Campus | 18. September 2020
Die HWZ-Absolventinnen Selma Hadžić und Saphir Ben Dakon haben sich in ihrer Bachelorarbeit mit ethisch relevanten Fragestellungen befasst. Dieser Effort wurde belohnt: Die beiden Absolventinnen des Bachelor Business Communications HWZ erhielten je einen Ethikpreis der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Im Interview erklären die Beiden mehr über die Beweggründe zu ihrer Abschlussarbeit.
Die Katholische Kirche im Kanton Zürich vergibt jedes Jahr Ethikpreise an die besten Abschlussarbeiten, die sich mit ethischen Fragen auseinandersetzen. In diesem Jahr konnte sich die Jury bei den besten zwei eingereichten Bachelorarbeiten nicht entscheiden. Daher wurden zwei Abschlussarbeiten mit dem ersten Platz, dotiert mit je 5’000 Franken, ausgezeichnet. Zwei weitere Abschlussarbeiten wurden mit 3’000 und 2’000 Franken prämiert. Erfreulich: Die zwei ersten Plätze gingen an Selma Hadžić und Saphir Ben Dakon, die 2019 den Bachelor Business Communications abgeschlossen haben.
Dass HWZ-Absolvierende ausgezeichnet wurden, freut auch Alberto Bondolfi, Leiter des Institutes für Religionswissenschaft der Fondazione Bruno Kessler in Treno, im Rahmen der Preisverleihung:
Die HWZ wollte mehr über die ausgezeichneten Bachelorarbeiten erfahren und hat bei den beiden Preisträgerinnen nachgefragt.
Selma Hadžić
Frau Hadžić, in Ihrer Bachelorarbeit haben Sie sich mit den Möglichkeiten und Einschränkungen der Arbeitsmarktlichen Integration von Eritreischen Flüchtlingen im Kanton Aargau beschäftigt. Welchen Bezug haben Sie zu diesem Thema?
1992 brach in Bosnien der Bürgerkrieg aus. Meine Mutter flüchtete mit meiner Schwester und mir in die Schweiz. Ich kann mich an die Erlebnisse der 90er Jahre nur sehr schwach erinnern. Jedoch weiss ich, wie schwierig es in dieser Zeit war, sich in der Schweiz ein Leben aufzubauen.
Mitte 2018 habe ich mich dazu entschieden, einen Beitrag zur Integration der Flüchtlinge beizutragen und habe so begonnen, ehrenamtlich Deutsch zu unterrichten. Während meiner Zeit als Deutschlehrerin wurde mir bewusst, wie hilflos Asylsuchende zum Teil sind. Zwar haben alle einen Betreuer, jedoch wird diese Funktion sehr unterschiedlich ausgeübt. Es besteht noch viel Optimierungspotenzial hinsichtlich Integration.
Ich bin davon ausgegangen, dass bei der Integration von Ex-Jugoslawen, in diesem Fall Bosniern, einiges richtig gemacht wurde. So wollte ich unter anderem prüfen, ob das, was damals funktioniert hatte, auf die (eritreischen) Flüchtlinge übertragen werden kann.
Wie sind Sie bei der Arbeit vorgegangen?
Die Forschung über die Themen Flüchtlinge, Eritreer, Bosnier und Asylwesen verlief zu Beginn ziemlich unsystematisch. Ich durchsuchte praktisch alle auffindbaren Informationen, bis sich langsam eine Struktur entwickelte. Während der Bearbeitung der Bachelor Thesis hatte sich zudem das Asylgesetz geändert. So hatte dies zur Folge, dass Teile der Bachelor Thesis nochmals überarbeitet werden mussten.
Weiter wählte ich für die Datenerhebung zwei Experteninterviews. Für die Befragung der eritreischen Flüchtlinge fand sich sehr schnell ein geeigneter Experte. Viel mehr bestand die Herausforderung darin, Auskünfte über die bosnischen Flüchtlinge der 90er Jahre zu erhalten. Keine der angefragten Organisationen hatte Mitarbeitende, die bereits in den 90er Jahren angestellt waren oder Kenntnisse über die damalige bosnische oder ex-jugoslawische Asylsituation hatten. Glücklicherweise gelangte ich schliesslich zu einem Herrn mit bosnischer Herkunft, der aktuell beim Schweizerischen Roten Kreuz arbeitet.
Was mir nun noch fehlte, waren Aussagen von Betroffenen. Da war ich an der Quelle. Ich führte mit 100 eritreischen Flüchtlingen einen Workshop zu den Themen Sprache, Bildung, Arbeit und Gesundheit durch. Die Teilnehmenden waren sehr froh darüber, über ihre Situation befragt zu werden und nahmen diese Möglichkeit sehr wertschätzend entgegen.
Die Bachelorarbeit ist ein langer Prozess. Was hat Sie während der Arbeit besonders überrascht?
Hinsichtlich meiner Untersuchung haben mich die Erkenntnisse zu den nicht vorhandenen Integrationsmassnahmen der 90er Jahre überrascht. Welches Durchhaltevermögen, welche Stärke und welchen Willen die geflüchteten Menschen gehabt haben müssen.
Auf das Thema Bachelor Thesis im Allgemeinen bezogen, hat mich überrascht, wie aus einem Sammelsurium aus Informationen etwas für mich sehr Wertvolles entstanden ist. Wie sich langsam ein roter Faden entwickelt und man schliesslich ein Produkt in den Händen hält, worauf man sehr stolz ist – das hat mich sehr gefreut. Vor der Bachelor Thesis haben so manche Studierende sehr grossen Respekt. Wann hat man schon mal solch eine umfassende Arbeit geschrieben – und das noch alleine? Die zusätzliche Ehre, den Ethikpreis dafür zu gewinnen, erfüllt mich mit sehr sehr grossem Stolz.
Zu welcher Schlussfolgerung sind Sie gekommen?
Die theoretischen sowie empirischen Untersuchungen haben gezeigt, dass Bosnier in den 90er Jahren keine arbeitsmarktförderlichen Integrationsmassnahmen erlebt haben. Die Massnahmen beschränkten sich vor allem auf den Schutz vor Überfremdung und auf die Ankurbelung der Wirtschaft. Kantonale Integrationsprogramme bestehen erst seit 2013.
Aufgrund der nicht vorhandenen Integrationsmassnahmen für Bosnier in den 90er Jahren ist ein individuell auf die Eritreer zugeschnittener Massnahmenkatalog entstanden. Der Massnahmenkatalog würde das Interview sprengen.
Um aber ein paar Gemeinsamkeiten zwischen der Asylsituation bosnischer und eritreischer Flüchtlinge aufzuzeigen:
Bosnische sowie eritreische Flüchtlinge waren zum Teil extremen traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Ohne Schutzfaktoren wirken sich solche Erfahrungen massgeblich auf den Integrationsprozess aus. Die Bosnier wurden laut Untersuchungen nicht angemessen behandelt und einige leiden noch heute an depressiven Erkrankungen.
Der bosnischen Bevölkerung schlug zudem auf die Gesundheit, dass sie lange Zeit einen unsicheren Asylstatus hatte. Noch heute kann ein Asylverfahren bis zu 4 Jahre dauern, in denen Asylsuchende nicht wissen, was mit ihnen geschehen wird.
Bosnischen Flüchtlingen fehlten Netzwerke zur einheimischen Bevölkerung. Die empirische Untersuchung sowohl mithilfe der Experten sowie mithilfe des Workshops hat ergeben, dass auch eritreische Flüchtlinge wenig Kontakt zu Einheimischen haben. Im Workshop fielen Gründe wie: «Schweizer haben keine Zeit» oder «Schweizer mögen keine Asylanten».
Zur Bildung der eritreischen Flüchtlinge existieren verschiedene Meinungen. Dennoch absolvieren einige die Hochschule oder zumindest die Sekundarschule. Durch die Nichtanerkennung bosnischer sowie eritreischer Diplome wurden bis anhin beide hinsichtlich des Berufs disqualifiziert und konnten ihre Fähigkeiten nicht weiter ausbauen oder ihren Stammberuf ausüben.
Ihre Bachelorarbeit liegt nun bereits über ein Jahr zurück. Beschäftigen Sie sich weiterhin mit dem Thema?
Ja, ich beschäftige mich auch heute noch mit diesem Thema. Aus privaten Gründen bin ich nicht mehr im Verein tätig, habe jedoch weiterhin Kontakt mit Asylsuchenden. Einige ehemaligen Schüler höre ich wöchentlich. Gerade vor ein paar Tagen hat mich ein ehemaliger Schüler kontaktiert, der nach vier Jahren einen negativen Bescheid erhalten hat. Man muss sich das vorstellen, vier Jahre lang hat man sich in der Schweiz ein Leben aufgebaut, war fleissig und ein Vorbildschüler und nun kriegt er das Schreiben mit dem Anhang «Rückkehrhilfe». Da versuche ich nun zu helfen. Solange eine minimale Chance auf ein besseres Leben für die Menschen besteht, darf ein solcher Entscheid nicht nur hingenommen werden.
Saphir Ben Dakon
Frau Ben Dakon, Sie haben Ihre Bachelorarbeit zum Thema «Geschlechterspezifische Unterschiede bei der Integration von Menschen mit einer körperlichen Behinderung» verfasst. Sie leben selber mit einer Bewegungseinschränkung – wie stark schränkt Sie diese in Ihrem Berufsalltag ein?
Mein Berufsalltag ist der einzige Bereich in meinem Leben, wo mich meine Behinderung nicht direkt einschränkt. Anders als viele andere Selbstbetroffene habe ich den Luxus, dass ich mich für Stellen bewerben kann, bei denen meine Cerebralparese nicht ins Gewicht fällt. Meine Behinderung behandle ich bei der Durchsicht von Stellenangeboten etwa so wie die Unternehmenssprache: Wäre diese in einer Unternehmung Italienisch, könnte ich mich nicht bewerben, da ich diese Sprache nicht spreche.
Was mich stark einschränkt, ist der Fokus vieler Menschen auf meine Einschränkung. So werde ich öfters nach meinen Einschränkungen, als nach meinen Talenten gefragt. Die meisten HR-Fachleute haben keine medizinischen Kenntnisse und brauchen diese auch nicht. Sie sollten daher die selbstbetroffene Person einschätzen lassen, ob ein Stellenantritt aufgrund der Behinderung möglich ist. Oft werde ich aber gar nicht eingeladen oder erhalte auf Bewerbungen komische telefonische Rückfragen, weil viele wohl wenig Berührungspunkte mit dem Thema Behinderung haben. Daher habe ich oft auch Mühe in ein Gespräch über Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb einer Unternehmung zu kommen.
Für Ihre Arbeit haben Sie mit verschiedenen Betroffenen gesprochen. Was hat Sie dabei besonders überrascht?
Die Gespräche mit Selbstbetroffenen haben sich sehr stark mit meinen persönlichen Erfahrungen gedeckt. Dies hätte ich in diesem Ausmass nicht erwartet, da ich mit anderen Selbstbetroffenen bis zu diesem Zeitpunkt nicht oft über das Thema Arbeit gesprochen habe. Zudem haben sich die meisten Interviewpartner noch nie mit den Auswirkungen ihres Geschlechts auf den eigenen Lebensweg auseinandergesetzt. Dieses Thema hat mich in meinem Leben sicherlich stärker begleitet, als es bei vielen anderen der Fall war.
Matthias Mölleney, Leiter Center for Human Resources Management & Leadership, hat Sie während des Prozesses begleitet. Wie oder wo konnte er Sie besonders unterstützen?
Herr Mölleney konnte mich sehr stark beim empirischen Teil unterstützen. Er hat mir die Schwächen meines Interviewleitfadens aufgezeigt. Anhand seines Feedbacks konnte ich die Fragen überarbeiten und der empirische Teil wurde damit zu einem sehr wichtigen und aufschlussreichen Teil der Arbeit.
Sie sind in Ihrer Bachelorarbeit der spezifischen Frage nachgegangen, ob gerade Frauen aufgrund ihres Geschlechts eine Mehrfachdiskriminierung im Arbeitsmarkt erfahren. Liess sich diese Forschungsfrage verifizieren?
Nein, die Forschungsfrage liess sich so nicht verifizieren. Festzuhalten ist, dass gerade die Teilnahme am Arbeitsmarkt aufgrund vieler Variablen komplex ist und daher aufgepasst werden muss, dass keine Scheinkorrelation hergestellt wird. In diesem Bereich wird wenig geforscht, darum gibt es auch keine gesicherten Sekundärdaten, anhand derer sich diese Fragestellung verifizieren liesse. Es gibt bestenfalls Meinungen dazu, die sich auf diverse Grundlagen stützen. Zum Beispiel konnte eine Studie der Uni St. Gallen feststellen, dass die höheren Bildungsabschlüsse von Menschen mit Behinderungen weniger oft zu mehr Lohn führen. Dabei gibt es Indikatoren, dass Frauen in diesem Bereich doppelt benachteiligt sind. Diese Resultate sind aufgrund vieler Faktoren sehr komplex und müssen für eine abschliessende Beurteilung weiter erforscht werden. Die Datengrundlage bildeten 885 950 Aufzeichnungen, darunter auch 40 438 Personen mit Behinderungen von der «American Community Survey 2015».
Ihr Abschluss liegt nun bereits ein Jahr zurück. Beschäftigen Sie sich weiterhin mit dem Thema Ihrer Bachelorarbeit?
Nein, ich beschäftige mich nicht spezifisch mit diesem Thema. Da habe ich einfach auch zu viele andere Interessen. Wenn wir jetzt beim Themenbereich Behinderung bleiben wollen, so interessiere ich mich momentan stark für Neuropsychologie und neue Behandlungsmethoden im Bereich der Robotik.
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