Aktuell | 17. Juli 2025

«Ein guter Schiedsrichter pfeift das Spiel, ein sehr guter leitet es»

Maximilian Zihlmann steht kurz vor dem Abschluss seines Bachelors in Betriebsökonomie, arbeitet als Junior Consultant bei EY, engagiert sich in einem Fussballverband und ist als ambitionierter Schiedsrichter Teil der nationalen Referee Academy. Im Interview spricht er über Persönlichkeitsentwicklung zwischen Spielanalyse und Management-Skills, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Frauen- und Männerfussball und welche Impulse die UEFA Women’s Euro 2025 dem Schiedsrichterwesen mitgeben kann.

Headerbild Womens Euro Maximilian Zihlmann

Dieses Interview ist Teil einer Content-Reihe zur UEFA Women’s EURO 2025. Als Hochschule möchten wir Themen wie Chancengleichheit und Sichtbarkeit von Frauen nicht nur in der Bildung, sondern auch darüber hinaus mehr Aufmerksamkeit schenken.

Max, du hast diesen Frühling deine Bachelorarbeit abgegeben und bist somit kurz vor der Zielgerade deines Bachelors in Betriebsökonomie an der HWZ. Das war bestimmt eine intensive Zeit, neben deinem 80%-Pensum bei Ernst & Young (EY) und, wie wir erfahren haben, deinem Engagement als Schiedsrichter. Was steht nun als Nächstes an?

Die letzten Jahre waren sehr intensiv und hat sehr viel Planung gebraucht, um alles unter einen Hut zu bringen. Leider muss ich nächstes Semester noch ein Modul nachholen, dementsprechend verschiebt sich der Abschluss noch etwas. Ich werde jedoch schon per 1. September auf 100% aufstocken und dann wird nach dem Abschluss einfach mal gearbeitet. Ich werde durch den Abschluss des Bachelors zum Senior und möchte mich dann zeitig zum Manager hocharbeiten. Auch möchte ich in den nächsten ein bis zwei Jahren noch etwas länger weggehen und reisen. Mal schauen, wohin es geht. Zusätzlich kann ich mich nun mehr auf die Schiedsrichterei, meine Tätigkeit beim Fussballverband und mein Training fokussieren, um den nächsten Schritt in die 1. Liga zu machen.

Du hast es gerade schon angesprochen. Du bist neben Job und Studium auch als Schiedsrichter tätig. Was hat dich ursprünglich dazu gebracht, Schiedsrichter zu werden? Und was begeistert dich heute noch daran?

Ich habe rund 15 Jahre lang selbst Fussball beim FC Wallisellen gespielt. Schon früh wurden dort für die F- und E-Junioren Mini-Schiedsrichter gesucht, die die Spiele leiten sollten. Mit etwa 13 Jahren dachte ich mir: «Warum nicht? Probiere es einfach mal aus und verdiene dir nebenbei etwas Taschengeld.» Die Aufgabe machte mir sofort Spass, und ich erhielt viel positives Feedback von Trainern und Eltern. Das motivierte mich, den nächsten Schritt zu gehen: Im März 2018 absolvierte ich die offizielle Schiedsrichterausbildung. Seither habe ich mich nicht nur als Schiedsrichter, sondern auch persönlich weiterentwickelt.

Das Pfeifen ist eine Lebensschule. Man lernt zu entscheiden, seine Meinung und Entscheidungen zu vertreten und dahinter zu stehen, mit Kritik umzugehen, man wird selbstbewusst, reflektiert und lernt aus Fehlern.
Maximilian Zihlmann, Student Bachelor Betriebsökonomie HWZ

Es hat mich extrem geprägt und mir beruflich wie auch in der Schule und Studium geholfen. Vor Menschenmengen hinzustehen und zu präsentieren, macht mir nichts mehr aus oder auch sich selbst gut reflektieren zu können, kommt oft sehr gut an. Man lernt als Schiedsrichter nie aus und lernt auch vielen tolle Menschen über die Jahre kennen. Ich erinnere mich immer gerne an einen Satz unseres Academy-Chefs: «Auch wenn es nicht immer Bergauf geht, am Ende hat man immer etwas gelernt.»

Womens Euro Maximilian Zihlmann Bild 2

Du bist mittlerweile in der nationalen Referee Academy des SFV aktiv und pfeifst auf hohem Niveau. Was braucht es, um sich in diesem Umfeld durchzusetzen? Haben dir gewisse Erfahrungen oder Fähigkeiten aus dem Schiedsrichterwesen auch im Studium oder im Berufsalltag geholfen?

Es braucht viele Fähigkeiten, um sich durchzusetzen. In der Referee Academy gehört man zu den 120 besten Schiedsrichter:innen der Schweiz. Auf diesem Niveau wissen alle, was ein Foul oder Abseits ist. Entscheidend dabei sind die Nuancen und das Management. Denn obwohl es im Fussball nur 17 Regeln gibt, enthalten sie zahlreiche Unterartikel mit viel Interpretationsspielraum. Vieles ist ein Graubereich: Der eine pfeift ein Stossen früher, der andere ahndet ein Halten strenger. Deshalb muss man das Spiel managen – und genau das trennt gute von sehr guten Schiedsrichtern. Ein guter Schiedsrichter pfeift ein Spiel, ein sehr guter leitet es.

Jedes Spiel hat einen eigenen Charakter, den man spüren und auf den man sich vorbereiten muss. Ist es hitzig? Ein Derby? Geht es um den Auf- oder Abstieg? Je nach Spiel muss man eine andere Strategie fahren, um das Spiel zu leiten. Auch sind 22 Individuen auf dem Platz, welche alle ein Ziel haben: gewinnen und gesund nach Hause zu kommen. Dementsprechend muss ich mit jedem Spieler/jeder Spielerin anders umgehen und kommunizieren, um meine Integrität zu wahren und die Spieler zu schützen. Denn die Hauptaufgabe und unser höchstes Ziel ist der Schutz der Spieler und Spielerinnen. Ich möchte auf dem Platz nicht anbiedern oder schleimig rüberkommen, mehr als ein «Partner» mit dem man sich respektvoll, auf Augenhöhe, unterhalten kann. Am Ende bin ich aber in gewissermassen der Polizist auf dem Platz und wenn sich Leute ausserhalb meiner gesetzten Leitplanken bewegen, werden sie ermahnt oder für ihr Verhalten bestraft.

Man spürt: Die Schiedsrichterrolle ist für dich mehr als ein Hobby. Wie gelingt es dir, diese zweite Verpflichtung mit Beruf, Studium und Privatleben zu vereinbaren?

Es braucht sehr viel Planung, Wille und ein verständnisvolles Umfeld, um alles unter einen Hut zu bringen. Ich habe bereits früh damit angefangen, alles in meinem Kalender einzutragen. Dafür wurde ich in der Schule belächelt. Heute ist es sehr ähnlich. Private Termine muss ich meisten sehr früh im Voraus abmachen, da ich durch Training, Spiele, Schiedsrichterkurse und Studium eher unflexibel bin. Das passt für mich sehr gut, aber ist teilweise auch mühsam, wenn man kurzfristig einmal was machen möchte.

Das Ganze hat mich jedoch zu einer sehr organisierten und strukturierten Person gemacht, was mir sehr im Job und im Studium hilft.

Neben dem Pfeifen engagierst du dich auch im Verband. Warum ist dir der Austausch unter Schiedsrichter:innen so wichtig und was möchtest du mitgestalten?

Ich habe das Privileg, jedes Wochenende im Trio unterwegs zu sein und meine Leidenschaft immer mit meinen Schiedsrichterkollegen teilen zu können. Viele Schiedsrichter sind jedoch Woche für Woche allein unterwegs, da man erst ab der 2. Liga Regional als Trio fungiert. Das Leben als Schiedsrichter ist nicht immer dankbar. Deshalb ist es wichtig, dass wir Schiedsrichter uns gegenseitig unterstützen und füreinander da sind. Aus diesem haben wir in der Abteilung Schiedsrichter beim FVRZ unter meiner Leitung die «Referee Community» ins Leben gerufen.

Unser Motto ist: «Von uns, für uns – Für Anerkennung und Respekt im Schiedsrichterwesen!» Wir möchten unsere Community stärken, indem wir den Austausch fördern, langjährige Leistungen ehren und für unsere Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter da sind, wenn es mal nicht gut läuft. Vor allem möchten wir jedoch verhindern, dass Schiedsrichter mit dem Pfeifen aufhören, weil sie sich von Seiten des Verbandes zu wenig unterstützt und wertgeschätzt gefühlt haben.

Mein Ziel ist es auch, das Hobby Fussballschiedsrichter, wieder attraktiv zu machen. Denn mit einer positiven Community können wir andere Leute motivieren auch Schiedsrichter zu werden und die Lebensschule zu durchlaufen. 😉

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Du pfeifst sowohl Männer- als auch Frauenfussball. Gibt es Unterschiede aus Sicht eines Schiedsrichters, sei es im Spielstil, in der Kommunikation oder im Umgang auf dem Platz?

Der wahrscheinlich grösste Unterschied ist das Tempo. Aus rein biologischen Gründen ist der Frauenfussball weniger dynamisch und schnell als der Männerfussball. Dementsprechend ist er auch weniger intensiv. Technisch und taktisch gesehen sind jedoch beide gleich auf. Der Frauenfussball ist jedenfalls um einiges fairer und weniger von Märtzchen geprägt wie bei den Männern. Bei Männern wird ab Sekunde eins gegen den Gegner lamentiert und Trash Talk geführt. Der Ball wird weggeschossen, ein Nachschubsen hier und da und das ewige Motzen beim Schiedsrichter. 

Frauen sind untereinander und auch zu den Schiedsrichter:innen fairer und respektvoller im Umgang auf und neben dem Platz.
Maximilian Zihlmann, Student Bachelor Betriebsökonomie HWZ

Bei der UEFA Women’s Euro 2025 werden die Spiele nur von weiblichen Schiedsrichterinnen geleitet – ein klares Zeichen. Wie beurteilst du solche Entscheidungen in Bezug auf Gleichstellung und Sichtbarkeit im Schiri-Bereich?

Leider ist es momentan immer noch so, dass Frauen im Fussball untervertreten sind und es im Verhältnis noch weniger Schiedsrichterinnen gibt. Momentan gibt es knapp 340'000 Fussballspieler:innen und 5240 Schiedsrichter:innen im Schweizer Fussballverband. Davon sind gerade einmal 12.1% und 2.6% Frauen. Deshalb finde ich es eine sehr gute Möglichkeit, den gesamten Frauenfussball und Frauen im Schiedsrichterwesen, durch die EM, ins Zentrum zu bringen.

Ausserdem hat der Zürcher Fussballverband den sogenannten «Frauen Weg als Schiedsrichterin» ins Leben gerufen. Dieser ermöglicht es Frauen, die Ausbildung zu absolvieren und ausschliesslich im Frauenfussball zu pfeifen. Für viele ist gerade die Aussicht, auch im Männerfussball eingesetzt zu werden, ein Hindernis, sich überhaupt für den Grundkurs anzumelden. Mit diesem Angebot möchte man ihnen den Einstieg erleichtern. Der Weg ist Frauen vorbehalten, die in der Region pfeifen, die Ausbildung bleibt jedoch identisch.

Frauen Weg als Schiedsrichterin

Der Frauenweg ermöglicht es dir als Frau, dich ganz auf den Frauenfussball zu konzentrieren – wenn du möchtest, leitest du ausschliesslich Frauenspiele. Deine Einsätze werden individuell geplant, und bei den ersten Spielen wirst du begleitet. Alle Informationen dazu findest du auf dieser Webseite:

Auch bei den Schiedsrichter:innen braucht es Nachwuchs. Wenn du jungen Menschen (besonders Frauen) einen Anstoss fürs Pfeifen geben dürftest: Was würdest du ihnen mit auf den Weg geben?

Als Schiedsrichter lernt man wahnsinnig viel. Es ist eine Lebens- und Persönlichkeitsschule, die einen in jedem Bereich des Lebens helfen wird. Sicheres Auftreten, vor Leuten sprechen, Entscheidungen treffen und dahinterstehen. Es war auch immer ein sehr positiver Punkt bei der Jobsuche, denn es zeigt Engagement und Zuverlässigkeit sowie die oben genannten Persönlichkeits-Punkte. Ausserdem ist immer ein spannendes Gesprächsthema an Parties und unter Freunden. Zusätzlich treibt man regelmässig Sport und ist oft unterwegs und lernt neue und interessante Leute kennen.

Kurz und knapp: Ich kann es jeder empfehlen sich als Schiedsrichterin auf den Platz zu stellen!

Zum Schluss, wenn wir das Thema UEFA Women’s Euro 2025 schon angesprochen haben: Als Schiedsrichter wirst du nicht auf dem Platz stehen können, aber wirst du als Fan auch auf der Tribüne mitfiebern? 😊

Ja, ich konnte zum Glück noch Tickets für das Spiel Schweden gegen Deutschland im Letzigrund ergattern. Das war ein spannendes Spiel. Die Spiele der Schweizer Nati konnte ich bis anhin, wann immer es möglich war, in einem Public Viewing verfolgen.

Vielen Dank Max für die spannenden Einblicke. Viel Erfolg weiterhin auf und neben dem Platz! 

Podcast

Mehr zu Max Zihlmanns Karriere, Einblicken in den Regionalfussball und der Frauenfussballperspektive als Schiedsrichter gibt’s im Podcast «IM MITTELPUNKT» von FuPa Zürich.