Campus | 19. November 2025
Von Mobile-First-Creatives über AI-gestützte Personalisierung bis hin zu Scarcity-Driven Countdown Funnels, Dark-Mode-E-Mails und Countdown Timern – im Aktionsraum rund um den Black Friday sind die unterschiedlichsten Marketingmodelle im Einsatz. Wir haben Dr. Valerio Stallone, Leiter Departement Marketing & Digital an der HWZ, gefragt, welche Taktiken heute wirken und welche morgen unverzichtbar werden.

Valerio, was sind die aktuellen Marketingtrends im Black-Friday-Geschäft?
Der Black Friday hat sich längst von einem eintägigen Rabatt-Event zu einer «Black Week» oder gar «Black Season entwickelt. Die Nachfrage verteilt sich über mehrere Tage, das verändert Budgets, Lagersteuerung und Kreativplanung grundlegend. In der Schweiz prägen mobile Checkouts und Wallets wie TWINT das Einkaufserlebnis, weil sie Kaufabbrüche im entscheidenden Moment verhindern. Sie sind oft die bessere Bezahlvariante, wenn Kartenterminals überlastet sind oder Warteschlangen durch PIN-Eingaben entstehen. Zugleich werden Retail-Media-Netzwerke wie Migros, Coop oder Galaxus immer präziser in ihren Messmethoden: Welche Anzeige wurde gesehen und wer hat daraufgeklickt? Welche Produkte wurden danach gekauft? Der Return on Ad Spend wird damit deutlich transparenter.
Ist der Black Friday überhaupt noch trendy?
Das Bewusstsein für nachhaltige Alternativen ist bei Konsument:innen gewachsen. Formate wie der Nachhaltigkeitsaktionstag «Green Friday» oder die Reparaturinitiative «Repair Friday» sind zu glaubwürdigen Gegennarrativen in einem überhitzten Rabattmarkt geworden. Auch die Regulatorik gewinnt an Gewicht: Preisangabenrecht und Dark-Pattern-Verbote beeinflussen zunehmend die Kampagnenplanung. Beispiele sind: Das Abbestellen eines Newsletters oder Abos darf nicht unnötig kompliziert sein und Countdowns dürfen nicht permanent neu gestartet werden.
Der Black Friday 2025 ist weniger ein Tag des Kaufrauschs, sondern ein Stresstest für Markenkompetenz, Kundenerlebnis und ethisch fundiertes Marketing.
Wie stark beeinflusst KI das Black-Friday-Marketing?
Künstliche Intelligenz wird zunehmend bei der Planung und Umsetzung von Kampagnen eingesetzt – weniger als Zauberstab, mehr als Beschleuniger datenbasierter Entscheidungen. Sie hilft, Preise dynamisch anzupassen, Budgets in Echtzeit zu steuern und Werbemittel automatisiert zu variieren. Laut Salesforce wurden 2024 bereits zweistellige Milliardenbeträge im globalen Cyber-Week-Umsatz durch KI-gestützte Prozesse beeinflusst, ein klarer Indikator für ihre Relevanz. In der Schweiz zeigt sich allerdings: Ohne saubere Daten, stimmige Sortimente und funktionierende Logistik bleibt der Mehrwert begrenzt. KI entfaltet ihre Wirkung erst, wenn sie in gut orchestrierte Systeme eingebettet ist, nicht umgekehrt. Am Ende ersetzt sie nicht das strategische Denken im Marketing, sondern fordert es stärker denn je heraus.

Wo sind KI-Tools besonders wirkungsvoll?
Im Performance-Marketing entfaltet KI ihr Potenzial dort, wo es schnell und präzise gehen muss – etwa bei der Optimierung von Produktdaten, Geboten und Budgets während der Black Week. Im Social-Media-Marketing generiert sie in Sekunden Kreativvarianten, Kurzvideos oder Produkttexte, was Kampagnen agiler, aber auch flüchtiger macht. Besonders im E-Mail-Marketing steigert KI durch personalisierte Versandzeitpunkte und datenbasierte Produktempfehlungen die Conversion Rate deutlich – also den Anteil der potenziellen Käufer:innen, die tatsächlich kaufen.
Birgt KI auch Risiken für das Black-Friday-Marketing?
Ja, absolut. Wenn Algorithmen bestimmen, was Konsument:innen sehen, kann das auch Nachteile haben. Wird Werbung zu stark personalisiert, fühlen sich Konsument:innen schnell beobachtet oder gedrängt. Auch Black-Box-Mechanismen können zu Irritation führen, etwa wenn man nicht versteht, warum der Preis plötzlich steigt.
Wer KI ausschliesslich zur kurzfristigen Effizienzsteigerung nutzt, riskiert langfristig den Vertrauensverlust. Die Herausforderung liegt daher weniger in der Nutzung von KI, sondern in ihrer verantwortungsvollen und gezielten Anwendung.
Welche Rolle spielt datengetriebenes Marketing?
Datengetriebenes Marketing ist längst das Fundament jeder erfolgreichen Black-Friday-Strategie – doch erst durch KI wird echte Individualisierung möglich. Bisher nutzten Unternehmen ihre Kundendaten vor allem zur Segmentierung. Heute kann KI zusätzlich Produkt-, Preis- und Lagerdaten in Echtzeit kombinieren und daraus automatisch passende Angebote generieren. So entstehen personalisierte Produktpakete oder Preisempfehlungen, die sich nach Verhalten, Kontext und Nachfrage richten. Entscheidend bleibt die Datenqualität: Unvollständige oder verzerrte Datensätze führen schnell zu Fehlsteuerungen.
Ebenso wichtig ist Transparenz – Kund:innen müssen verstehen, warum sie ein bestimmtes Angebot erhalten. Vertrauen ist die neue Währung datengetriebener Kommunikation. Wer KI nutzt, um Relevanz statt Überwachung zu schaffen, verbindet Technologie mit echter Kundenzentrierung und stärkt langfristig sowohl Marke als auch Beziehung.

Wo und wie wird Agentic AI beim Black Friday eingesetzt?
Agentic AI sind autonome KI-Systeme und halten gerade Einzug ins Black-Friday-Geschäft, mehrheitlich als Pilotanwendungen. Erste Händler in den USA und Europa setzen autonome Shopping-Assistenten ein, die Produkte vorschlagen, vergleichen und sogar Käufe abschliessen, etwa in Chat- oder Voice-Interfaces. Walmart testet gerade mit „Sparky“ einen Agenten, der Einkaufslisten verwaltet und eigenständig Aktionen auslöst. Dies ist ein Vorgeschmack auf den kommenden «Zero-Click-Commerce», also den vollständig automatisierten Kaufprozess.
Auf Händlerseite entstehen selbststeuernde Systeme für Preis- und Inventaroptimierung, die während der Black Week auf Nachfrage- und Konkurrenzsignale reagieren und Kampagnen in Echtzeit anpassen. In der Schweiz befinden sich solche Lösungen meist noch in der Erprobung, etwa als KI-gestützte Empfehlungssysteme. Der Hype steht jedoch noch vor seiner Bewährungsprobe.
Wie nutzt man KI am Black Friday sinnvoll?
KI sollte nicht als Kampagnen-Trick verstanden werden, sondern als Lernsystem. Am wichtigsten sind eine hohe Datenqualität und ein klar definierter Use Case. Entscheidend ist das tatsächliche Verhalten der Kund:innen, nicht blosse Annahmen. Dabei gilt: klein starten, kontinuierlich testen und aus jedem Durchlauf lernen. KI ist kein Ersatz für strategisches Denken, sondern ein Verstärker von Klarheit, Struktur und Lernfähigkeit. Wer das begreift, nutzt den Black Friday nicht nur zum Verkaufen, sondern als Experimentierfeld für kontinuierliches Lernen im digitalen Marketing.
Welche Marketingtrends erwartest du für 2026?
2026 wird ein Marketingjahr, das stärker von Vertrauen, Kontext und Künstlicher Intelligenz mit menschlichem Kompass geprägt ist.
Der Fokus verschiebt sich von reiner Automatisierung hin zur Agentic Collaboration – also zur Zusammenarbeit zwischen menschlicher Intuition und autonomen KI-Systemen, die Entscheidungen vorbereiten, aber nicht ersetzen.
Retail Media – also Händlerplattformen – werden sich in der Schweiz als dritter grosser Werbekanal neben Suchmaschinen und Social Media etablieren. Zugleich gewinnt Contextual Creativity an Bedeutung: Marken müssen lernen, generative Inhalte emotional und kulturell anschlussfähig zu gestalten, statt nur Masse zu produzieren. Nachhaltigkeit wird zur strategischen Notwendigkeit – nicht mehr als Kampagnenthema, sondern als integraler Wertschöpfungsfaktor. Kurz gesagt: 2026 wird das Jahr, in dem technologische Exzellenz und ethische Markenführung keine Gegensätze mehr sind, sondern gemeinsam über Relevanz und Resilienz entscheiden.
Vielen Dank, Valerio, für deine Einblicke und Empfehlungen rund um das Black-Friday-Marketing – und wie KI dessen Zukunft mitgestaltet.
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