Forschung | 14. September 2023
Aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, steigende Gesundheitskosten und Fachkräftemangel machen deutlich, wie wichtig Stakeholder-Engagement für die nachhaltige Entwicklung und Wertschöpfung von Unternehmen ist. Sybille Sachs und Tiziana Gaito vom Institut für Strategisches Management: Stakeholder View der HWZ, bieten ein Konzept, damit die Implementierung im Unternehmen gelingt.
Das Implementierungskonzept, welches Tiziana Gaito und Sybille Sachs im Artikel zum zielgerichteten Stakeholder-Engagement erarbeiten, orientiert sich an den vier Formen des Stakeholder-Engagements, welche Johanna Kujala, Sybille Sachs, Heta Leinonen, Anna Heikkinen und Daniel Laude in ihrem Review identifiziert hatten. Dieser Review hat den diesjährigen Best Paper Award der International Association for Business & Society (IABS) gewonnen und wurde in einer Spezialausgabe zum 60. Jubiläum des Business & Society Journals publiziert.
Dieser Artikel erschien in ausführlicherer Form als Erstpublikation in der Zeitschrift Führung + Organisation (ZFO, 4/23). Es handelt sich hierbei um eine Zusammenfassung des Originalartikels.
Die gegenwärtigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen bringen unterschiedliche Ziele, Interessen und Werte von Stakeholdern ans Licht und können diese zusätzlich verstärken. Der technologische Wandel beispielsweise intensiviert den Wettbewerbsdruck und stellt für viele Unternehmen eine ökonomische Herausforderung dar. Gleichzeitig führen ökologische Herausforderungen wie der Klimawandel oder soziale Herausforderungen wie die Covid-19-Pandemie zu einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft. Dies spiegelt sich auch in den Stakeholderbeziehungen wider, bei denen Unternehmen in der Lage sein müssen, unterschiedliche Ansichten zu vereinbaren.
Vor diesem Hintergrund wird ein breit abgestütztes Stakeholder-Engagement – also das Einbinden von verschiedenen Stakeholdern in organisationale Praktiken – immer wichtiger.
Stakeholder-Engagement basiert auf der Annahme, dass Stakeholder aufgrund ihrer Interessen in Bezug auf eine gemeinsame Herausforderung voneinander abhängig sind, weil sie von dieser betroffen sind. Zudem können grosse Herausforderungen wie der Klimawandel, eine Pandemie oder die Digitalisierung nicht von einem Unternehmen alleine angegangen werden, sondern benötigen das Zusammenwirken mehrerer Stakeholder.
In ihrem Artikel stellen Tiziana Gaito und Sybille Sachs ein Implementierungskonzept für Unternehmen vor, mit dem Stakeholder in vier Schritten zielgerichtet und möglichst wertschöpfend eingebunden werden können. Jeder Schritt kann je nach Bedarf zum nächsten oder einem der vorhergehenden Schritte führen und beinhaltet, je nach gewählter Form des Stakeholder-Engagements, unterschiedliche Praktiken.
Als Erstes identifiziert das Unternehmen die Ziele, mit denen eine konkrete Herausforderung angegangen werden soll, um eine Art Baseline für das weitere Vorgehen zu erstellen.
Strategische Ausrichtung: Wenn ein Unternehmen bei einer Herausforderung seine unternehmerischen Risiken minimieren und den Nutzen erhöhen möchte, um so seine finanzielle Performanz oder Wettbewerbsvorteile oder -nachteile zu beeinflussen, bietet sich ein strategisches Stakeholder-Engagement an.
Moralische Ausrichtung: Steht die Legitimitätswirkung unternehmerischer Aktivitäten oder die Übernahme von sozialer und ökologischer Verantwortung im Zentrum, bietet sich eine moralische Ausrichtung an. Diese stellt die positiven Absichten in den Vordergrund, wie beispielsweise, dass sich Stakeholder und Unternehmen in ihrem Umgang am Prinzip der Fairness orientieren.
Pragmatische Ausrichtung: Wenn ein Unternehmen eine Lösung für ein ganz konkretes Problem sucht und dabei einen Nutzen für die beteiligten Stakeholder generieren möchte, bietet sich die pragmatische Herangehensweise an. Diese orientiert sich an der Philosophie des Pragmatismus, welche auf die Verbesserung der Lebensqualität der Stakeholder abzielt.
Klärung von Konflikten: Wenn Unternehmen von den Stakeholdern scharf kritisiert werden oder in Konflikte aufgrund von Fehlverhalten verwickelt sind, werden Beziehungen schnell destruktiv. Im Extremfall können destruktive Stakeholderbeziehungen sogar Wert zerstören. Unternehmen sollten daher unbeabsichtigte Schäden, aber auch beabsichtigtes Fehlverhalten als solches erkennen – mit dem Ziel, in eine neutrale Beziehungsqualität zurückzufinden, in welcher ein strategisches, moralisches oder pragmatisches Stakeholder-Engagement wieder möglich wird.
In der strategischen Form werden Stakeholder anhand ihrer strategisch relevanten physischen, finanziellen, sozialen oder intellektuellen Ressourcen identifiziert.
Die moralische Form legt den Fokus auf die Einbeziehung von »stillen« Stakeholdern (z.B. Minderheiten). Mit den üblichen Identifikationskriterien, wie die Macht von Stakeholdern, deren Legitimität und die Dringlichkeit ihrer Anliegen, werden diese Stakeholder oft nicht gefunden. Wenn ein Unternehmen jedoch moralische Ziele verfolgt, müssen gerade diese Stakeholder eingebunden werden.
Für pragmatische Ziele bietet sich die themenbasierte Stakeholder-Identifikation an. Dabei werden diejenigen Stakeholder berücksichtigt, welche ein Thema (z.B. Klimawandel, Fachkräftemangel, Digitalisierung) beeinflussen können oder vom Umgang mit diesem Thema betroffen sind und bei der Lösungsfindung mitwirken können und möchten.
Um die Klärung von Konflikten bei einem destruktiven Stakeholder-Engagement voranzutreiben, können Unternehmen ihre Beziehungen mit denjenigen Stakeholdern angehen, bei denen die gemeinsame Wertschöpfung besonders stark beeinträchtigt ist.
Welche Praktiken eingesetzt werden, hängt davon ab, wie intensiv ein Unternehmen seine Stakeholder in den Umgang mit der Herausforderung einbeziehen möchte. Die meisten Unternehmen nutzen bereits verschiedene Kommunikationskanäle (wie [soziale] Medien, Jahres- und Nachhaltigkeitsberichte), um Informationen – je nach gewählter Form des Stakeholder-Engagements – gezielt zu kommunizieren und sich mit ihren Stakeholdern auszutauschen. Zudem können Unternehmen Umfragen, Fokusgruppen oder auch physische und virtuelle «Vorschlagskästchen» nutzen, um die Anliegen ihrer Stakeholder genauer zu untersuchen.
Strategische Praktiken: Durch strategische oder Innovationspartnerschaften können komplementäre physische, finanzielle oder intellektuelle Ressourcen optimal genutzt werden. Auch Dialogformate mit Stakeholder sind für die Erreichung strategischer Ziele hilfreich.
Moralische Praktiken: Unternehmen können im Dialog gerade mit »stillen« Stakeholdern gemeinsame Werthaltungen entwickeln und definieren, wie diese geschützt werden können. Wenn Stakeholderbeziehungen von Machtungleichheiten gekennzeichnet sind, bieten sich demokratische Dialogformen an, die Unstimmigkeiten und das Anfechten von (mächtigeren) Anliegen erlauben. So erhalten »stille« Stakeholder eine gleichwertige Stimme.
Pragmatische Praktiken: Um pragmatische Lösungen für konkrete Problemstellungen zu finden, sind Multi-Stakeholder-Dialoge oder auch langfristige Partnerschaften sinnvoll.
Klärung von Konflikten: Um Auswege aus einem destruktiven Stakeholder-Engagement zu finden, ist es wichtig, dass Unternehmen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und eine entsprechende Dialogbereitschaft signalisieren. Wenn Beziehungen durch Misstrauen und Konflikt gekennzeichnet sind, bedarf es häufig einer Begleitung durch eine neutrale Drittpartei.
Im vierten Schritt muss das Stakeholder-Engagement in die zentralen Unternehmensstrukturen integriert werden. Nur dann können die vier Formen des Stakeholder-Engagements bei zukünftigen Herausforderungen zielgerecht genutzt werden. Dazu kann auch gehören, spezifische Stellen oder Abteilungen zu schaffen. Um zu evaluieren, ob sich eine Praktik bewährt hat, können Unternehmen die Auswirkungen des Stakeholder-Engagements messen. Zusätzlich zu den gewohnten quantitativ messbaren und meist finanziellen Zielgrössen sollten die Unternehmen auch Methoden zur Erfassung von qualitativen Auswirkungen, wie dem sozialen oder ökologischen Wohlbefinden von Stakeholdern, entwickeln.
Das Implementierungskonzept zeigt, wie Unternehmen durch zielgerichtetes Stakeholder-Engagement ökonomische, soziale und ökologische Herausforderungen angehen und so nachhaltigen Wert mit und für Stakeholder erzielen können. Wenn Unternehmen das Stakeholder-Engagement nicht zielgerichtet einsetzen, können ökonomische Nachteile entstehen. Aber auch Reputations- und Glaubwürdigkeitsverluste sind möglich, wenn soziale und ökologische Aspekte zu wenig berücksichtigt werden.
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