Event | 25. Januar 2023
Die 4. Fachtagung Regionalprodukte fand auch dieses Jahr mit rund 80 Teilnehmenden grossen Anklang. Nach einem Speed Networking, bei dem sich die Teilnehmenden kennenlernen und auch mögliche Synergien diskutieren konnten, startete die eigentliche Tagung. Sechs interessante Referate zeigten die Herausforderungen und Chancen von kleinen, wie auch grossen Playern im Markt auf.
Bereits der Morgen des 19. Januar 2023 stand ganz im Zeichen regionaler Produkte. Im Rahmen einer Pressekonferenz präsentierte der Veranstaltungspartner Dallmayr das schweizweit einzigartige Automatenkonzept «enjoy local». Die Automaten sind mit regionalen Schweizer Produkten bestückt und bieten z. B. Studierenden an ihrer Hochschule oder Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz regionale Getränke und Snacks. Während des Speed Networkings konnten sich die Teilnehmer:innen aus den Automaten bedienen und die regionalen Produkte verköstigen. Darüber hinaus hatten die Teilnehmer:innen bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit zum Austausch und zum Ausloten möglicher Geschäftssynergien. Die sechs Referate von innovativen Kleinunternehmen als auch von etablierten Firmen zeigten eindrücklich, welchen Chancen und Herausforderungen sie täglich gegenüberstehen. Als Fazit kam heraus, dass kleine Player es deutlich einfacher haben, schnell und innovativ zu reagieren und neue Produkte zu lancieren. Wohingegen grosse Player, wie bspw. Migros, länger brauchen, neue Prozesse und Ideen umzusetzen.
Den Einstieg machte das Referat von Fabian Brandenberger, Landwirt aus Dietikon. Die Genossenschaft «basimilch» verfolgt den Ansatz der solidarischen Landwirtschaft. Die produzierte Milch wird in der eigenen Hofkäserei zu naturbelassenen Milchprodukten (Käse, Joghurt, Quark, Trinkmilch, etc.) verarbeitet und im wöchentlichen Abo in der Region Zürich verteilt.
Brandenberger erzählte über die Herausforderungen in der Milchproduktion. Seine Kühe behalten ihre Hörner, sie fressen, was sie wollen, sprich von der Weide, Kraftfutter oder Silonahrung bekommen sie keine. Für die Milch muss er 1.00 CHF pro Liter erwirtschaften und für die Verarbeitung nochmals 2.00 CHF, um allen Mitarbeitenden faire Löhnen zahlen zu können. Dies ist auf dem freien Markt kaum realisierbar. Mit dem Ansatz der solidarischen Landwirtschaft verfolgt Brandenberger – wie auch die Genossenschafter – nachhaltige Ziele und Werte wie: Die Produktion von wirklich nachhaltigen Lebensmitteln und der nächsten Generation einen Boden zu übergeben, der fruchtbarer ist, als er ihn vorgefunden hat.
Die solidarische Landwirtschaft des Basihofs funktioniert so, dass man als Genossenschafter:in einen Betriebsbeitrag bezahlt, aber keinen Preis für die Produkte. So werden die Milchprodukte wöchentlich im Abo geliefert. Die Vorteile bei diesem Modell sind vielfältig: Enge Produzent:innen/Kund:innen-Beziehungen, Regeln werden marktunabhängig im Projekt aufgestellt und Entscheidungen werden gemeinsam gefällt. Alle Beteiligten haben viel mehr Möglichkeiten, ihre eigenen Ziele – die er durchaus auch als Ideologien sieht – einzubringen. Damit eine solidarische Landwirtschaft funktioniert, braucht es Menschen, die an das System glauben, sich aktiv einbringen und die bereit sind, für ökologischere Produkte, ein höheres Tierwohl und faire Rohstoffpreise und Löhne etwas mehr zu bezahlen. Aktuell hat basimilch 260 Haushalte als Abonnent:innen, die Akquisition neuer Genossenschafter:innen im Nebenamt ist für einen Landwirt harte Arbeit. Um schwarze Zahlen zu erreichen, müssten sie 1400 Liter Milch pro Woche verarbeiten und zusätzliche Abonnent:innen gewinnen.
Jürg Burri und sein Geschäftspartner eröffneten vor weniger als drei Jahren den ersten modernen «Rüedu» Hofladen in Bern. Sie analysierten den Markt und fanden heraus, dass die durchschnittlichen Haushaltsausgaben der Schweizer:innen für Lebensmittel CHF 637 im Monat betragen und weiter steigen. Zudem analysierten sie die Megatrends und kamen zum Schluss, dass immer mehr kleinere Einheiten eingekauft werden und dass die Menschen gesünder, lokaler und nachhaltiger essen wollen. Auch der Onlinehandel wurde in ihrer Analyse nicht vernachlässigt, jedoch sind sie überzeugt, dass Inspiration und das haptische Erlebnis bei frischen Produkten immer noch wichtig sind und der Onlinehandel für ihr Geschäft eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Marktanalyse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse führten sie schliesslich zu ihrem Erfolgskonzept: Container-Hofläden im Quartier, Vermarktung frischer Produkte von lokalen Produzenten, kosteneffizient, da keine Personalkosten anfallen und dank Self-Checkout-System mit entsprechender App 24x7 geöffnet. Innerhalb kürzester Zeit ist es ihnen gelungen, 19 Standorte in Bern und sieben in Zürich aufzubauen. Dabei greifen sie auf über 150 lokale Produzenten zu und verkaufen mehr als 600 verschiedene Produkte in ihren Hofläden. Sie haben bereits über 14'000 registrierte Kunden, wovon ca. 70% berufstätige Frauen sind, die eine Affinität zur Nachhaltigkeit haben und viele ihrer Einkäufe bei Rüedu tätigen. Das Container-Konzept hat laut Burri viele Vorteile. Beispielsweise, kann ein Standort getestet werden und sollte er nicht rentieren, kann der Container verschoben werden. Zusätzlich bekam Rüedu aufgrund ihres Erfolges so viele Anfragen von Drittanbietern, dass sie ihren Container nun als komplettes «White Label-Angebot» anderen Unternehmen verkaufen, die auch ihren eigenen 24-Stunden-Hofladen betreiben wollen, ohne alles selbst entwickeln zu müssen. Nicht nur das Publikum auch die anderen Referent:innen waren beeindruckt von diesem Konzept und dem rasanten Wachstum. Wir in Zürich freuen uns, bald auch mehr Läden in unserer Gegend zur Verfügung zu haben.
Daniela Waser, Geschäftsführerin Standortförderung Zürioberland, hielt das dritte Referat. Aus dem Zürcher Oberland kannte man bspw. den Brand «Natürli» und andere kleinere Projekte. Im November 2021 kamen diverse Protagonist:innen zur Überzeugung, dass es Sinn macht, nicht nur Produktmarketing für einzelne Produkte zu betreiben, sondern die Kräfte zu bündeln und die Standortförderung gesamthaft stärker zu positionieren.
Die Standortorganisation Zürcher Oberland besteht aus 26 Gemeinden/Städten, 186 juristischen Personen und 3 Wirtschaftsverbänden. Gesellschaftliche Veränderungen, Mobilität, «Lädelisterben» gehörten zu den Herausforderungen im Zürcher Oberland. Die Überzeugung, zusammen mehr bewegen zu können, war stark und der Mitgliederzuwachs der Standortförderung Zürioberland von 65% im ersten Jahr bestätigte diese Annahme.
Die Ziele der übergreifenden Standortförderung sind gross: Man möchte den Einwohner:innen die höchste Lebensqualität bieten, attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen und den Gästen des Zürcher Oberlands unvergessliche Erlebnisse bieten. Die Standortförderung ist mit 178 Mitgliedern gestartet und ist heute bei 300 Mitglieder:innen.
Die Standortförderung fasst alle bisher einzeln geführten Projekte und Produkte unter einem Dach zusammen, unter anderem:
Das Regionallabel «usem Züri Oberland»
Eine Genusswoche mit Events
Holzbauten
Die Geschäftsfelder Tourismusförderung, Kultur & Gesellschaft und Wirtschaft
Die Regionalprodukte aus dem Zürioberland spielen für die Standortförderung eine zentrale Rolle. Sie möchten mehr Absatz für ihre Produzent:innen generieren, ein Vollsortiment mit wettbewerbsfähigen Produkten anbieten und die emotionale Bindung bei den Konsument:innen stärken. Im Zürioberland gibt es über 33 regionale Produzent:innen, die mit regio.garantie-zertifizierten Produkten einen Umsatz von CHF 23 Mio. generieren und über 500 Produkte anbieten. Um den Zertifizierungsprozess schneller und kostengünstiger zu gestalten, wird die Standortförderung in den nächsten Wochen die Plattform Echtregional.swiss aufschalten, mit deren Hilfe die Zertifizierung von Regionalprodukten wesentlich erleichtert wird. Diese wird nicht nur von Hersteller:innen im Zürcher Oberland genutzt, sondern auch allen anderen Standortorganisationen angeboten.
Das Referat von Kurt Widmer widmete sich der Thematik einer regionalen Produzentin mit nationaler Positionierungsstrategie. Zu Beginn erläuterte er die Herausforderungen eines KMUs ohne Nachfolgeregelung. Da es der bisherigen Eigentümerin Gabriela Manser und den Mitarbeitenden der Goba wichtig war, finanziell gesund und unabhängig zu bleiben, ganz nachdem Motto «Frei – rentabel – stark», war der Verkauf an eine Stiftung (Pfister Stiftung) die naheliegendste Lösung. Die Firma Goba ist in zwei Geschäftsfeldern tätig. Zum einen die Mineralquelle Gontenbad und zum anderen die Manufaktur.
Die Werte von Goba sind transparent und klar: Sorgsamer Umgang mit Ressourcen, transparente Stories, proaktive Partnerschaften und ein menschliches Miteinander. Die Mineralquelle Gontenbad ist eine natürliche, endliche Ressource, deren Kapazität 25 Jahre im Voraus planbar ist. Dass die Goba ein kreatives Unternehmen ist, das Grosses bewegen will, wurde auch in der Präsentation von Widmer deutlich. So ist beispielsweise das Organigramm in Form eines Planetensystems dargestellt und auch hier ist es Widmer wichtig, sich nicht als CEO zu positionieren, sondern als Teil einer Gruppe, weshalb auch das Miteinander gross geschrieben wird.
Dennoch muss ein KMU wie Goba darüber nachdenken, wie es wachsen will, wenn die natürliche Ressource begrenzt ist.
Um diese Strategie zu erreichen, sind folgende Werte für Goba von Relevanz:
Tun steht im Einklang mit der Region.
Wachstum durch Weglassen – sie setzen nicht auf Mega-Trends und erreichen durch gezieltes Weglassen Kontur und Erkennbarkeit. Dies schafft Freiraum für Kreativität.
Gesundes & Profitables Wachstum zählt. Früher hat man auch Sirup und Likör hergestellt, ohne etwas daran zu verdienen; Heute hat man einen strategischer Fokus und wertorientierte Preise.
Knappheit von Ressourcen wird bei Goba als Intelligenz-und Ideenförderer gesehen.
Das Geschäft anständig betreiben. Respektvoller Umgang mit allen.
Jedes Produkt hat seinen Lebenszyklus und seine Geschichte. Neben Flauder braucht es laut Widmer ergänzende Produkte und auch den Mut, Produkte, die nicht mehr passen aus dem Sortiment zu nehmen. Die Kreativität kennt bei Goba keine Grenzen: Das neue Wasser «Charisma» ist mit Weihrauchhydrolat angereichert und besticht als gesundes, beruhigendes Getränk. Gerade weil im Plenum nur 3-4 Personen dieses Produkt kannten, sieht Widmer grosses Potential.
In der Manufaktur setzt Goba auf vielfältige und ästhetisch ansprechende Produkte. Da die Produkte bisher eher weiblich waren, haben sie das Sortiment erweitert und bieten neu auch eine salzige Linie als «männlichere Produktepalette» an. Dort gehen sie Kooperationen wie bspw. mit Weber Grill ein. «Das gewisse Etwas» heisst das Maggi aus der Manufaktur, das mit gesündere Zutaten und weniger Zusatzstoffen dem Original in nichts nachsteht. Unbedingt probieren – finden wir.
Beeindruckt war das Plenum auch davon, wie Goba die Pandemie genutzt hat. Beispielsweise verzichtete das Unternehmen im Verkauf auf Kurzarbeit und besuchte stattdessen, alle 3000 Abnehmer:innen (Hotellerie, Gastro, Freizeitanlagen, Kulturorte) persönlich. Zudem sammelten die Mitarbeitenden mit ihren Familien Löwenzahn und verarbeiteten diesen zu Konfitüre. Auch überregional will Goba wachsen, vor allem in den Bereichen Kunst, Kleinkunst, Architektur etc. gehen sie verschiedene Partnerschaften ein und sehen noch viel Potential.
Lukas Kilcher, Leiter des Ebenrain-Zentrums, erläuterte zu Beginn seines Referats die ambivalente Beziehung der beiden Halbkantone Basel-Stadt und Baselland.
Gemäss Kilcher sind die beiden Basler Halbkantone nicht gerade bekannt für Regionalprodukte und auch die Bedürfnisse der Land- und Stadtbevölkerung seien unterschiedlich. So wünsche sich Landbevölkerung schöne Landschaften und Natur, aber die Realität sieht anders aus. Auch Baselland sei immer mehr urbanisiert und die Landwirtschaft verlor in den letzten zehn Jahren jährlich unzählige Hektaren Land, dies bei steigender Bevölkerung und sinkender Anzahl Landwirtschaftsbetrieben.
Auch dank des 2015 gestarteten Projekts «Genuss aus Stadt und Land» finden die beiden Halbkantone laut Kilcher wieder zueinander. Dabei gewann Basel, 15 Medaillen beim einem Schweizer Wettbewerb (Concours) der Regionalprodukte. Dies war der Startpunkt und Motivation für die weitere Zusammenarbeit der Kantone. Daraus entstand ein Buchprojekt «Dinkelreis & Pfefferchirsi», dass das kulinarische Reichtum der beiden Basel nochmals schön aufzeigte. 2016 wurde Liestal die Genussstadt und die Marke «Genuss aus Stadt und Land» wurde initiiert.
Das Regionalentwicklungsprojekt «Genuss aus Stadt und Land» nimmt also langsam Fahrt auf. Ziel des Projektes soll sein, die Vielfalt der Regionalprodukte zu fördern und die Wertschöpfung in der Landwirtschaft zu erhalten, und kleineren Manufakturen die Chance zu geben, sich zu positionieren. Aus diesem Grossprojekt sind mittlerweile zehn Teilprojekte entstanden, die aktuell in der Umsetzungsphase sind. Träger dieser Projekte sind der Bund, beide Halbkantone sowie Private.
Die Erfolgsfaktoren des Projekts sind:
Inhalte rund um Genuss & Nachhaltigkeit bieten bspw. durch Events
Komplementarität & Zusammenarbeit Stadt und Land – Brücken bauen
Laut Kilcher ist die Stadt am Land interessiert und er ist der Überzeugung, dass Innovation und Tradition nicht im Widerspruch stehen.
Den Abschluss der Tagung bildete das Referat von Bojana Taraba, Brand Managerin «Aus der Region» beim Migros-Genossenschafts-Bund. Sie beleuchtete die Entstehungsgeschichte der Marke «Aus der Region. Für die Region.», die Labelrichtlinien, Sortimentsentwicklung, wie auch die Positionierung der Marke. Das Label «Aus der Region. Für die Region», kurz AdR, wurde bereits 1995 von der Migros Luzern ins Leben gerufen. Schon damals war die regionale Beschaffung von Produkten ein Bedürfnis. Die Erweiterung des Sortiments erfolgte dann 1999 und die Regionalmarke der Migros war geboren. Nach und nach übernahmen auch die anderen Genossenschaften das Label in ihr Sortiment, bis es 2009 als nationales Programm der Migros anerkannt wurde. Das Label ist heute die erfolgreichste Marke der Migros und besticht durch ein vielseitiges Regionalsortiment und einen regionalen Betrieb pro Genossenschaft.
Das Werteversprechen basiert bis heute auf den gleichen Attributen. AdR-Produkte sind nur in der Region erhältlich, in welchen sie angebaut bzw. hergestellt werden. Die Marke ist authentisch und bodenständig und fördert Schweizer Bauernfamilien und lokale Kleinbetriebe. Die Marke «Aus der Region» macht 8% des Gesamtumsatzes der Migros aus, wobei die Genossenschaft Migros Luzern bis heute den grössten Umsatz mit der Marke erzielt.
Die Migros versucht mit Sponsorings von nationalen TV-Formaten, die Bekanntheit des Labels weiter zu steigern. Als grösste Herausforderung bezeichnet Frau Taraba die nationale Führung einer grossen Marke, deren Entscheidungen im Grunde mehrheitlich in den Regionen gefällt werden, die aber trotzdem mit gemeinsamen und einheitlichen Botschaften kommuniziert. Die Arbeitsteilung zwischen MGB und Genossenschaften funktioniere zwar, aber manchmal nicht so schnell, wie man es sich wünsche.
Bojana Taraba geht auf die heutigen Kundenbedürfnisse ein und spricht dort von der Care Culture, die das Bedürfnis nach Gesundheit, Sicherheit und bewusstem Konsum umfasst. Gleichzeitig hat die Migros festgestellt, dass sich die Gründe für den Kauf von AdR-Produkten zwischen der ländlichen und urbanen Bevölkerung unterscheiden. Für die ländliche Bevölkerung stehen die Fairness und Solidarität mit den Bauern und Produzenten im Vordergrund, während die urbane Bevölkerung frische, qualitativ gute und nachhaltige Produkte sucht.
Auch die steigende Inflation war Thema des Referats. Gemäss Bojana Tarab werde die Preissensibilität der Kund:innen grösser. Die Migros glaubt weiterhin an den Brand und stellt bei AdR derzeit noch keinen Nachfragerückgang fest. Beim Absatz der Bio-Produkte hingegen sei aufgrund der Preiserhöhungen ein Rückgang festzustellen.
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