Forschung | 1. Juni 2023
Die Volatilität ist ein Merkmal des noch jungen Kryptomarktes. Wenn der Bitcoin-Wert stark steigt, kann er auch stark fallen. Viele Leute können den Stress nicht ertragen und verkaufen ihre Bitcoins in Panik, wenn der Wert sinkt, um nicht alles zu verlieren. Welche Rolle spielen dabei die sozialen Medien? Inwiefern beeinflussen sie die Handlungen der Anleger? Im Working Paper «Bitcoin – Wie Social Media Privatanlegende in ihrem Handeln beeinflussen» von Thierry Berger, Absolvent Bachelor Business Communications HWZ und Bernhard Schneider, Dozent im Bachelor Business Communications HWZ, geht es genau um diese Fragen.
Bitcoin ist, plakativ ausgedrückt, digitales Gold: Das Angebot ist fixiert und somit das härtere monetäre Gut als klassische Fiatwährungen. Von 2011 bis 2021 ist der Bitcoin-Wert gegenüber dem US-Dollar jedes Jahr um durchschnittlich 230% gestiegen. Das hat viele Privatleute angezogen, die sich oft auf Twitter und anderen Social-Media-Kanäle über Krypto-Trends informieren und von der allgemeinen Stimmung beeinflusst werden. Die Eintrittsbarrieren sind tief. Jeder hat schnell ein Bitcoin-Wallet erstellt und ist Teil der Bewegung.
Wenn aber ein Preis ohne fundamentale Ursache stark steigt, erhöht sich dadurch der ebenfalls nicht fundamental bedingte Spielraum nach unten. Die hohe Volatilität ist ein Merkmal des noch jungen Marktes. Die Mehrheit der Privatinvestor:innen kann mit diesem Druck nicht umgehen. Viele verlassen den Markt bereits nach wenigen Wochen oder Monaten in Panik, wenn ein satter Verlust anstelle eines hohen Gewinns eingetreten ist, um das übriggebliebene Investment vor einem Totalverlust in Sicherheit zu bringen.
Wir wollten mehr über diese interessanten Vorkommnisse im Kryptomarkt erfahren und sprachen mit Thierry Berger und Bernhard Schneider, den beiden Verfassern des Working Papers «Bitcoin – Wie Social Media Privatanlegende in ihrem Handeln beeinflussen». Thierry Berger ist Absolvent des Bachelors Business Communications HWZ und arbeitet zurzeit als Marketing & Communications Manager bei der Orell Füssli Group. Bernhard Schneider ist Dozent im Bachelor Business Communications HWZ.
Thierry: Ein Freund führte mich vor Jahren in die Basics von Bitcoin ein. Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als ich mir nach unserem Gespräch die Preisanstiege der letzten Jahre ansah. Ich begann mich über das Thema schlau zu machen und merkte schnell, dass die Influencer auf Twitter und Co. mit den Emotionen der Rezipienten spielen – mit Angst und Gier, um die gängigsten zu nennen. Wirklich Glauben schenken, konnte ich den überspitzten Beiträgen kaum, und doch zogen sie mich in den Bann.
Ein Beispiel eines typischen Crypto-Tweets um Reichweite und FOMO (Fear of Missing out) zu generieren.
Für mich war offensichtlich, dass soziale Medien Privatanlegende in ihrem Handeln beeinflussen. Die natürliche Eigenschaft des Menschen, sich durch Emotionen leiten zu lassen, führt dazu, dass Neueinsteigende oft am Ende eines Aufschwungs die höchsten Preise zahlen und diese Positionen bei einer Preiskorrektur in Angst vor dem totalen Zusammenbruch mit Verlusten verkaufen.
Um die eigenen Emotionen im Umgang mit der volatilen Anlage Bitcoin zu verstehen, wollte ich die Hintergründe und Zusammenhänge von Geld und Medienpsychologie mithilfe von Modellen, Theorien und historischem Kontext miteinander verbinden. Da es dazu (fast) keine Literatur gibt, nutzte ich die Bachelor-Arbeit, um zu dieser Problemstellung mittels qualitativer Datenerhebung zu forschen. Das nun auf Zenodo veröffentlichte Working Paper stellt die Essenz der über 100-seitigen Bachelor-Arbeit dar.
Bernhard: Meine Kompetenz liegt bei der Medienpsychologie und namentlich bei der dynamischen Entwicklung der Social Media. Als Thierry mich anfragte, ob ich seine Bachelor-Arbeit betreuen wolle, überzeugte mich seine fundierte Darlegung des Handels mit Bitcoin. Die Wirkung von Social Media auf die Finanzmärkte im Allgemeinen und von Twitter auf Bitcoin im Besonderen, betrachte ich als ein ebenso aktuelles wie relevantes Thema, das man aus der Optik der Geldmärkte oder aus der Optik der kommunikativen Vorgänge bei der Preisfindung betrachten kann.
Thierry: «Hättest du 2013 bloss ein paar hundert Franken in Bitcoin investiert, könntest du heute Millionär sein», dies gab ein Interviewpartner während der Datenerhebung schelmisch zu Protokoll. 40 Bitcoin sind beim heutigen Preis von 25'000 CHF pro Coin nötig, um sich Bitcoin Millionär nennen zu können. Vor 10 Jahren waren diese 40 Bitcoin für rund 800 CHF (20 CHF pro Coin) kaufbar.
Die enormen Kursgewinne sind das stärkste Narrativ, das Privatinvestierende in den Markt hineinzieht. Die Gefahr: die Stimmung schaukelt sich in bullischen Phasen hoch. Von März bis April 2021, nach einem starken Preisanstieg, wurden 110 Beiträge mit dem Schlagwort „Bitcoin“ und über 500 „Gefällt-mir-Angaben“ analysiert. 97 berichteten positiv, sieben neutral und lediglich sechs skeptisch. Die meistverbreitete Beitragsart sind positive Preisprognosen. Diese generieren Klicks, haben das Potenzial, FOMO (Fear of missing out – Angst, etwas zu verpassen) auszulösen und Privatanlegende zu unüberlegten Käufen zu verführen.
Wie stark ein Individuum auf positiv, respektive in einer Phase starken Preiszerfalls auf negativ konnotierte Informationen reagiert, und ob eine Handlung daraus entsteht, ist vom Motiv und den erlebten Emotionen eines Rezipienten, sowie dem Verhalten der konsumierten Influencer abhängig.
Der Uses-and-Gratifications-Ansatz geht davon aus, dass sich Rezipienten für das Medium entscheiden, das ihre Bedürfnisse am besten befriedigen kann. Je nachdem sucht eine Person Informationen, Unterhaltung, persönliche Identität (Bestärkung eigener Werte) oder die Integration und soziale Interaktion (Austausch unter Gleichgesinnten). Ein oder mehrere Motive werden bei der Medienwahl befriedigt.
Das Involvement-Konzept beschreibt, dass sich ein Rezipient auch Tage nach dem Lesen eines Artikels noch mit dem Inhalt beschäftigen kann, wenn die Person direkt von den Entwicklungen oder den vertretenen Ansichten betroffen ist. Dies heisst aber nicht, dass sich die Einstellungen nachhaltig ändern lassen. Je stärker ein beurteilendes Individuum in ein Thema involviert ist, desto weniger lässt es sich durch Überzeugung von anderen Meinungen beeinflussen. Das Wechselspiel zwischen den Emotionen „Gier“ und „Angst“ und die daraus resultierende erlebte Spannung wird über Zeit und mit Erfahrung kleiner.
In der heutigen, global vernetzten Welt ist es zunehmend schwierig geworden, die Clickbaits und Scams von den wertvollen Inhalten mit starken Communities auseinanderzuhalten. Das bedeutet, dass eine anlegende Person, die sich über Twitter zum Thema Bitcoin informieren möchte, zuerst die Arbeit machen sollte, die Qualität der Quellen zu prüfen. Ein Investment sollte nie aufgrund nur einer Meinung, oder Quelle getätigt werden.
Bernhard: Ein wesentlicher Aspekt ist dabei das hohe Manipulationspotenzial. Je emotionaler die Wirkung einer medial verbreiteten Aussage ist, desto geringer ist bei vielen Nutzenden der kritische Blick. Grundsätzlich kann jeder Investor mit grosser medialer Reichweite – auch in konventionellen Medien – einen Titel kaufen und anschliessend dessen Kauf empfehlen, umgekehrt nach dem Verkauf eines Titels dessen Verkauf propagieren und zu einem tieferen Preis wieder einsteigen.
Thierry: Gerne lasse ich diese Frage von den interviewten Fachpersonen beantworten, um eine weitere Perspektive zu eröffnen und Einblick in die Empirie des Working Papers zu geben:
Falls die Investition ins Minus gehen sollte, kippt meist die Stimmung. Doch Verluste und Gewinne materialisieren sich nicht, wenn man sie nicht auszahlen lässt. «Ich behaupte, 9 von 10 Personen halten das emotional nicht durch. Die halten die Gewinne und monetarisieren die Verluste. Da muss man knallhart sein». Eine Privatperson kann sich kaum auf diese emotionalen Spannungen vorbereiten. Da gehen alle durch, die zum ersten Mal Geld investieren. Wichtig ist, dass man aus den gemachten Fehlern und Erfahrungen lernt.
Für mich kristallisierte sich während den Gesprächen heraus, dass eine Mischung aus fehlender finanzieller Bildung, wenig Erfahrung, Gutgläubigkeit, Emotionalität und fehlendem Anlagehorizont Privatanlegende in Bitcoin um ihre Gewinne bringt, respektive sie so beeinflusst, irrationale Entscheidungen zu treffen. Nichtstun ist in einem Markt, der mittel- bis langfristig nach oben geht, historisch am besten.
Bernhard: Ich stelle oft das von Ionesco in seinem Theaterstück Rhinocéros beschriebene Phänomen fest: Auch an sich gebildete, erfahrene und keineswegs gutgläubige Menschen sind nicht gefeit davor, einer Menge nachzurennen, die sich laufend vergrössert.
Thierry: Es würde zum Problem, wenn einzelne Individuen so viel Macht entwickeln könnten, um damit den Marktpreis eines Assets auf Dauer bewegen zu können. Denn falls dies möglich wird, handelt es sich nicht nur um eine Manipulation des Kaufpreises, sondern um Marktversagen. Das ist für das Asset wie auch den Gesamtmarkt nicht förderlich.
Im Working Paper wird mittels Fallbeispiel der Einfluss von Elon Musk (140 Mio. Follower auf Twitter), CEO von Tesla und Twitter, auf den Bitcoinpreis untersucht. Tesla hat unter Musk ihre Reserven mit Bitcoin angereichert, den Kauf ihrer Autos mit der alternativen Währung geöffnet und Monate später wegen ökologischen Bedenken wieder verboten. Dies hat zu kurzzeitigen Verwerfungen am Preis geführt.
Elon Musk spielt mit seiner Glaubwürdigkeit. Mit jedem Tweet riskiert er, weniger ernst genommen zu werden. Mit dem Investment in Bitcoin läuft er Gefahr, auch den Aktienpreis von Tesla zu beeinflussen, was die Börsenaufsicht als Verstoss deklarieren könnte. Die Regulatorien an der Börse unterliegen strengen Regeln.
Da der Kryptomarkt noch kaum reguliert ist, sehe ich vor allem eine Gefahr bei kleinen Projekten mit geringer Marktkapitalisierung. Im Moment sind Meme-Coins wie PEPE im Zentrum der Aufmerksamkeit. Klassische Pump & Dump Schemata: Ein Twitter-Account mit grosser Reichweite bzw. Community kann, wie Bernhard erläutert hat, einen beliebigen Coin mit einer kleinen Marktkapitalisierung dafür missbrauchen, den Preis durch dessen Anpreisung stark ansteigen zu lassen. Die zuvor eingekauften Anteile können nach dem Anstieg mit Gewinnen abgestossen werden. Die Verkäufe überwiegen schlagartig die Käufe, was den Preis wieder sinken lässt. Übrig bleiben Privatanleger, die am Hochpunkt eingekauft haben und nicht selten mit Verlusten verkaufen. Diese unmoralischen Geschäftspraktiken haben nichts mit Bitcoin zu tun, werfen aber ein schlechtes Licht auf den Gesamtmarkt.
Ich bin mir deshalb sicher, dass die Kryptoindustrie in den kommenden Jahren von staatlichen Institutionen reguliert wird. Die Anpassungen sollen meiner Meinung nach im Sinn der Sache Verbesserungen für den Endkunden mit sich bringen und keine generellen Verbote beinhalten.
Bernhard: Was hat Elon Musk motiviert, Twitter zu kaufen? Ich vermute, dass er damit rechnete, den Kaufpreis kurz- bis mittelfristig mit Börsengewinnen zu finanzieren, die er dank der Hoheit über Twitter erzielen kann. Ob diese These zutrifft, wird er nie verraten, und ich vermute auch, dass bisher nicht alles so gelaufen ist, wie er es geplant hat.
Thierry: Wer in Bitcoin investiert, um schnell reich zu werden, wird sich ziemlich sicher die Finger verbrennen. Wer sich tiefer mit den fundamentalen Eigenschaften auseinandersetzt, wird sich von der volatilen Art und der News Lage nicht mehr leicht aus dem Markt drücken lassen.
Tagesaktuell gibt es einige Fragestellungen, welche breit diskutiert werden: Verbraucht Bitcoin zu viel Energie (Proof of Work vs Proof of Stake)? Schützt Bitcoin vor (Hyper-)Inflation (siehe Argentinien, Türkei, Libanon etc.)? Folgt beim Halving 2024 (Angebotshalbierung) der nächste grosse Preisaufschwung?
Bernhard: Manipulation über Medien ist keineswegs ein neues Phänomen und die Mediengeschichte zeigt, dass es sich kaum mit Regulierung eliminieren lässt. Social Media beschleunigen die Wirkung von Beiträgen und vergrössern den Wirkungsraum, wodurch sich das Problem akzentuiert. Mein Ziel ist, zur kritischen Auseinandersetzung mit Medien zu motivieren, im Wissen, dass dies global gesehen ein schwieriges Unterfangen darstellt. Immerhin ist die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit Medien und den eigenen emotionalen Reaktionen in allen Lebensbereichen von erheblichem Nutzen.
Thierry: Für mich gibt es noch viel zu entdecken. Ich kann jeden nur dazu ermutigen, sich ebenfalls mit dem Thema vertraut zu machen. Gerne kann man mit mir auch Kontakt über LinkedIn aufnehmen. Ich freue mich über jeden Austausch, respektive Feedback zum Working Paper und helfe bei entstandenen Fragen.
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