Event | 10. Januar 2022
Ende November 2022 war Lena Jüngst, Mit-Gründerin von Air up, bei uns zu Gast am «HWZ meets», wo wir sehr viel über das Start-up und die Personen dahinter erfuhren. Mit Stephan Feige, Fachstellenleiter Authentische Markenführung HWZ, sprach sie im Anschluss für das Magazin «Persönlich» nochmals vertieft über das Unternehmen und gewährte Einblick in die Zukunftspläne.
Dieses Interview ist als Erstpublikation in der Persönlich-Ausgabe vom 12. Dezember 2021 erschienen. Das Interview hat Stephan Feige geführt, die Fotos sind von Luis Rafael Rosenthal.
Frau Jüngst, Sie sind eine der Gründerinnen von Air up. Was ist Air up eigentlich und wie funktioniert es?
Air up ist das weltweit erste Trinksystem, das Wasser nur durch Duft aromatisiert. Im Vergleich zu anderen Lifestyle-Getränken oder Near-Water-Produkten geben wir aber keine Zusätze ins Wasser. Es ist also ein bisschen wie Magie: Man setzt einen mit natürlichen Aromen befüllten Pod auf das Mundstück unserer Flasche. Sobald man an unserem Strohhalm saugt, zieht man mit dem Wasser auch aromatisierte Luft in den Rachenraum. Von dort aus gelangen die Duftmoleküle in unser Riechzentrum und werden als Geschmack wahrgenommen. Kurzum: Unser Gehirn denkt, wir schmecken Kirsche, Limette oder Apfel, dabei nehmen wir ausschliesslich pures Wasser zu uns. Das ist nicht nur gut für unsere Gesundheit. Aufgrund der Wiederverwendbarkeit unseres Systems und der Pods reduzieren wir beim Getränkekonsum auch den negativen Einfluss auf die Umwelt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ganz einfach: Wir waren völlig freie Studentinnen und Studenten und hatten keine Hemmungen, radikal neue Lösungen zu durchdenken. Mein Co-Gründer Tim und ich haben beide Produktdesign an der FH in Schwäbisch Gmünd studiert. Im Sommer 2016 haben wir gemeinsam an unserer Bachelorarbeit mit dem Thema «Neuroscience meets design» gearbeitet. Dabei haben wir uns mit dem Thema retronasales Riechen, also der Aufnahme von Duft über den Mund und Rachenraum, der vom Gehirn als Geschmack wahrgenommen wird, beschäftigt. Und dann kam der entscheidende neue Gedanke: Wie cool wäre es, wenn wir uns nicht mehr zwischen Gesundheit und Geschmack entscheiden müssten? Damit war ein radikal innovatives Produkt geboren. Für die Bachelorarbeit haben wir einen ersten funktionalen Prototyp gebaut. Die Idee, eine Firma zu gründen, kam erst später.
Warum haben das nicht die Grossen der Getränkeindustrie entwickelt?
Gute Frage, denn das Phänomen des retronasalen Riechens ist ja durchaus schon bekannt. Aber ich glaube, unser «think new, drink new»-Ansatz konnte nur in einem frei denkenden Start-up so gedeihen. Die langsamere Innovationsgeschwindigkeit grosser Unternehmen ist ja meist hausgemacht, weil bestimmte Dinge «schon immer so gemacht» wurden. Das lässt nicht viel Raum für neue Ansätze, Diversität und kreative Freiheit. Unser Produkt zum Beispiel ist ja auch nicht nur ein Getränkezusatz, und es hätte in seiner Radikalität wohl nie in einem grossen, etablierten Unternehmen entstehen können.
Wo steht Ihre Firma mittlerweile?
Wenn ich mir die Entwicklung von Air up anschaue, dann kann ich es manchmal selbst kaum glauben. Kurz nach unserem Stipendium kamen 2018 bereits die ersten Investoren dazu. Zwei Jahre später sind wir profitabel, in acht Ländern aktiv und planen den Markteintritt in die USA. Die Verkaufszahlen haben all unsere Erwartungen übertroffen, und wir waren sehr überrascht, wie viele Menschen unseren Enthusiasmus für die Air up-Idee teilen.
Auch unser Team wird immer grösser: Wir sind mittlerweile ein fantastisch vielfältiges Team mit über 170 Mitarbeitenden aus über 30 verschiedenen Nationen mit unterschiedlichen Charakteren und Fähigkeiten. Das macht mich wirklich stolz.
Wer sind Ihre Kunden? Wie nehmen diese Air up wahr?
Unsere wichtigste Zielgruppe ist die Generation Z— in Zahlen ausgedrückt: die 18- bis 25-Jährigen. Das sind junge Menschen wie wir, die sich Gedanken machen, wie die Welt von morgen aussieht und wie unser heutiger Konsum uns und unsere Umwelt nachhaltig beeinflussen wird. Sie sind überzeugt, dasssich die grossen Herausforderungen, wie zum Beispiel der Klimawandel, nicht durch ein Weiter-so lösen lassen — es braucht ein neues Denken, starke Entscheidungen und Innovationen. Gleichzeitig wollen unsere Kundinnen und Kunden nicht auf einen bestimmten Lifestyle verzichten. Das alles haben wir mit unserer Zielgruppe gemeinsam.
Wie nahe kommen Sie mit Ihrer Lösung den Vorbildgeschmäckern?
Na ja, Vorbild … reden wir besser von alten Gewohnheiten. Bei Softdrinks schmeckt man vor allem die Süsse des Zuckers oder der süssenden Zusatzstoffe, die man nur über die Geschmacksnerven der Zunge aufnimmt. Deshalb ist der Geschmack unserer Pods im direkten Vergleich natürlich weniger intensiv. Wir wollen aber auch nicht wirklich Geschmäcker nachahmen, sondern Wassertrinken neu denken, es attraktiver, vielfältiger und spannender machen.
Inwiefern konnten Sie die Idee oder die Entwicklung schützen? Oder müssen Sie immer einfach etwas schneller und etwas besser als Wettbewerber sein?
Schneller und besser sind wir sowieso. Aber ernsthaft, wir haben Air up natürlich patentrechtlich geschützt, und bisher gibt es auch kein vergleichbares Produkt. Ich denke, dass einfach niemand so eine radikal neue Erfindung auf dem Schirm hatte. Und auch heute arbeiten wir ständig daran, unser Produktweiterzuentwickeln. Wir wollen für unsere Kundinnen und Kunden die Nummer eins bleiben. Und da lassen wir uns viel einfallen.
Sie verfolgen mit dem Verkauf der Flasche und den Aromapods so etwas wie das Nespresso-Modell und sind auch eher ein Premiumangebot. Haben Sie das mit den Investoren gemeinsam so entwickelt, oder war das von Anfang an Ihre Idee und Zielsetzung?
Tatsächlich stand das Geschäftsmodell schon fest, bevor die Investoren hinzukamen — sicher auch ein Grund, weswegen uns Geldgeber interessant finden. Wir arbeiten halt an einer ungewöhnlichen Schnittstelle von Tech- und Lebensmittelbranche, was ein solches Geschäftsmodell erst möglich macht. Von Nespresso unterscheiden wir uns stark, vom Grundkonzept bis zum Thema Nachhaltigkeit. Wir sind auch nicht wirklich ein Premiumprodukt, denn obwohl wir für die technisch aufwendige und hochwertige Trinkflasche einen gewissen Preis aufrufen müssen, so lohnt sie sich durch die häufige Wiederverwertung trotzdem. Ein Pod bringt fünf bis sieben Liter leckeres und gesundes Wasser und ist damit im Preis pro Liter wesentlich günstiger als die gängigen Softgetränke. Die sind ja auch nicht Premium, also sind wir es erst recht nicht. Ich bin sicher, wer im Sommer eine Air up-Flasche mit eiskaltem Wasser füllt und einen Kaffee-Pod aufsteckt, der wird ein cooles Eiskaffee-Erlebnis haben und dabei weder den Premiumpreis noch den Umweltabdruck etablierter Kaffeekapseln vermissen.
Bleiben Sie vorerst ein Ein-Produkt-Unternehmen? Oder in welche Richtung entwickeln Sie Ihr Angebot weiter?
Nein, wir wollen definitiv kein Ein-Produkt-Unternehmen bleiben. Dafür haben wir viel zu viel Potenzial! Und viel zu viele neue Ideen. Unser Produkt ist erfolgreich, weil wir damit eine neue Generation erreichen konnten. Eine Generation, die erlebnis- und convenience verwöhnt ist und gleichzeitig Angstvor einem Klimawandel hat und sehr auf ihre Gesundheit achtet. Air up verknüpft ein emotional attraktives Produkt mit verantwortungsvollem Konsum. Wir sind sicher, dass es noch weitere Produktbereiche gibt, in denen man Ähnliches schaffen kann. Aber es wird noch etwas Zeit und viele kreativeGedanken brauchen, bis wir weitere Produkte auf den Markt bringen können.
Sie vertreiben bevorzugt direkt über den eigenen Webshop. Ist das aus der Not heraus geboren oder Kern Ihrer Strategie, den direkten Kontakt zu den Kunden zu haben? Wie sehen Sie das für die Zukunft?
Nein, das ist gar nicht aus der Not heraus geboren. Da air up viel leichter und kleiner als herkömmliche Softdrinks ist, sind wir ein optimales Onlineprodukt. Der Verkauf über den Handel ist vergleichsweise sehr aufwendig. Deshalb haben wir unsere Vertriebsstrategie so angepasst, dass der Grossteil unserer Flaschen online zu unseren Kunden findet.
Wie hat sich Ihre Rolle als ursprüngliche Produktdesignerin vier Jahre nach der Gründung des Unternehmens entwickelt?
Nun ja, am Anfang mussten wir alles, was wir erreichen wollten, selbst umsetzen. Für mich hat das bedeutet, das Produktdesign zu machen, einen Markennamen zu finden, der rechtens ist, Social-Media-Posts zu designen und so weiter. All unsere Tätigkeiten waren sehr operativ. Mittlerweile sind wir sehr viel mehr «air-uppies», und ich habe mich in eine deutlich strategischere Position bewegt. Ich arbeite zwar immer noch verstärkt am Markenaufbau, aber nun eher aus einer langfristigen Perspektive, und tüftle weniger am Packaging oder Produkt herum. Ausserdem überlege ich mir, wie unsere Produktvisionnach 2024 aussehen soll, und leite das Corporate-Communication-Team. Ehrlich gesagt, mache ich genau die Dinge, die ich mir in meinem Studium erträumt habe und die ich wohl in keinem anderen Unternehmen nach so kurzer Zeit hätte machen dürfen.
Wo sehen Sie das Unternehmen in fünf Jahren?
Oh, mir wird ganz schwindelig, wenn ich nur drei Jahre zurückblicke — wie also erst wird es in fünf Jahren aussehen? Also dieses Jahr haben wir erstmalig eine Drei-Jahres-Strategie erarbeitet. Der Markteintritt in weitere europäische Märkte und in die USA sowie die Verlagerung unserer Produktion in Richtung Europa sind kommende Meilensteine. Neben all dem Wachstum müssen wir uns auch als Unternehmen konsolidieren — Geschwindigkeit ist nicht alles. Und schliesslich werden wir sicher noch für Überraschungen bei der Flasche und den Pods sorgen, auch jenseits von diesem Produkt.
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