Aktuell | 4. Juli 2024
Matthias Nast, Historiker und stellvertretender Studiengangsleiter des Bachelor Business Communications HWZ, hat sich neben seiner Tätigkeit an der HWZ intensiv mit der Getränkebranche in Eglisau auseinandergesetzt und im Frühling eine Ausstellung zum Thema eröffnet. Warum das lokale Mineralwasser zuerst ungeniessbar war und wie daraus ein Geschäft wurde, erzählt Matthias Nast in der März-Ausgabe des Magazins «NZZ Geschichte».
Bild: Katharina Lütscher
Dieser Text erschien zuerst im Magazin «NZZ Geschichte» Nr. 51 (März 2024), go.nzz.ch/geschichte. Der Autor dieses Beitrags ist Daniel Di Falco.
Die Herstellung von Limonaden, also von «Erfrischungsgetränken mit geschmacksgebenden Zusätzen», um es technisch zu sagen, war gewiss kein unabdingbarer Schritt in der Geschichte der Menschheit. In Eglisau war es anders – dort ging es nicht ohne. 1821 hatte man beim Gasthaus Krone nach Salz gebohrt und war stattdessen auf eine Mineralwasserquelle gestossen. Sie versorgte später ein Kurhaus, wo man das Wasser nicht nur zum Baden, sondern auch zur Einnahme empfahl. Es war reich an Mineralstoffen wie Jod, Fluor und Brom, konnte den Konkurs des Betriebs aber doch nicht verhindern.
Vielleicht war es auch nicht ganz unschuldig daran. 1924 ging die Quelle an neue Eigentümer, die Grosses vorhatten: Sie wollten mit dem Mineralwasser aus dem Städtchen im Zürcher Unterland die Schweiz erobern und lieferten ihr «Tafelgetränk ersten Ranges» noch im selben Jahr ans Eidgenössische Schützenfest – 20'000 Flaschen, und davon kamen 19'500 zurück. Medizinisch mochten Jod, Fluor und Brom bestechen. Geschmacklich dagegen weniger. «Das Wasser aus Eglisau stank», so sagt es Matthias Nast.
Der Historiker arbeitet an einer Ausstellung über die Getränkebranche im Ort. «Die Fabrikanten waren Pioniere», erklärt er. «Sie orientierten sich an neuen Konsumgewohnheiten und setzten von Anfang an auf modernste Vermarktungsmethoden.» Zudem hätten sie dem darbenden Eglisau Arbeit und einen Aufschwung gebracht, nachdem es seinen Rang als Handelsstation und Brückenstadt am Rhein im 19. Jahrhundert verloren hatte.
Nach dem Desaster am Schützenfest standen die Pioniere aber erst einmal vor einem Problem: Wie sollten sie mit einem unverkäuflichen Produkt ein Geschäft machen? Die Antwort lieferte jene Zutat, die der limonata oder limonade in Südeuropa schon vor Jahrhunderten das Aroma wie den Namen gegeben hatte: Mit Zitronenessenz – viel Zitronenessenz, zudem viel Zucker – kam man dem Goût im Wasser aus Eglisau bei.
1926 lief die Produktion im Fabrikmassstab an. Eglisana wurde das erste Citro der Schweiz und ein Erfolg auf einem Markt, den es bis dahin nicht gegeben hatte. Im männlichen Teil der Bevölkerung hatte man sich traditionell mit Bier, Wein oder Most erfrischt und alkoholfreie Süssgetränke für unmännlich gehalten. Doch die Reklame mit damals aufregenden Themen wie Sport und Freizeit machte die Eglisauer Limonade auch für diese Kundschaft interessant.
In den frühen 1930er Jahren warb die erste Maschine der Swissair für das Sprudelwasser – ein Dreiplätzer mit einem Eglisana-Schriftzug, der sich über die ganze Tragfläche spannte. Und nachdem die Firma 1938 ihr Vivi-Kola auf den Markt gebracht und den amerikanischen Cola-Getränken damit die Stirn geboten hatte, sponserte sie die Tour de Suisse. Mehr noch: Mit der Aromatisierung ihres Wassers hatten sich die Eglisauer das Kapital für die Zukunft geschaffen. Im Lauf der Jahre fabrizierten sie, mit allen möglichen Zusätzen und teilweise abenteuerlichen Namen, eine ganze Schar von Softdrinks für die anbrechende Ära des Massenkonsums – Roxy und Pricoli, Silver Star und A2 Ananas, Gradella und Himbella, Orangella und Orangina.
Orangella und Orangina – wo lag der Unterschied? Matthias Nast verwirft die Hände und lacht. «Ich habe irgendwann aufgehört, nach solchen Dingen zu forschen, es wurde zu viel.»
Es sei, wie so häufig in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte: Es gebe kein Firmenarchiv. Das Ortsmuseum habe viele Dinge zusammengetragen, die namentlich bei Haushaltsauflösungen ans Licht gekommen seien, Harassen, Plakate und Souvenirs wie Aschenbecher oder Dächlikappen. «Aber die Unternehmensakten hat niemand systematisch gesammelt.»
Wichtiger als die lückenlose Rekonstruktion des Produktsortiments sind dem Historiker ohnehin andere Dinge: welche Spuren Eglisana & Co. in der Konsumkultur dieses Landes hinterlassen haben. Und wie die Fabrik den Alltag in Eglisau prägte. Zusammen mit einem weiteren Historiker hat Matthias Nast Interviews mit Zeitzeugen geführt, die in der Ausstellung zu hören sein werden. Etwa mit einem Lastwagenchauffeur, der zwanzig Jahre für die Mineralquelle Eglisau AG durchs Land fuhr, auch über den Gotthard und «is Welsche abe», auf einem «Saucheib» von Strasse. Oder mit einer Angestellten, die ihre KV-Lehre im Betrieb machte und häufig zum Degustieren neuer Sorten aufgeboten wurde, noch vor einem richtigen Morgenessen, «das ging in den Magen».
Und dann gab es auch noch die Nachmittage mit dem Gratisausschank. Sie machten Eglisau zum Ziel für Schulreisen aus der ganzen Region. «Davon reden die Leute noch heute», sagt Matthias Nast. Und davon lebt auch ein Historiker, der sein Metier so auffasst wie er.
Nast hat seinen akademischen Doktor gemacht – mit einer «umwelthistorischen Untersuchung über die Entwicklung der Lebensmittelverpackung und den Wandel der Einkaufsgewohnheiten» nach 1950. Zugleich war er immer wieder in Ausstellungs- und Buchprojekten tätig, die sich an ein breites Publikum wandten, mit Themen wie der Juragewässerkorrektion oder dem Bundesstaat, der Geschichte der Ernährung oder der Werbung. Sein Geld verdient er an der HWZ, der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, als Dozent für Geschichte, Politikwissenschaften und Unternehmensethik sowie Mitverantwortlicher für den Studiengang «Business Communications».
Um die Lokalgeschichte Eglisaus, wo er seit neun Jahren lebt, kümmert sich Nast nach dem Feierabend, genau wie alle anderen im Team, das im Auftrag der Gemeinde die Ausstellung im Ortsmuseum auf die Beine stellt. Es ist wie in vielen anderen kleinen Orten im Land: ohne ehrenamtliche Arbeit kein Kulturangebot. «Wir arbeiten mit den Möglichkeiten, die wir haben», sagt Nast. Zum Team gehört auch eine Architektin, die sich um den Ausstellungsbau kümmert. Und der Eglisauer Unternehmer, der Vivi-Kola neu belebt hat. Christian Forrer nahm die Produktion mit einer neuen Firma wieder auf, nachdem die Fabrik geschlossen worden war. Das war 2010, nach einer Reihe immer unglücklicherer Übernahmen und Fusionen, mit denen die Eglisauer Traditionsmarken nach und nach verschwunden waren. Statt der eigenen Cola hatte man zuletzt das Produkt der Konkurrenz abgefüllt: Pepsi.
Im neuen Vivi-Kola steckt viel Nostalgie, so wie in der ganzen Geschichte der Mineralquelle Eglisau AG, die dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag feiern könnte. Im Ortsmuseum stand schon bisher eine kleine Vitrine, die an die Sprudelwasserpioniere erinnert. Mit der Sonderschau kommt das industrielle Erbe des Städtchens nun endgültig im Museum an, neben dem Salzfass, dem Dreschflegel, der Eissäge und der Lachsfalle, die von anderen verschwundenen Arbeits- und Lebenswelten erzählen.
«Es gibt nicht nur das Mittelalter», sagt Matthias Nast. Wenn man, wie er, unter «Heimat» die Verbundenheit der Bewohner eines Orts mit dessen Geschichte versteht, dann gehört auch das 20. Jahrhundert dazu.
Die Sonderausstellung «100 Jahre Mineralquelle Eglisau – von Eglisana bis Vivi-Kola» im Ortsmuseum Eglisau ist seit April jeden ersten Sonntag im Monat geöffnet. Weitere Informationen dazu:
HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich Lagerstrasse 5, Postfach, 8021 Zürich kundencenter@fh-hwz.ch, +41 43 322 26 00
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