Aktuell | 20. Januar 2025

Erfahrung kann die digitale Transformation hemmen

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern die Welt. Wenn Unternehmen und Organisationen bestehen wollen, brauchen sie Führungskräfte mit neuen Qualitäten. Offenheit, Adaptionsfähigkeit und Experimentierfreude sind die wichtigsten, findet Sunnie Groeneveld, Expertin für Digital Leadership und Studiengangsleiterin im Executive MBA Digital Leadership HWZ.

Portrait Sunnie Groeneveld Hwz

Dieses Interview ist im Januar 2025 als Erstpublikation in der Beilage «Alpha» unter anderem im Tagesanzeiger und in der Sonntagszeitung erschienen. Das Interview hat Andreas Minder geführt.

Inwiefern verändert die Digitalisierung die Aufgaben von Führungskräften?

Sunnie Groeneveld: Ich finde es zunächst wichtig, zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation zu unterscheiden. Ein Beispiel: Wenn man Ihnen beim Einchecken im Hotel statt einem Blatt Papier ein iPad in die Hand drückt, wurde etwas Analoges eins zu eins in etwas Digitales übersetzt. Weder am Prozess noch am Kundenerlebnis oder am Geschäftsmodell hat sich etwas massgeblich verändert. Das ist Digitalisierung.

Von digitaler Transformation spricht man dann, wenn man sich fragt, was sich dank des Einsatzes digitaler Technologien verbessern lässt. Das ist der Teil, der für Führungskräfte spannend ist, weil verschiedene Antworten möglich sind und es Führungsentscheide braucht.

Um beim Beispiel zu bleiben: Braucht es überhaupt noch eine Rezeption? Was bedeutet das für den Rezeptionisten? Wie muss er sich reskillen oder upskillen? Können wir die Kund:innen dank der Daten personalisierter ansprechen? Da tun sich schon einige Themen auf, wobei wir noch gar nicht die Möglichkeitsfelder rund um die künstliche Intelligenz angesprochen haben. Denn mit zunehmend autonomen, lernfähigen Systemen ergeben sich noch viel mehr Chancen, das Geschäft zu verändern.

Wie beeinflussen die neuen Technologien die Strategieentwicklung?

Sunnie Groeneveld: Man kann sich nicht mehr hinsetzen und sagen, wir machen jetzt unsere Zehnjahresstrategie 2035. Das ging schon mit der digitalen Transformation nicht, mit KI geht es erst recht nicht mehr. Ich veranschauliche das gern an einem Beispiel: Netflix brauchte zehn Jahre, um 100 Millionen User:innen zu gewinnen. TikTok brauchte für dasselbe Ergebnis neun Monate; ChatGPT dann nur noch zwei Monate. Das zeigt, dass wir gesellschaftlich immer gewillter sind, neue Technologien auszuprobieren. Und das bedeutet für die Wirtschaft, dass sich Kund:innen und Märkte viel schneller verändern. Also muss ein Unternehmen viel agiler und adaptiver werden.

Welcher Führungsstil passt unter diesen Bedingungen?

Sunnie Groeneveld: Ich glaube stark an das situative Führen. Manchmal ist eine klare Ansage von oben angebracht, damit die Organisation effektiv funktionieren kann – wir erinnern uns an die Covid-Krise. Andererseits gibt es viele Kontexte – und darunter sind oft solche, in denen der Einsatz von digitalen Technologien eine Rolle spielen –, in denen hierarchische Führung nicht mehr das Effektivste ist.

Es ist vielmehr angezeigt, in Netzwerken zu arbeiten, Leute aus verschiedenen Abteilungen und Hierarchiestufen zusammenzubringen. Dafür braucht es Menschen, die selbstorganisierter, eigenverantwortlicher arbeiten. 

In solchen Teams können Führungskräfte nicht einfach befehlen, denn wahrscheinlich wissen sie selbst nicht, was die Lösung ist. Stattdessen sollten sie die relevanten Fragen stellen, den Mitarbeitenden Vertrauen entgegenbringen, sie in ihrer Expertise unterstützen und befähigen. Eine Führungskraft muss beidhändig auf der Klaviatur der Führungsstile spielen können, also «Command and Control» genauso beherrschen wie «Trust and Inspire».

Was bedeutet die digitale Transformation für das Personalmanagement?

Sunnie Groeneveld: Es ist wichtig, dass Human Resources und – wo vorhanden – auch Learning & Development nahe an der Geschäftsleitung dran ist und versteht, worauf die digitale Transformation der Firma abzielt. Denn das Thema Upskilling, Reskilling und die Gewinnung, Entwicklung und Retention von Talents wird immer essentieller. Ein wichtiger Punkt ist dabei die Interaktion Mensch-Maschine. Die Robotik und die generative künstliche Intelligenz werden noch stärker verschmelzen, Roboter werde vermehrt im Arbeitsumfeld auftauchen. Das Verhältnis Mensch-Maschine wird noch viel symbiotischer. Maschinen übernehmen nicht nur datenintensive und repetitive Aufgaben, sondern zunehmend auch Denkaufgaben, sie werden also zum «personalisierten Sparringpartner». Richtig eingesetzt, können Menschen dadurch kreativer werden und strategisch smarter handeln. Damit das gelingt, muss man sich auf jeder Ebene des Unternehmens stärker mit dieser Beziehung auseinandersetzen.

Sind Führungskräfte deiner Erfahrung nach bereit, sich auf das Neue einzulassen?

Führungskraft zu sein bedeutet zunehmend, nicht nur ein Geschäft zu betreiben, sondern dieses auch durch Veränderungen zu führen.

Sunnie Groeneveld: Was Letzteres angeht, sind wir alle in einer Situation, in der wir nicht alle Antworten haben. Wie gehe ich als Leader damit um? Lasse ich mich von Neugierde leiten oder von Angst? Meine Erfahrung ist, dass die meisten Führungskräfte, die in der Technologiebranche arbeiten, neugierig, lernwillig und extrem experimentierfreudig sind. In anderen Branchen erlebe ich es durchzogener; teils sind gerade «gestandene» Führungskräfte zurückhaltender und in der Tendenz weniger offen. Erfahrung hat viele Vorteile, aber eben auch ein, zwei Nachteile. Sie kann die Bereitschaft hemmen, Neues auszuprobieren.

Was lässt sich dagegen tun?

Sunnie Groeneveld: Im EMBA Digital Leadership setzen wir stark auf «Experiental Learning», und schaffen immer wieder Lernkontexte, um Neues auszuprobieren, sei dies auf unseren Study Tours in die USA oder Singapur, mittels eines begleiteten Innovationsprojekts in der eigenen Firma oder in einer Outdoor Leadership Challenge. In Firmen selbst finde ich Programme wie Reverse Mentoring spannend. Hier schlüpfen jüngere Berufsleute in die Mentorenrolle und vermitteln Personen mit mehr Berufserfahrung und auf höherer Hierarchiestufe digitale Skills. 

Executive MBA Digital Leadership HWZ

Du willst nicht nur führen, sondern wirklich etwas bewegen? Der Executive MBA Digital Leadership an der HWZ gibt dir das Rüstzeug dazu. Das kompakte, berufsbegleitende 16-monatige Programm wurde speziell für visionäre Führungskräfte wie dich entwickelt, die bereits über umfassende Berufserfahrung verfügen und ihre Karriere auf die nächste Stufe heben möchten.

Hier vertiefst du dein Wissen über digitale Technologien und neue Führungsansätze. Du lernst, eine digitale Vision für dein Unternehmen zu entwickeln und dein Team sicher durch die Herausforderungen der digitalen Transformation zu führen. Sei bereit, nicht nur dein Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft zu verändern!