Aktuell | 3. November 2025
Die Schweiz wird älter – und das verändert den Wohnungsmarkt grundlegend. Vier Absolvent:innen des MAS Real Estate Management HWZ zeigen, warum die Nachfrage Richtung kleiner, barrierefreier Wohnungen kippt, wo Stadt und Land auseinanderdriften und welche Schritte Investoren, Gemeinden und Politik jetzt gehen müssen.

Maria Röllin, Igor Cvetkovic, Marina Dotlo und Henry Künzler haben ihre Master Thesis an der HWZ gemeinsam verfasst: «Demografischer Wandel und Immobilien: Herausforderungen und Lösungsansätze für eine älter werdende Gesellschaft in der Schweiz.» Ihre Analysen zeigen drei Konstanten: Die Nachfrage verschiebt sich zu kleineren, barrierefreien Wohnungen; Stadt und Land stehen vor unterschiedlichen Aufgaben; und der Remanenzeffekt bindet Wohnfläche, die jungen Familien fehlt. Im Gespräch erklären sie, wo der Mismatch zwischen Bestand und Bedarf am grössten ist, wie sich freiwerdende Flächen sinnvoll nutzen lassen und wie sie die Erkenntnisse bereits in ihrem Berufsalltag umsetzen.
Ihr habt gemeinsam den MAS Real Estate Management HWZ absolviert und zusammen eine Master Thesis geschrieben. Gibt es noch mehr, das euch verbindet? 😉
Igor: Ja, definitiv! Uns verbindet nicht nur das Studium und die gemeinsame Master Thesis, sondern auch echte Leidenschaft für Immobilienthemen. Marina, Maria und Henry kannten sich sogar bereits von gemeinsamen Projekten aus dem beruflichen Umfeld – ich war «der Neue» in dieser Runde.
Durch den MAS konnten wir nicht nur unsere Fachkenntnisse vertiefen, sondern haben auch gemerkt, wie gut wir als Team funktionieren – fachlich und menschlich. Besonders in der intensiven Schlussphase der Master Thesis war das gegenseitige Vertrauen Gold wert. Dass wir ähnliche Werte und einen hohen Qualitätsanspruch teilen, hat uns die Zusammenarbeit wirklich erleichtert – und vielleicht war das nicht unser letztes gemeinsames Projekt.
Das hört sich grossartig an! Warum habt ihr zu viert geschrieben und wie habt ihr die Arbeit organisiert?
Maria: Unser Studiengang im Bereich Real Estate Management ist der einzige, bei dem die Master Thesis in der Gruppe geschrieben werden muss. Das hat den Vorteil, dass verschiedene Themen und Methoden abgedeckt werden können.
Durch die Aufteilung in verschiedene Themengebiete konnte jeder seine Stärken gezielt einbringen. Wir verteilten klare Rollen, legten Meilensteile fest, hielten wöchentliche Online-Meetings ab und arbeiteten in einer gemeinsamen Ablage. Alles zusammen sorgte dafür, dass wir unseren Zeitplan einhielten. Konflikte lösten wir durch eine transparente und offene Kommunikation.
Eure Forschungsfrage dreht sich um die Auswirkungen der alternden Bevölkerung auf den Immobilienmarkt und welche Anpassungen im Wohnungsbestand sowie in der Wohnungsentwicklung erforderlich sind, um der zukünftigen Wohnnachfrage adäquat zu begegnen. Warum ist dieses Thema gerade jetzt relevant?
Marina: Das Thema ist hochaktuell, weil sich die Altersstruktur in der Schweiz deutlich verschiebt. Die Babyboomer treten ins Rentenalter ein, während die Geburtenraten niedrig bleiben. Prognosen zeigen: Der Anteil der über 65-Jährigen könnte bis 2055 auf rund ein Viertel der Bevölkerung steigen, die Zahl der über 80-Jährigen sich sogar verdoppeln.
Damit wächst der Bedarf an altersgerechtem Wohnraum, während ein grosser Teil des heutigen Bestandes dafür nicht ausgelegt ist. Gleichzeitig stagniert die Erwerbsbevölkerung, sodass die Zuwanderung zunehmend an Bedeutung gewinnt. Diese Entwicklungen sind nicht nur Zukunftsszenarien – erste Effekte lassen sich bereits heute in Städten wie Zürich beobachten.
Ihr habt drei Hypothesen – Entwicklung der Wohnnachfrage, Unterschiedliche regionale Herausforderungen, Wohnflächenbindung durch die ältere Generation – überprüft. Welche haben sich bestätigt (oder nicht) und mit welchen Folgen für den Markt?
Igor: Unsere Untersuchung zeigt drei zentrale Erkenntnisse:
Erstens verschiebt sich die Nachfrage spürbar hin zu kleineren, barrierefreien Wohnungen. Rund zwei Drittel der über 65-Jährigen würden sich eine solche Wohnung wünschen – sofern der Umzug finanziell und organisatorisch einfacher wäre.
Zweitens entwickeln sich Stadt und Land unterschiedlich: In ländlichen Regionen drohen Leerstände in grossen Einfamilienhäusern, während Städte wie Zürich schon heute unter einem akuten Mangel an kleinen Wohnungen leiden.
Drittens sind viele Ältere kaum umzugsbereit. Über die Hälfte der heutigen Wohneigentümer ist bereits über 65 Jahre alt – dadurch bleibt viel Wohnfläche gebunden, die für junge Familien dringend gebraucht würde. Diese Situation führt zu einer spürbaren Schieflage auf dem Markt.
Maria: Für den Markt heisst das: Neu bauen und den bestehenden Wohnraum besser an die veränderten Bedürfnisse anpassen.
Ihr habt es bereits angesprochen: Die Bestands- und Neubaustruktur passt oft nicht zur Nachfrage. Wo zeigt sich die Diskrepanz am deutlichsten, und was folgt daraus?
Marina: Die Diskrepanz zeigt sich vor allem darin, dass weiterhin viele grosse Wohnungen und Einfamilienhäuser vorhanden sind und auch weiterhin gebaut werden, während die Nachfrage – getrieben durch demografischen Wandel und Singularisierung – klar bei kleineren, bezahlbaren und altersgerechten Wohnungen liegt. Viele ältere Menschen bleiben in ihren bisherigen Wohnungen, die oftmals grösser sind als sie benötigen, wodurch gleichzeitig ein Mangel an Kleinwohnungen entsteht. Langfristig droht ein Überangebot an grossen Objekten mit Leerständen und Preiskorrekturen. Deshalb müssen Neubau und Bestandsentwicklung stärker an die tatsächliche Nachfrage angepasst werden.
Igor: In den Städten sind Kleinwohnungen sofort weg, grosse Objekte stehen länger leer. Der Markt muss flexibler werden und bestehende Liegenschaften umnutzen sowie sich auf kleinere, barrierefreie Einheiten im Neubau fokussieren.
Wie unterscheiden sich die Herausforderungen zwischen Stadt und Land – und welche Wohnungstypen braucht es wo?
Marina: In den Städten liegt die Herausforderung im knappen Raum und hohen Preisen – dort braucht es vor allem kleine, bezahlbare und altersgerechte Wohnungen. Auf dem Land hingegen steht man eher vor dem Problem eines Überangebots an grossen Wohnungen und Einfamilienhäusern. Hier geht es darum, bestehende Objekte anzupassen und neue Wohnformen zu schaffen, die auch für eine älter werdende Bevölkerung attraktiv bleiben.
Maria: Interessant ist ausserdem, dass die Mietpreise zwar in den Städten deutlich höher ausfallen, die Nebenkosten wie Strom- oder Heizkosten auf dem Land jedoch oftmals stärker ins Gewicht fallen.
Gerade vor dem Hintergrund steigender Energiepreise gewinnt dieser Aspekt an Bedeutung und verdeutlicht, dass Leistbarkeit nicht nur über den Mietzins, sondern auch über die laufenden Wohnkosten betrachtet werden muss.
Viele Ältere bleiben lange in grossen Wohnungen, obwohl sie den Wohnraum nicht mehr benötigen (Remanenzeffekt). Was bedeutet es konkret für Preise und Planung, wenn dieser Wohnraum in den nächsten Jahren frei wird?
Henry: Wenn der Wohnraum der älteren Generation frei wird, trifft ein grosses Angebot an grossen Wohnungen und Einfamilienhäusern auf eine kleiner werdende Nachfrage. Das kann in gewissen Regionen zu sinkenden Preisen und Leerständen führen.
Für die Planung bedeutet das: mehr Fokus auf kleinere, altersgerechte Wohnungen und flexible Umnutzungen des Bestands.
Marina: Wenn dieser Wohnraum frei wird, kommt er nicht schlagartig, sondern nach und nach auf den Markt. Das gibt Zeit, Strategien zu entwickeln – etwa wie man freiwerdende Einfamilienhäuser sinnvoll nachnutzt oder in verdichtete Wohnformen überführt. Für Investoren und Gemeinden entstehen damit Chancen, Bestände gezielt zu transformieren und so besser auf die veränderte Nachfrage zu reagieren.
Was sind eure drei wichtigsten Handlungsempfehlungen aus eurer Arbeit? Was hat in der Wohnraumentwicklung Priorität?
Henry: Zentral sind drei Punkte:
Erstens braucht es mehr Umzugsanreize, damit der bestehende Wohnraum besser genutzt werden kann.
Zweitens sollte der Neubau stärker auf kleinere, barrierefreie und bezahlbare Wohnungen ausgerichtet werden.
Drittens ist eine vorausschauende Planung von Gemeinden und Investoren entscheidend, um Angebot und Nachfrage langfristig in Einklang zu bringen.
Maria: Wirksame Umzugsanreize sind zentral, damit ältere Personen in kleinere Wohnungen umziehen, ohne dass sie danach mehr Mietzins bezahlen müssen. Das kommt den Bedürfnissen einer älter werdenden Bevölkerung entgegen.
Wie setzt ihr zentrale Erkenntnisse aus eurer Thesis in eurem Berufsalltag um?
Marina: Im Berufsalltag achte ich heute viel stärker darauf, ob Angebot und Nachfrage wirklich zusammenpassen. Das heisst: kleinere und altersgerechte Wohnungen fördern, Sanierungen strategisch planen und die demografische Entwicklung in langfristige Entscheidungen einbeziehen.
Henry: Bei der Begleitung von Bauprojekten betone ich gegenüber Investoren die Bedeutung von Kleinwohnungen. Zudem achte ich bei der Vergabe grosser Mietwohnungen darauf, dass diese möglichst Familien zugutekommen.
Wer muss jetzt als Erstes handeln und was ist der «nächste machbare Schritt» für Investoren/Entwickler, Gemeinden/Städte und Politik?
Igor: Am dringendsten gefordert sind Städte und Gemeinden, weil sie über Bau- und Zonenordnungen bestimmen. Sie können den Rahmen schaffen, damit mehr altersgerechte Wohnungen entstehen. Investoren und Entwickler sollten die Chancen erkennen, die im Segment kleiner Wohnungen liegen. Für die Politik ist es entscheidend, steuerliche und regulatorische Anreize zu setzen, um Umzüge zu erleichtern.
Der nächste machbare Schritt wäre ein Pilotprojekt, bei dem ältere Eigentümer unterstützt werden, Wohnraum zu tauschen, um so Wohnfläche zu mobilisieren. Denn nur durch koordiniertes Handeln aller Akteure kann die Immobilienwirtschaft auf die demografischen Herausforderungen reagieren.
Henry: Investoren können sofort bei neuen Projekten den Fokus auf kleinere, bezahlbare Wohnungen legen. Gemeinden sollten pragmatisch bestehende Vorschriften prüfen und dort, wo es sinnvoll ist, Hürden abbauen.
Welchen Rat gebt ihr Jüngeren, damit Wohnen im Alter bezahlbar bleibt?
Maria: Seid offen für alternative Wohnformen wie Genossenschaften oder gemeinschaftliches Wohnen. Wer flexibel bleibt und früh verschiedene Optionen prüft, schafft sich Spielraum und schützt sich vor hohen Wohnkosten im Alter.
Igor: Beginnt früh mit der Wohn- und Vermögensplanung. Wer langfristig denkt und rechtzeitig Wohnen mit finanzieller Vorsorge kombiniert, kann sich im Alter Freiheiten sichern. Wichtig dabei: bleibt flexibel und investiert nicht nur in Wohneigentum, sondern seid auch für neue Wohnmodelle offen.
Marina: Engagiert euch lokal oder politisch für sozial durchmischte, altersgerechte Wohnpolitik.
Henry: Unterstützt Projekte, die in urbanen Regionen mehr Kleinwohnungen schaffen.
Der demografische Wandel ist keine entfernte Prognose, sondern die Planungsrealität der nächsten Jahre. Klein, barrierefrei und bezahlbar – dieser Mix entscheidet, ob Bestände wirken und Neubau treffsicher bleibt. Die vier Absolvent:innen zeigen, wie Umzugsanreize, flexible Grundrisse und pragmatische kommunale Regeln Wohnfläche mobilisieren. Wenn Investoren, Städte und Politik diese Hebel koordiniert ziehen, wird bezahlbares Wohnen im Alter zur Normalität – in Stadt und Land.
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