Forschung | 11. März 2022
Das Center for Data Science & Technology der HWZ und die Nephrologische Klinik des Universitätsspital Zürich untersuchen gemeinsam, die Abnahme der Niederfunktion besser vorherzusagen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, möglichst präzise Prognosemodelle für den Verlauf der Nierenleistung mithilfe von AI und Machine Learning zu entwickeln. Wir haben mit Prof. Dr. Th. Müller, Klinikdirektor a. i. Nephrologie USZ, und Evangelos Xevelonakis, Leiter Center for Data Science & Technology HWZ, über die Zusammenarbeit und deren Chancen gesprochen.
Prof. Dr. Th. Müller, was ist das Ziel der Zusammenarbeit mit der HWZ?
Das Ziel der Zusammenarbeit ist, neue Wege zu gehen und neue Ansätze zu wählen. Wir hoffen durch die Zusammenarbeit und durch die ganz unterschiedliche Expertise und unterschiedlichen Hintergründe, neue Lösungsansätze für ganz praktische Probleme zu finden. Das Verlassen von Elfenbeintürmen kann neue Synergien schaffen und sehr befruchtend sein. Bei unserem konkreten Beispiel versuchen wir ein grosses medizinisches Problem, wie die Vorhersage der Abnahme der Nierenfunktion, durch die Kombination von medizinischem Wissen und Bioinformatik-Know-how zu verbessern. Dabei ist natürlich ganz besonders spannend, dass diese Zusammenarbeit nicht durch unsere Institutionen, die Professoren oder Fakultät initiiert wurde, sondern durch einen Studenten, der auch Patient ist. Das ist wirklich etwas Aussergewöhnliches und Citizen Science im besten Sinne des Wortes. Ich hoffe, dass dieses Beispiel nur der Anfang ist und ein Modell wird.
Es geht um den optimalen Zeitpunkt für eine Nierentransplantation. Wann ist dieser?
Der optimale Zeitpunkt für eine Nierentransplantation ist dann erreicht, wenn die eigenen Nieren nicht mehr ausreichend die Funktion, insbesondere der Ausscheidung von Giftstoffen, schaffen und damit die Lebensqualität signifikant eingeschränkt ist und Körperkraft und Energie deutlich abnehmen. Dieser Zeitpunkt korreliert mit einer Einschränkung der Gesamtnierenfunktion auf ungefähr 10-15 %.
Durch AI und Machine Learning könnte dieser Zeitpunkt noch optimaler vorausgesagt werden. Welche Vorteile ergeben sich hier für die Patient:innen?
Eine genauere Vorhersage, wann die Nierenfunktion dieses Mass an Einschränkung erreicht hat, erlaubt zum einen aus medizinischer Sicht eine bessere Planung für den Beginn der Nierenersatzverfahren. Das heisst, vorbereitende Massnahmen für diese Nierenersatzverfahren wie Dialyse und Transplantation können zeitgerechter eingeleitet werden. Zum anderen ist es für die Lebensplanung des Patienten und seiner Familie natürlich extrem wichtig zu wissen, wann möglicherweise eine Operation notwendig ist oder die stark einschränkende wöchentliche Dialysebehandlung begonnen werden muss. Auch kann der Effekt einer Therapie besser beurteilt werden. Wird die Nierenfunktion besser, kann der Zeitpunkt an dem eine Nierenersatzbehandlung notwendig ist, verzögert werden.
Wo sehen sie die Chancen und Risiken von AI und Machine Learning in Ihrem Fachgebiet?
Die Chancen sehe ich in der Fähigkeit von AI oder Machine Learning, extrem grosse Datenmengen auszuwerten und unabhängig von Bias und Noise rein datenorientiert zu lernen und sich zu verbessern. Die davon abgeleiteten Algorithmen können dann mit unabhängigen Datensätzen validiert werden und Entscheidungen auch in der klinischen Praxis objektivieren, standardisieren und robuster machen.Eine Gefahr sehe ich im Verlust der menschlichen Komponenten wie Empathie und Emotion, der Problematik, dass Datenauswertungen gefiltert sein sollten mit medizinischem Hintergrundwissen und zum anderen in der intrinsisch vorhandenen Schwierigkeit, biologische Ereignisse wegen der Vielzahl an Einflussfaktoren vorherzusagen. Das heisst, die individualisierte und personalisierte Diagnose, Vorhersage wie auch Therapie sind sowohl die Stärke als auch die Schwäche von maschinenbasierten Algorithmen.
Wie verändert diese Forschung oder die Resultate Ihre Arbeit?
Eine wesentliche Veränderung ist der aktive Einbezug des Patienten und nicht-medizinischer Wissenschaftler. Das wirkt sehr stimulierend, da neue Gedanken formuliert werden und auch die Relevanz der Forschung mehr den Bedürfnissen der Patient:innen gerecht wird. Gut ist auch, dass die die Haltung «das kann man nur als Spezialist mit medizinischem Studium beurteilen» hinterfragt wird.
So kann z. B. die Vorhersagemöglichkeit, wann die Nierenfunktion nur noch 15 % arbeitet, mit einem Blick von aussen unvoreingenommen und unvorbelastet, mit neuen Lösungsansätzen untersucht werden.
Der optimale Zeitpunkt gibt es, aber nicht immer die passende Niere. Was wünschen Sie sich in Bezug auf Organspenden?
Das ist wirklich ein Riesenproblem und sehr traurig, dass viele Patienten und Patientinnen zusammen mit ihren Familien auf ein passendes Organ warten, um wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können. In Bezug auf die Organspende wünsche ich mir deshalb viel mehr Information und Diskussion in der Gesellschaft, Solidarität und das Registrieren für oder auch gegen eine Organspende – am Ende ist die dokumentierte Entscheidung wichtig, die im schlimmsten Fall eines Todes herangezogen werden kann.
Das Fachgebiet der Nephrologie beschäftigt sich mit der Nierenheilkunde. Dazu gehören die allgemeinen Nierenkrankheiten sowie die Nierenersatzverfahren, Nierentransplantation und Dialyse. Krankheiten der Nieren betreffen insbesondere die Funktionen der Nieren, das heisst die Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten, die Regulation des Wasserhaushalts, die Steuerung auch des Elektrolythaushalts (dazu zählen die Körpersalze), die Einstellung des Säurebasenhaushalts, die Regulation des Blutdrucks und auch die Beteiligung an der Blutbildung und dem Knochenstoffwechsel.
Evangelos Xevelonakis, das Center Data Science & Technology forscht mit der Nephrologische Klinik am Universitätsspital Zürich, wie ist diese Zusammenarbeit entstanden?
Im Rahmen einer Master-Arbeit eines HWZ-Studierenden und gleichzeitig Nierenpatient wurden die Faktoren, welche die Nierenleistung beeinflussen, untersucht. Mithilfe eines Modells wurde versucht, den Start der Dialyse vorauszusagen. Die Betreuung dieser Master Thesis wurde von mir und Prof. Müller, Leiter der Nephrologische Klinik der Universität Zürich, übernommen. Das Besondere hier ist, dass ein Patient selber forscht. Nach dem Motto, derjenige der das Problem hat, kann es am besten lösen. Während dieser Forschungsarbeit ist die Idee entstanden, unsere Zusammenarbeit zu intensivieren.
Was ist das Ziel dieser Zusammenarbeit?
Das Ziel der Zusammenarbeit ist es, möglichst präzise Prognosemodelle für den Verlauf der Nierenleistung mithilfe von AI und Machine Learning zu entwickeln und gemeinsame Publikationen, Konferenzen und Workshops vorzunehmen.
Wie können AI und Machine Learning helfen, den perfekten Zeitpunkt zu bestimmen?
Mithilfe historischer pseudonymisierter Daten wird das sogenannte überwachte Lernen eingesetzt: Der Datensatz wird in einem Training- und einem Testdatensatz aufgesplittet. Der Training-Datensatz wird verwendet, um das Modell zu entwickeln und der Testdatensatz, um das Modell zu testen.
Zusätzlich können verschiedene Regressionsansätze, welche die Zeitdauer bis zur Dialyse als abhängige Variable in Abhängigkeit unabhängiger Einflussfaktoren (Prädiktoren) möglichst präzis modellieren. Das Hauptziel ist, einen Nutzen für die Patienten durch eine optimierte, zuverlässigere Prognose des Dialysestartpunktes zu generieren, um möglichst früh- und rechtzeitig auf die Warteliste für eine Spenderniere aufgenommen zu werden.
Künstliche Intelligenz in der Medizin ist ein schwieriges Thema mit vielen Chancen, aber auch Risiken. Wo liegt hier die Besonderheit?
Prognosen sind immer mit Risiken verbunden. Der Grund ist, dass es in der Regel eine grosse Anzahl von möglichen Einflussfaktoren gibt. Die Idee ist nicht, dass KI den Arzt ersetzt, sondern dass sie als wertvolle Hilfe eingesetzt wird. Das bedeutet, dass der Arzt oder die Ärztin nach wie vor die letzte Entscheidungsinstanz für die Therapie bleiben wird.
Hier wird mit vielen Patientendaten geforscht. Was gilt es hier aus ethischer Sicht zu beachten?
Die Personendaten, die in der Medizin bearbeitet werden, gehören zur Kategorie der besonders schützenswerten Daten. Aus diesem Grund muss der Datenschutz zwingend sichergestellt werden.
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