agilen Mindset digitale Produkte oder Geschäftsmodelle erfolgreich umgesetzt werden. Wie möchtest du dies den Teilnehmenden im CAS vermitteln?

Ein agiles Mindset ist nicht etwas, wo ich ein Buch lese oder einen Kurs besuche und dann bin ich agil. Es braucht viel praktische Erfahrung, die sich über Jahre aufbaut, und deshalb versuche ich in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, mit Impulsen und viel praktischem Input das Mindset der Studierenden zu stimulieren. Aus diesem Grund verzichte ich bewusst auf theoretische Vorträge zu einzelnen agilen Methoden wie Scrum oder Kanban, stattdessen tauchen wir z. B. im Rahmen einer Scrum-Simulation in die Praxis ein. Zusätzlich binde ich immer 1-2 Gäste aus der Praxis ein, die weitere konkrete Learnings aus ihren Projekten und Transformationsvorhaben einbringen. So entstehen im Laufe des Tages spannende Fragen und Diskussionen in der Gruppe.

Was meinst du, welche Fähigkeiten und Kenntnisse – neben dem agilen Mindset – braucht es, um in der digitalen Transformation der Versicherungsbranche erfolgreich zu sein?

Dazu fallen mir zwei Worte ein: Neugier und Mut. Ohne Neugier keine digitale Transformation. Zu oft habe ich den Satz «Das funktioniert bei uns nicht» oder «Das haben wir schon immer so gemacht» gehört. Kundenbedürfnisse ändern sich, der technologische Fortschritt schreitet stetig voran. Unternehmen, die nicht offen für neue Themen sind, werden früher oder später verschwinden. Es gibt den schönen Satz «AI will not replace you. But a guy using AI will.» Darüber hinaus braucht es aber auch den Mut, neue Projekte zielgerichtet umzusetzen. Hier sehe ich gerade in der Versicherungsbranche die grösste Hürde. Das ist ein kulturelles Problem. Es wird noch zu sehr auf bestehende Strukturen und Ansätze gesetzt, als dass man den Mut hat, Dinge anders zu sehen und anzugehen und auch mit einer gewissen Konsequenz umzusetzen. Und genau deshalb braucht es immer mehr Leute in der Branche, die mit neuen Denkweisen und Ansätzen die digitale Transformation aktiv vorantreiben. Ich bin gespannt, was die nächsten Jahre bringen werden.