Campus | 25. August 2022
Für die neuste Ausgabe der Kaffeepause trafen wir uns mit Bernhard Schneider im «pìù» gleich gegenüber der HWZ. Eigentlich wollten wir mit ihm über seine Tätigkeit an der HWZ sprechen, thematisch sind wir dann aber ein bisschen abgeschweift und haben uns ausgiebig über die sportlichen Höhepunkte von unserem langjährigen Bachelor Business Communications-Dozenten unterhalten. Vor allem seine strategische Herangehensweise, seine Neugier und sein historisches Wissen beeindruckten uns.
In unserer Serie «Kaffeepause» trinken wir mit unseren Dozierenden und Studiengangsleitenden einen Kaffee oder Tee und erkunden die besten Plätze rund um die Europaallee, wo wir als HWZ zuhause sind. In dieser Ausgabe haben wir das «pìù» gleich gegenüber der HWZ besucht. Der Espresso schmeckte lecker, war preislich mit CHF 4.80 der teuerste, den wir bisher tranken. Alternative Milchvarianten fehlen. Draussen wie auch drinnen hat es genügend Platz, um sich ungestört zu unterhalten.
Welches Fach unterrichtest du an der HWZ?
Ich unterrichte seit 2008 Grundlagen der Kommunikation sowie Krisen-& Reputationsmanagement im Bachelor Business Communications HWZ.
2008 das ist eine lange Zeit und in der Kommunikation hat sich viel verändert. Was stellst du fest?
Das stimmt, vor allem die Mediennutzung hat sich komplett verändert. Zwischen 2008-2014 blieb vieles gleich. Alle haben «20 Minuten» gelesen und im Unterricht hatte es mindestens so viele 20 Minuten-Zeitungen im Raum wie auch Studierende. Ab 2013 hat sich dies schlagartig verändert, 2014 war «WhatsApp» das wichtigste Medium für die Studierenden und ab 2015 folgten Facebook und Instagram.
Was bedeutet das für deinen Unterricht?
Die Studierenden sind eine soziologisch geschlossene Gruppe und diese Gruppe hatte bis 2013 einheitliche Informationen – sie lasen 20 Minuten, einige natürlich auch andere Medien, namentlich die NZZ, oder hörten «das Echo der Zeit». Heute informieren sie sich zu Beginn des Studiums vor allem über die verschiedenen Social-Media-Plattformen. Was aber bedeutet, dass sogar bei einer soziologisch so geschlossenen Gruppe kein Medium existiert, mit welchem man die ganze Gruppe abholen kann. Dieser Umstand stellt eine enorme kommunikative Herausforderung dar. Für unsere Studierenden ist es wichtig, sich dieser Ausgangslage bewusst zu sein. Denn in ihrem beruflichen Setup müssen sie wissen, wie sich andere informieren, wie sie sich informieren und sie müssen wissen, wo sie ihre Zielgruppe erreichen.
Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, das eigene Kommunikationsverhalten ebenso wie dasjenige anderer zu reflektieren und zu analysieren, mit dem Ziel, Kommunikation als Instrument einzusetzen der gegenseitigen Verständigung und auf der Suche nach tragfähigen Lösungen.
Mit was beschäftigst du dich, wenn du nicht unterrichtest?
Ich forsche sehr viel, einerseits im Rahmen der HWZ im Bereich Kommunikation, andererseits als Historiker. Gerade kürzlich befasste ich mich intensiv mit dem Neolithikum (Jungsteinzeit), habe jetzt in den letzten zwei Jahren die Struktur des Hochadels im Raum Zürich im frühen 12. Jahrhundert untersucht und bin der Meinung, dass ich dort wirklich neue Resultate herausgefunden habe. Als Forscher interessieren mich neue Ergebnisse, ich bin kein Wiederkäuer – das merkt man auch in meinem Unterricht. Das zweite Thema, das mich sehr interessiert, ist die Sportphysiologie. Angefangen hat auch dieses Projekt als Historiker. Im Rahmen einer Forschungsarbeit im Bereich Mobilität der Unterschicht vom 18. Jahrhundert habe ich beispielsweise versucht, Kartoffeln anzubauen, wie dies damals gemacht wurde, und den Ertrag gemessen. Ich stellte fest, dass die Ernte enorm klein war und die Unterschicht damals nicht genügend verpflegt wurde. Zudem versuchte ich, zu simulieren, wie sich Menschen damals fortbewegten. Aus Forschungszwecken bin ich meinen ersten Marathon gelaufen und habe versucht dies so zu tun, wie es die Menschen der Unterschicht Ende des 18. Jahrhunderts getan hätten. Sprich, ich verpflegte mich nicht. Ich war neugierig und wollte herausfinden, was passiert, wenn man zu wenig Nährstoffe zu sich nimmt und eine physische Leistung erbringen muss.
Du sprichst von «nicht verpflegen», was bedeutet das?
Ich habe kein Carboloading gemacht und während des Marathons nur Wasser getrunken. Ausserdem machte ich zusätzlich einen mentalen Test und rannte die ersten 3 km mit der Spitze mit (3 km in 9 Minuten) danach bin ich nur noch nach hinten gerutscht.
Was bedeutete das für deine Forschungsarbeit?
Interessant war dabei, dass, obwohl ich die Versuchungsanleitung selber festlegte, es mir mental wirklich zusetzte. Es ist frustrierend zu sehen, dass du ab dem 3 km nur noch überholt wirst und keine Chance hast, mit der Spitze mitzurennen. Anhand dieses Versuchs konnte ich mir vorstellen, wie es Menschen aus der Unterschicht im 18. Jahrhundert ergangen ist, die mangelernährt waren und physische Leistung erbringen mussten. Es ist entmutigend.
Wie ging es weiter?
Als ich feststellte, dass ich unter diesen Umständen einen Marathon mit einer relativ guten Zeit laufen kann – ich kam im 1. Viertel des Feldes ins Ziel – entschloss ich, einen Leistungstest zu absolvieren. Der Sportarzt meinte zu mir, ich solle Triathlon probieren. Der Knackpunkt aber war: Ich konnte nicht wirklich schwimmen. Trotzdem packte mich der Ehrgeiz und ich wollte die Herausforderung annehmen und schauen, was ich in einem Bereich schaffe, indem ich nicht begabt bin.
Und hast du es geschafft?
Jahrelang war mir nicht wichtig, welchen Rang ich in meiner Altersklasse erreichte. Da ich aber meistens bereits weit vorne lag, wusste ich, ich muss auch gut schwimmen. Wenn ich gewinnen will, muss ich in allen Disziplinen sehr gut sein. Bspw. brauchte ich während meines ersten Ironmans 1 Stunde 30 Minuten fürs Schwimmen. Klar war es toll auf dem Velo 800 Menschen zu überholen, aber noch besser wäre, man müsste niemand mehr überholen. Das Überholen kostet sehr viel Energie. Ich sehe jetzt natürlich den Fortschritt, seit ich mich intensiver mit dem Schwimmen beschäftige. Freunde, die vor zehn Jahren noch 15-30 Minuten schneller waren, sind heute höchstens noch wenige Minuten vor mir.
Du hast uns 2016 schon einmal von deiner Ironman-Reise in Hawaii erzählt. Damals hattest du im Jahr zuvor eine Herzoperation und den Ironman trotzdem gemeistert. Das ist ja bereits sechs Jahre her, was hat sich seit damals getan und wo stehst du heute?
Die Vorbereitung für Hawaii damals war nicht optimal. Aufgrund vieler Termine, unter anderem auch an der HWZ, konnte ich erst am Mittwoch anreisen und am Samstag fand der Ironman statt. Nur zwei Tage vor dem Wettkampf vor Ort, Zeitverschiebung, von der kalten Schweiz ins heisse Hawaii – da war es weniger eine Frage der Möglichkeiten, sondern mehr eine Frage der Vernunft.
Unter diesen Umständen wollte ich den Ironman geniessen und nicht zu sehr ans Limit gehen.
Das tönt sehr strategisch …
Ich entscheide bei jedem Wettkampf, wie die Herangehensweise ist. In Hawaii hatte ich aufgrund der kurzfristigen Ankunft ein Handicap. Daher war klar, ich gehe nicht auf eine gute Platzierung, sondern ziehe ein bestimmtes Tempo durch. Die Hauptfragestellung war, wieviel Intervall (ich ziehe an einer Gruppe vorbei und beschleunige nochmals) verträgt es. Mein Ziel war nicht der Sieg. Vielmehr wollte ich testen, wie stark ich mich auf dem Velo auspowern kann, so dass ich danach noch gut rennen kann.
In Thun (ein anderer Wettkampf) versuchte ich, ein bestimmtes Tempo durchzuziehen. Ich war gleichzeitig mit dem Stärksten unserer Gruppe in der Wechselzone und wusste, ich könnte jetzt anhängen und gewinnen. Ziel dieses Wettkamps war aber der Aufbau für den Ironman in Vichy – also zog ich mein Konzept durch. In Westfriesland habe ich trotzdem gewonnen, in Thun wurde ich 3. in meiner Kategorie.
Ist es nicht schwierig, im Wettkampfmoment seinen Ehrgeiz hintenanzustellen?
Ich trainiere mich selber, daher bin ich gespalten zwischen Trainer und Sportler. In diesen Momenten spricht der Trainer zu mir. Die meisten meiner Konkurrenten sind Frühpensioniert und setzen voll aufs Training. Das heisst, wenn ich gewinnen will, brauche ich Vorteile: Ich glaube ich bin strategisch besser, ich baue meine Saison systematisch auf, ich bin diszipliniert und kann mich zurücknehmen (ich muss nicht gewinnen, ich darf) und ich bin taktisch besser. Ich habe kein Problem, mich am Anfang überholen zu lassen, entscheidend ist, dass ich am Schluss vorne bin. In Vichy wäre das Ziel gewesen zu gewinnen. Eine Woche nach Thun bekam ich Corona. Was bedeutete, dass ich zwei Wochen nicht richtig trainieren konnte. Zudem habe ich aufgrund eines zu schnellen Aufbaus auch noch Herzrhythmusstörungen bekommen und musste wieder runterfahren – sprich, ich werde in Vichy nicht dort sein, wo ich sein will. Daher ist meine neue Strategie: Ich werde mich nicht nach den anderen richten. Hauptziel ist, in meinem Rhythmus ins Ziel zu kommen (a. d. R.: Bernhard Schneider hat in Vichy den dritten Platz in seiner Altersgruppe erreicht, sich für die Ironman WM Hawaii 2023 qualifiziert und die Führung im globalen Ranking übernommen – herzliche Gratulation).
Bei langen Wettkämpfen ist es wesentlich, dass du deine Energie bis zum Schluss einteilen kannst.
Du sprichst es an: Du leidest unter Herzrhythmusstörungen und bringst Leistung auf einem enorm hohen Niveau. Wie gehst du damit um?Ich hatte mich im 2016 einer Herzoperation unterzogen, das Vorhofflimmern hat sich dadurch minimiert, aber es ist nicht ganz weg. Wenn es heute auftaucht, nehme ich es als Indiz an, dass ich mich in der momentanen Verfassung mental oder körperlich überfordere und schraube die Leistung ein bisschen zurück.
Ist es nicht gefährlich, mit diesem Flimmern weiter Sport zu machen?
Nein, das kann man so nicht sagen. Es gibt zwar verschiedene Theorien und da es in meiner Altersgruppe nur etwa zehn Männer im gleichen Leistungsbereich gibt, ist dies keine relevante Forschungsgruppe. Der Witz aber ist, dass bei Menschen, die viel Sport machen, das Vorhofflimmern öfter auftaucht. Die meisten Menschen merken nicht, wenn sie ein Vorhofflimmern haben. Der Unterschied ist, dass ich es bereits nach sehr kurzer Zeit spüre. Sportler-Vorhofflimmern kommt aus der Lungenvene – Ausdauersportler haben grösseres Lungenvolumen – und das kann dazu führen, dass die Kanäle, die das Vorhofflimmern auslösen, grösser sind. Wenn ich niese, erschrecken viele ?
Kommen wir nochmals auf deinen Berufsalltag zu sprechen: Hat sich beruflich etwas verändert, seit du so intensiv Sport machst?
Ich nehme extrem viel mit. Bspw. war ich mal Chefredaktor bei Radio DRS1 und wollte dort Radio-Direktor werden und war in der letzten Interview-Runde unterlegen. Unter diesen Umständen wollte ich die Stelle wechseln und gründete ohne Referenzen oder Erfahrungen auf der Dienstleistungsebene eine Agentur. Ich musste ganz unten anfangen und machte viele Fehler. Ohne Sport hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Dank meiner sportlichen Erfahrung wusste ich: «Du schaffst es nie ohne Krise.» Mit diesem Wissen, hatte ich die Disziplin durchzuhalten. Ich versuchte, aus jeder Krise Schlussfolgerungen zu ziehen: Was habe ich falsch gemacht, dass ich den Auftrag nicht bekommen habe? Mit dieser Reflexion, hatte ich die Möglichkeit, mich stetig zu verbessern.
Welche Erfahrungen aus Sport und Beruf gibst du unseren Studierenden weiter?Das Wichtigste ist: Misserfolge sind etwas Wesentliches. Ich bin den Professoren an der Uni bis heute dankbar, dass sie mich manchmal in meine Schranken gewiesen haben. Ich war nämlich ein ziemlich unausstehlicher «Siech», der das Gefühl hatte, alles zu wissen. Die Professoren und Lehrer, die mir das nicht durchgehen liessen, halfen mir am meisten. Wenn ich Bachelor-Arbeiten bewerte, gebe ich sehr detailliertes Feedback und bekomme auch immer wieder Dank für mein kritisches Feedback «Man kann immer etwas noch besser machen». Ausserdem sage ich den Studierenden, dass sie nicht immer eine Topleistung erbringen müssen, sondern im Voraus überlegen, was strategisch wichtig ist und da das Optimum herausholen. Wenn man das Optimum bringt, geht man ein geringeres Risiko ein und man ist schneller wieder fit, egal ob Beruf, Studium oder Sport. Und das Maximum hilft gar nicht zwingend weiter – es muss nicht immer der 6er sein.
Bernhard, was ist für dich die beste Erfindung:
Das Rad. Weil es viel effizienter ist als der Schritt.
Was ist dein heimliches Talent?
Mathematik. Als ich meinen Mathematiklehrer nach über 30 Jahren wieder traf, war er erstaunt, dass ich nicht Mathe studierte. Auch nach 30 Jahren hatte er mich als Mathematiker in Erinnerung.
Als Kind wollte ich …
Raubtierdompteur werden. Meine Tante und Onkel arbeiteten beim Knie und ich durfte als 10-Jähriger mit Trupka (Raubtierdompteur) ein Nachmittag lang reden. Ich habe schon damals viel für den Unterricht von heute gelernt.
Welchen Rat würdest du deinem 20-jährigen «Ich» geben?
Mehr Gelassenheit und nimm deine eigene Meinung nicht zu ernst.
Was steht bei dir immer im Kühlschrank?
Fruchtsaft und Weisswein.
Mit welchen fünf Personen würdest du gerne Nachtessen?
Goethe mit allen seinen Stärken und Schwächen. Charlotte von Stein, die in Goethes Leben eine wichtige Rolle spielte – sie hat ihn nicht bewundert, sondern ihm hie und da die Leviten gelesen. Ausserdem würde ich noch meinen Lieblingsphilosophen Hegel dazunehmen. Er und Goethe kannten sich. Goethe war im Ausdruck lebensfreudiger, aber von der Logik her hat mich Hegel geprägt. Das Spannungsfeld Literat und Philosoph, würde mich interessieren. Weiter Marie Curie, die einzige Frau, die in zwei unterschiedlichen Disziplinen, Chemie und Physik, einen Nobelpreis bekommen hat und eine Person aus der Politik, Nelson Mandela. Er hatte Schwächen im Detail, aber er hat sein Image als jahrelanger Strafgefangener genutzt für einen friedlichen Übergang in Südafrika.
Was kannst du überhaupt nicht?
Wegen meiner Perfektionsansprüche kann ich nicht Kleider bügeln und Päckli verpacken. Ich kann viele verschiedene Sachen nicht wirklich gut. Bspw. bringe ich mein Fahrrad und Auto zum «Mech», da die das besser können. Alles, was ich nicht so gut kann, versuche ich abzugeben ? Die meisten Schwächen sind nicht schlimm für mich, auch für die Schwächen braucht es Strategien, wie man damit umgeht.
Ein Lebensprinzip?
Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke die Folgen. Wenn man sich moralisch richtig verhält, heisst das nicht, das es aus ethischer Sicht gut ist, weil vielleicht die Folgen negativ sind. Das andere sind die Emotionen – für mich ist Intuition zentral, egal ob bei der Arbeit oder im Privaten.
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