Aktuell | 2. September 2025
Agentic AI verändert, wie Konsument:innen kaufen und wie Marken sichtbar bleiben. Simone Giorgio, Absolvent des MAS Digital Business an der HWZ, hat sich diesem Thema ausführlich im Rahmen seiner Master Thesis gewidmet und erklärt im Interview, weshalb Unternehmen jetzt handeln müssen – und wie sie digitale Marketinginhalte agententauglich gestalten.
Simone, die Idee zu deiner Master Thesis «Einfluss von Agentic AI auf das Digital Marketing» kam dir im Silicon Valley. Was war der konkrete Auslöser, dich gerade mit Agentic AI zu beschäftigen – und weshalb wolltest du unbedingt ein noch kaum erforschtes Thema angehen?
Im Rahmen des CAS Digital Leadership unternahmen wir eine Study-Tour ins Silicon Valley. In der Schweiz sprach damals gefühlt jede:r über ChatGPT und Generative AI. Umso überraschter war ich, dass dieses Thema dort schon fast «erledigt» war – stattdessen drehte sich alles um AI Agents und damit um Agentic AI. Besonders prägend war der Besuch des Silicon Valley Summits von Plug and Play, wo klar wurde, dass diese Technologie als nächste Entwicklungsstufe gilt. Das hat bei mir sofort die Frage ausgelöst: Was bedeutet das für das (Digital) Marketing?
Ich habe bewusst ein Thema gewählt, das noch kaum erforscht war. Einerseits, um eine aus meiner Sicht bestehende Wissenslücke zu schliessen. Andererseits, weil es schlichtweg viel leichter fällt, eine Arbeit zu schreiben, wenn das Thema persönlich begeistert.
Wie erklärst du jemandem, der bisher nur ChatGPT kennt, was ein KI Agent ist und wo der Unterschied liegt?
ChatGPT ist wie ein schlauer Gesprächspartner: Du stellst eine Frage, er antwortet – und das war’s. Er macht nichts, wenn du ihn nicht ansprichst, und verfolgt keine eigenen Ziele. Ein KI Agent dagegen ist wie ein selbstständig arbeitender Assistent: Du sagst ihm einmal, was du erreichen möchtest, und er plant, entscheidet und handelt eigenständig, um dieses Ziel zu erreichen – oft über mehrere Schritte hinweg, mit Zugriff auf Tools, Datenquellen und andere Systeme. Er kann Aufgaben starten, ohne dass du jeden einzelnen Schritt vorgibst, und passt seinen Plan an, wenn sich unterwegs etwas ändert. Kurz gesagt: ChatGPT reagiert – ein KI Agent agiert.
Du schreibst, Agentic AI sei längst keine Zukunftsvision mehr. Weshalb sollten Unternehmen bereits heute handeln, obwohl KI Agenten in der Praxis noch wenig verbreitet sind?
Auch wenn KI Agenten in der Schweiz heute noch selten im Einsatz sind, entwickelt sich die Technologie mit enormer Geschwindigkeit. Wer erst reagiert, wenn sie im Massenmarkt angekommen ist, hat wertvolle Zeit verloren – und womöglich bereits an Sichtbarkeit und Relevanz eingebüsst. Wir haben das in der Vergangenheit bei anderen Technologien gesehen: Frühzeitige Anpassung sichert einen Wettbewerbsvorsprung, weil Prozesse, Inhalte und Strukturen schon optimiert sind, wenn der Markt kippt. Zudem lassen sich viele Mechanismen, die künftig für KI Agenten relevant sind – etwa strukturierte Daten, klare Schnittstellen oder maschinell lesbare Inhalte – bereits heute auf Basis von Generative AI testen und implementieren. Kurz gesagt: Früh handeln heisst, die eigene Marke in einem entstehenden Ökosystem sichtbar zu machen, bevor es alle tun.
Die Fähigkeit von Unternehmen, in den neuen Entscheidungsprozessen sichtbar und relevant zu bleiben, wird zur strategischen Herausforderung. Welche drei Tipps gibst du Unternehmen, um sich darauf vorzubereiten?
Inhalte so aufbereiten, dass KI Agenten sie ohne Interpretationsspielraum verstehen. Das bedeutet: klare, konsistente Produkt- und Serviceinformationen, strukturierte Datenfelder beispielsweise für Preis, Verfügbarkeit, Eigenschaften etc. sowie eindeutige Beschreibungen und aktuelle Bilder. Alles, was nicht eindeutig maschinenlesbar ist, findet im Entscheidungsprozess der Agenten kaum Berücksichtigung.
Schnittstellen schaffen, über die KI Agenten direkt interagieren können. Das kann eine API sein, die aktuelle Lagerbestände liefert, ein Datenfeed für Plattformen oder eine gezielte Integration in Ökosysteme, die Agenten nutzen. Ziel ist, Informationen und Angebote dort einzuspeisen, wo die Entscheidungsfindung tatsächlich stattfindet – oft bevor der Mensch selbst aktiv sucht.
In einem sicheren Rahmen experimentieren. Unternehmen sollten gezielt kleine, agentenrelevante Use Cases testen. Solche Pilotprojekte liefern wertvolle Erkenntnisse, wie sich Inhalte, Prozesse und Systeme anpassen müssen, um langfristig im neuen Entscheidungsökosystem präsent zu bleiben.
Handlungsempfehlungen für Digital Marketing Manager (nach Simone Giorgio)
Deine Arbeit zeigt, dass KI Agenten nicht auf Werbeversprechen reagieren, sondern auf klar strukturierte, funktionale Inhalte. Wo sollten Digital Marketing Verantwortliche als Erstes ansetzen, um ihre Inhalte agententauglich zu machen?
Der wichtigste erste Schritt ist, Inhalte so zu gestalten, dass KI Agenten sie ohne Interpretationsspielraum verstehen können: eine klare, einheitliche Struktur, präzise Formulierungen und vollständige Informationen. Produkt- und Serviceangaben sollten konsistent und in wiederkehrenden Formaten vorliegen, ergänzt durch Metadaten, die zusätzlichen Kontext liefern. Wichtig ist zudem, dass diese Angaben über alle Kanäle hinweg identisch sind, um widersprüchliche Signale zu vermeiden.
In den Interviews wurde jedoch deutlich, dass nicht alle Expert:innen diesen Punkt gleich gewichten: Einige sehen die inhaltliche Aufbereitung als Schlüsselfaktor, andere sind überzeugt, dass vor allem zählt, wie ein Agent instruiert wird. Die eigentliche Herausforderung für das Marketing wird künftig darin liegen, Inhalte so zu gestalten, dass sie gleichzeitig für Menschen ansprechend und für Maschinen optimal nutzbar sind.
Der Zeitpunkt, zu dem Marken auf Konsument:innen wirken, verschiebt sich tendenziell nach vorne – bevor diese aktiv suchen. Was bedeutet das für die Customer Journey und die Gestaltung von Werbung?
Wenn KI Agenten Entscheidungen bereits vorbereiten, bevor Konsument:innen selbst aktiv suchen, verschiebt sich der entscheidende Moment der Einflussnahme in eine deutlich frühere Phase der Customer Journey. Werbung muss deshalb stärker auf den Informations- und Auswahlprozess der Agenten ausgerichtet werden – und das oft, bevor ein konkretes Kaufinteresse signalisiert wird. Für Marken bedeutet das, relevanten Content, Daten und Angebote so bereitzustellen, dass Agenten sie frühzeitig erfassen, bewerten und in ihre Vorauswahl aufnehmen können. Klassische aufmerksamkeitsstarke Kampagnen allein reichen dafür nicht aus: Es braucht ergänzend kontinuierlich verfügbare, präzise und vertrauenswürdige Informationen, die in den maschinellen Entscheidungsprozess einfliessen und so den Weg zum späteren Kauf bereits im Hintergrund vorbereiten.
Hand aufs Herz – findest du es positiv oder eher bedenklich, dass eine Maschine zur zentralen Schnittstelle digitaler Interaktion wird? Wo bleiben menschliche Interaktionen?
Ich sehe darin vor allem eine enorme Chance – vorausgesetzt, wir gestalten diesen Wandel bewusst. KI Agenten können uns viele zeitintensive, repetitive Aufgaben abnehmen und so Raum schaffen für Tätigkeiten, in denen menschliche Kreativität, Empathie und strategisches Denken gefragt sind. Die Interaktion zwischen Menschen wird dadurch nicht verschwinden, sie verschiebt sich lediglich auf andere Ebenen: weg von einfachen Informationsanfragen hin zu komplexeren, beratungsintensiven Gesprächen. Wichtig ist, dass wir diese neue Schnittstelle so gestalten, dass sie für den Menschen nachvollziehbar, transparent und vertrauenswürdig bleibt. Dann kann Technologie zur Ergänzung werden – und nicht zum Ersatz menschlicher Interaktion.
Du empfiehlst, früh in strukturierte Daten, semantisch angereicherte Inhalte und agentengerechte Interfaces zu investieren. Kannst du diese Massnahmen auf drei einfache Schritte herunterbrechen?
Alle zentralen Produkt-, Service- und Unternehmensinformationen in einer klaren, einheitlichen Struktur erfassen – inklusive beschreibender Attribute, eindeutiger Bezeichnungen und aktueller Werte. Das bildet die Basis, damit KI Agenten die Daten fehlerfrei verstehen und verarbeiten können.
Diese Inhalte mit zusätzlichen Kontextinformationen anreichern – zum Beispiel durch Metadaten, Kategorien, thematische Verknüpfungen oder klare Beziehungen zwischen einzelnen Informationen. So steigt die Chance, dass ein Agent die Inhalte richtig einordnet und in relevanten Situationen ausspielt.
Zugänge schaffen, über die Agenten effizient auf diese Informationen zugreifen können – etwa über APIs, standardisierte Datenfeeds oder Plattform-Integrationen. Das stellt sicher, dass die Inhalte nicht nur vorhanden, sondern auch im richtigen Moment maschinell abrufbar sind.
Wie setzt du die Erkenntnisse aus deiner Thesis in deiner aktuellen Rolle als Digital Marketing Manager bei einer Bank um?
Im Banken-Umfeld ist der Einsatz von KI verständlicherweise stark reguliert, was innovative Anwendungsfälle komplexer macht. Viele meiner Experimente und Versuche finden deshalb noch im privaten Rahmen statt, um erste Erfahrungen zu sammeln und Potenziale zu erkennen. Dennoch lassen sich zentrale Erkenntnisse aus meiner Thesis bereits jetzt gewinnbringend einsetzen.
Ein Schwerpunkt liegt auf der konsequenten Nutzung strukturierter und konsistenter Daten über alle Kanäle hinweg, ergänzt durch eine technisch saubere SEO-Architektur und klar aufbereitete, vertrauenswürdige Inhalte auf der Website. Diese Grundlagen steigern nicht nur die Nutzerfreundlichkeit, sondern sorgen auch dafür, dass unsere Angebote maschinell leichter auffindbar und interpretierbar sind – ein entscheidender Schritt, um schon heute die Voraussetzungen für agententaugliches Marketing zu schaffen.
Wie hat dir der MAS Digital Business an der HWZ geholfen, dieses komplexe Thema zu bearbeiten – und würdest du das Studium weiterempfehlen?
Der MAS Digital Business an der HWZ war für mich der ideale Rahmen, um ein Thema wie Agentic AI nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern praxisnah zu erarbeiten und gezielt zu vertiefen. Ein besonderes Highlight war die Study-Tour ins Silicon Valley im Rahmen des CAS Digital Leadership – mitten in einer Phase, in der sich der Fokus von Generative AI hin zu Agentic AI verlagerte.
Die Kombination aus fundiertem Fachwissen, aktuellen Trends und direkter Anwendung im Rahmen von Projekten hat mir geholfen, die Brücke zwischen Forschung und realen Business-Anforderungen zu schlagen. Besonders inspirierend war der Austausch mit Dozierenden und Mitstudierenden aus unterschiedlichsten Branchen, der mir neue Perspektiven eröffnete. Dieses Umfeld hat mich motiviert, ein noch wenig erforschtes Thema anzugehen – und ich würde das Studium jederzeit weiterempfehlen an alle, die Digitalisierung nicht nur begleiten, sondern aktiv mitgestalten wollen.
Herzlichen Dank, Simone, dass du deine Erkenntnisse mit uns geteilt hast. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg dabei, die Zukunft des Digital Marketings aktiv mitzugestalten.
Möchtest du wissen, wie KI Agenten unsere Art zu arbeiten verändern? Dann lass dir diesen Artikel nicht entgehen!
Detaillierte Einblicke in die Master Thesis von Simone Giorgio sowie weitere spannende Arbeiten bietet unsere Datenbank. Dort sind sämtliche Abschlussarbeiten der letzten drei Jahre von Bachelor- und Masterstudierenden der HWZ erfasst.
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