Aktuell | 6. September 2023

«Eine starke Marke ist ein positives Vorurteil»

Von A wie Amag bis Z wie ZKB. 125 Kolumnen hat Stefan Vogler seit 2011 als Markenexperte über grosse, kleine, altbewährte, aufgefrischte und neue Marken geschrieben. Ein Interview mit unserem langjährigen Studiengangsleiter, das kürzlich in der Unternehmer Zeitung erschienen ist.

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Dieses Interview von Dominik Abt erschien als Erstpublikation in der Unternehmer Zeitung (UZ/04). Es handelt sich daher um eine Zweitpublikation. 

In dieser Ausgabe (04/2023) der Unternehmer Zeitung erscheint die letzte Kolumne von Stefan Vogler. Die Redaktion bedankt sich herzlich beim Markenexperten und stellten ihm anlässlich seiner letzten «Marke des Monats» aktuelle Fragen über Marken.

Stefan Vogler, was für Marken tragen Sie heute?

Eine Levi’s Jeans, ein Artigano Hemd, ein Zimmerli-Unterhemd, ein Jacket von Joop, Asics an den Füssen, eine IWC am Handgelenk, eine Mappe von Freitag in der Hand und eine Brille von Bonocler.

Was bringen Sie damit zum Ausdruck? Alles Lieblingsmarken von mir: Beste Qualität, Business Casual Mode mit gutem Design. Und besonders: Artigano, Bonocler, Freitag, IWC und Zimmerli sind Schweizer Marken, denen ich seit Jahrzehnten treu bin.

Seit dem Erscheinen des Positioning-Klassikers von Jack Trout und Al Ries, 1981, sind 42 Jahre vergangen. Welche zentralen Wahrheiten gelten noch heute?

Das Ziel jeder Marke war, ist und bleibt dasselbe: Die Marke muss Präferenz bei den relevanten Zielgruppen erreichen, denn wir evaluieren nur Produkte und Dienstleistungen von Marken, die wir kennen und gut finden. Wer an ein bestimmtes Produkt (z.B. Schokolade) oder eine Dienstleistung (z.B. Telecom) denkt, soll spontan auch an diese Marke denken (relevant set). Was änderte sich? Das Informations-, Kommunikationsund Kaufverhalten änderte sich früher eher träge. Heute viel schneller. Zudem gibt es laufend neue Medien, mit denen die Zielgruppen erreicht werden können. Hinzu kommt, dass die heutige Kundschaft und potenzielle Kundschaft nicht mehr nur mit klassischer Werbung, sondern online ganz gezielt bedürfnisgerecht erreicht wird. Diese Individualisierung des Marketings nimmt weiter zu, vorausgesetzt die Datenerhebung und -nutzung bleibt innerhalb der gesetzlich verschärften Bestimmungen möglich.

Ist es heutzutage also schwieriger geworden eine neue Marke zu lancieren?

Das 4M-Spannungsfeld «immer mehr Marken mit immer mehr Medien kämpfen auf immer mehr Märkten um die Gunst der Menschen » ist und bleibt herausfordernd und stellt an Marketing- und Kommunikationsfachleute höchste Anforderungen an deren strategische und konzeptionelle Kompetenz. Dank den Online-Medien bzw. mit Owned-, Shared- und Earned-Media können Marken mit viel weniger Mediabudget als früher nur mit Paid-Media lanciert werden. Hinzu kommt der Trend nach kleineren, oft lokalen Marken. Viele davon werden ausschliesslich durch Shared-Media und Mund-zu-Ohr-Propaganda bekannt. Bei den grossen globalen Markenanbietern findet eine Fokussierung auf wenige, wirklich starke Marken statt. Solche aufzubauen kostet viel und braucht Zeit. Es gibt aber Ausnahmen. ON hat es in rund zehn Jahren vergleichsweise rasch geschafft und wächst profitabel weiter.

Bestehende Marken sehen sich mit multioptionalen Kunden und stets neuen (digitalen) Kanälen konfrontiert. Welche Strategie empfehlen Sie?

Eine professionelle Mediaplanung ist unabdingbar. Der datengestützt errechnete Mediamix – das sogenannte Programmatic Media Planning und Buying – sorgt dafür, die relevanten Kanäle zu evaluieren und in Echtzeit zu bespielen. Tracking erlaubt Performance zu messen und den Mediamix während einer Kampagne anzupassen. Auch neue Kanäle können zusätzlich oder alternativ berücksichtigt werden. Aber nur neue Medien, welche rasch genügend Reichweite erzielen, werden Media Spendings erhalten. Die wichtigste Strategie heisst «Dranbleiben», laufend optimieren und stets ein Restbudget zur Verfügung halten, um neue Medien zu testen.

Nennen Sie uns Ihre drei Schweizer Lieblingsmarken.

Aus meinen vielen Lovebrands meine allerliebsten zu evaluieren ist schwierig. Spontan: Artigano, Stöckli und Mövenpick.

Weshalb gerade diese drei Marken?

Ich trage fast ausschliesslich Artigano Hemden. Seit 1979 wird das Unternehmen dem eigenen Anspruch gerecht, perfekte Hemden und Blusen zu fairen Preisen zu vertreiben. Artigano blieb bis heute ein Schweizer Familienunternehmen.

Seit meiner ersten Fahrt mit Stöckli-Skis (die ich gekauft habe, ohne ihn getestet zu haben!) bin ich Fan und behaupte: Stöckli sind die drehfreudigsten Skis der Welt. Das zeigt: Eine starke Marke ist ein positives Vorurteil. An dieser grossartigen Schweizer Marke, die sämtliche Schneesportnationen der Welt am Erobern ist, fasziniert mich aber mehr als nur das Produkt. Die Produktion in der eigenen Manufaktur. Das clevere Sponsoring- Engagement mit der Spürnase für junge Talente. Diese bleiben der Marke treu, wenn sie, wie Odi national Weltruhm erlangen. Und Marc Gläser ist ein engagierter CEO, der die Marke (vor)lebt.

Für die einst grosse Marke Mövenpick habe ich Herzblut, weil ich das Marketing- Handwerk bei Mövenpick-Gründer Ueli Prager sel. erlernte. Das Team der damaligen internen Werbeagentur war toll. Es brauchte kein Employer Branding, um uns zu motivieren. Wir wurden wertgeschätzt und konnten am pionierhaften Markenaufbau für die Gastronomie, Hotellerie, Kellerei und die Markenartikel mitarbeiten.

Und welches ist die stärkste globale Marke? Weshalb?

Apple ist klarer Markenweltmeister. Der Brand ist zur «Weltreligion» quer durch alle Länder und Kulturen gewachsen. Er erfüllt heute noch jeden Tag das ursprüngliche «How» nach dem Golden Circle Modell von Simon Sinek: «Our products are beautifully designed and easy to use.» Man beachte die für ein Technologieunternehmen damals revolutionäre Reihenfolge. Beeindruckend ist die Konsequenz und Stringenz in der Markenführung. Das erwähnte Markenversprechen zieht sich durch die gesamte Customer Journey – von den Produkt-Innovationen über den Vertrieb bis zum exzellenten Kundenservice in den wunderbaren Brand Stores an besten Lagen.

Storytelling ist in aller Munde. Führt tatsächlich kein Weg daran vorbei?

Nein. Die Hard Selling Zeiten «Produkt hinstellen, Features aufzählen, aufschwatzen, falls nötig etwas Rabatt gewähren und abdrücken » sind vorbei. Wir wollen emotional inspiriert werden, Marken und die Menschen dahinter entdecken, Geschichten sehen, hören, lesen und empathisch bedürfnisorientiert, individuell und persönlich umworben werden. Die Liebe des Lebens gewinnt niemand mit stalken. Markenwahrnehmung funktioniert wie Menschenwahrnehmung: Der Beziehungsaufbau und die Pflege gelingen smart nachhaltiger als krachledern. Nichts eignet sich besser dafür wie spannend- inspirierende Storys. Das müssen nicht immer mystische Märchen sein. Eine Marke darf auch mal anecken, Charakter zeigen, Haltung beweisen. Das gibt ihr Identität und schafft Identifikation. Die Schadenskizzen der Mobiliar feiern heuer das 25-Jahr Jubiläum. Sie sind Storytelling pur und haben mitgeholfen, die Marke zur bestreputierten Versicherung im GfK Ranking zu machen.

Welchen Fehler beobachten Sie in der Markenführung immer wieder?

Fehlende Konsequenz und Kontinuität. Das Why, What und How von Apple wurde vor Jahrzehnten formuliert und wird heute noch gelebt und demzufolge erlebt. Viele Marken ändern ihre Positionierung und Kommunikation viel zu schnell. Ein Markenaufbau braucht Zeit. In unserer reizüberfluteten, multioptionalen Welt wirken verlässliche, klar positionierte und gut profilierte Marken wie Ikonen oder Leuchttürme und gewinnen und erhalten das Vertrauen ihrer Kund:innen. Sie suchen verlässliche Marken, die ihnen Orientierung geben, ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das ist keine Absage an das Potential neuer Marken, aber sie brauchen etwas Zeit zum Reifen. Wer keine Geduld hat, relauncht lieber alte.

Zum Schluss, was ist Ihr Lebensmotto?

Engagement!