Forschung | 31. Oktober 2023
Online-Marktplätze wie Digitec Galaxus oder Amazon sind gekommen, um zu bleiben. Das zeigt der E-Commerce Stimmungsbarometer 2023. Über den Erfolg solcher Marktplätze, den Vormarsch chinesischer Anbieter und die aktuellen Prioritäten für Schweizer Onlinehändler sprechen Ralph Hutter, Tiziana Gaito und Philippe Mettler im Experteninterview.
Dies ist eine Zweitpublikation. Das Originalinterview wurde publiziert am 05.10.2023 im Geschäftskundenmagazin Yellow der Schweizerischen Post, Interview: Thomas Hügli
Wenn Sie die Resultate des Stimmungsbarometers 2023 anschauen: Wie lässt sich die Schweizer Bevölkerung beim E-Commerce charakterisieren?
Tiziana Gaito: Die Resultate belegen, dass wir ein Volk von Onlineshopperinnen und -shoppern sind. Drei Viertel der Befragten kaufen mindestens monatlich online ein. Die jüngere Generation bevorzugt dabei klar das Smartphone, die ältere Generation den Computer. Besonders häufig werden Produkte gekauft, die sich dem Unterhaltungsbereich zuordnen lassen: Musik, Bücher, Filme, Reisen und Eventtickets. Auch Kleidung ist beliebt. Die Schweizer Bevölkerung mag es beim Einkaufen flexibel und schätzt daher, beim Onlineshopping unabhängig von Öffnungszeiten zu sein.
Wie ist derzeit die Stimmung der Konsumierenden im Schweizer Onlinehandel?
Ralph Hutter: Die Stimmung ist gedämpft. Zurzeit glauben die Konsumierenden nicht daran, dass sich die Wirtschaftsentwicklung in den kommenden zwölf Monaten wesentlich verbessert. Der Index der Konsumentenstimmung liegt nach wie vor unter dem langjährigen Mittelwert. Preiserhöhungen – etwa bei den Mieten, dem Strom oder beim Reisen – drücken auf die Stimmung.
Welche Resultate des diesjährigen Stimmungsbarometers sind Ihnen besonders aufgefallen?
Philippe Mettler: Beachtlich finde ich den Wechsel Richtung Onlineshopping in einigen Branchen, etwa beim Reisen. Zudem ist mir die Entwicklung bei den Zahlungskanälen aufgefallen. Vor allem Twint hat gegenüber der letzten Befragung nochmals stark zulegt, während die klassische Rechnung weiter an Bedeutung verliert.
Tiziana Gaito: Dieser Trend ist mir ebenfalls aufgefallen. 2019 bevorzugten gerade mal 17 Prozent der Befragten Twint als Zahlungsmittel. Inzwischen sind es 52 Prozent. Interessant ist auch die Entwicklung der virtuellen Marktplätze. Dort liegt Digitec Galaxus bei der Beliebtheit mit Abstand auf dem ersten Platz. Amazon legt ebenfalls zu und hat in der diesjährigen Studie Zalando überholt.
Philippe Mettler: Immer mehr Konsumierende suchen beim Onlineshopping auf solchen Marktplätzen nach Produkten statt auf klassischen Suchmaschinen.
Worauf führen Sie den Erfolg der Online-Marktplätze zurück?
Philippe Mettler: Sie punkten stark bei den Hygienefaktoren, die erfüllt sein müssen, damit die Konsumierenden überhaupt bestellen. Dazu gehören etwa die rasche Verfügbarkeit der Produkte, der Verzicht auf versteckte Kosten sowie einfache Retourenprozesse. Und natürlich muss der Preis stimmen. Zudem wissen die Konsumierenden, wie der Onlinekauf auf Marktplätzen abläuft, kennen die Konditionen und können sich Bewertungen zu den gewünschten Produkten ansehen. So geben die Marktplätze ein Gefühl der Sicherheit. Hinzu kommt: Produkte lassen sich breit bündeln. Ich kann dort Turnschuhe kaufen und gleich noch Rasierklingen. Dadurch muss ich nur einmal bestellen und nur einmal Versandkosten bezahlen – oder gar keine, wenn mein Warenkorb gross genug wird.
Ralph Hutter: Der auffällige Erfolg von Digitec Galaxus lässt sich zusätzlich mit einer Eigenheit des Schweizer Markts erklären. Grundsätzlich gilt bei Online-Marktplätzen das Prinzip «The Winner takes it all»: Wer zuerst eine kritische Masse oder sogar die Marktführerschaft erlangt, setzt sich oft langfristig durch – selbst gegen ausländische Riesen. Das war schon bei Ricardo im Wettbewerb mit eBay so und nun bei Digitec Galaxus gegenüber Amazon.
Philippe Mettler: Was ich ebenfalls interessant finde: Ähnlich wie beim Thema Ökologie gibt es bei den virtuellen Marktplätzen einen Widerspruch zwischen dem formulierten Wunsch und dem Verhalten. Gemäss dem Stimmungsbarometer beabsichtigen mehr Konsumierende, direkt bei den Herstellern online einzukaufen – und nicht auf Marktplätzen. Doch meist obsiegt dann wohl der Wunsch nach Einfachheit und soliden Prozessen.
Was leiten Sie davon ab?
Philippe Mettler: Für Hersteller, die einen hohen Umsatz im eigenen Onlineshop anstreben, ist Branding besonders wichtig. Starke Marken schaffen es eher, die Konsumierenden direkt zu sich zu holen.
Ralph Hutter: Branding ist auch für die Marktplätze entscheidend. Digitec Galaxus hat es geschafft, sich zu einer bekannten, vertrauenswürdigen Schweizer Marke zu entwickeln. Offenbar mehr als bei den ausländischen Marktplätzen vertrauen die Konsumierenden darauf: Dieser Onlineshop ist sicher, die Zahlung funktioniert problemlos, die Waren werden wirklich geliefert und der Retourenprozess läuft einfach ab. Schweizer Brands profitieren auch davon, dass versteckte Kosten wie Liefer- und Zollgebühren viele Konsumierende abschrecken – und sie von Bestellungen über die Landesgrenzen hinweg abhalten.
Allerdings werden gemäss dem Stimmungsbarometer chinesische Onlineshops bereits rege genutzt. Was bedeutet das für die Schweizer Onlinehändler?
Philippe Mettler: Dieser Trend ist nicht neu. Vor allem vor Corona haben wir bei den chinesischen Anbietern hohe Wachstumsraten gesehen. Diesen Vormarsch haben die Lieferengpässe während der Pandemie vorerst gestoppt. Allerdings sehen wir nun, wie einige chinesische Onlinehändler Infrastruktur und Logistik in Europa ausbauen. Dadurch wollen sie die Verfügbarkeit ihrer Produkte verbessern und die Lieferfristen senken. Von den Schweizer Onlinehändlern erfordert das, sich auf ihre Stärken zu besinnen. Punkten können sie, wie Ralph Hutter schon erwähnt hat, besonders mit dem Thema Vertrauen.
Ralph Hutter: Ich erachte die Konkurrenz durch chinesische Unternehmen für Schweizer Onlinehändler aus zwei Gründen als gering. Erstens bieten sie andere Waren in einer anderen Qualität an, vorwiegend mit dem Preis als Kaufargument. Zweitens konkurrenzieren sich die grossen chinesischen Anbieter primär gegenseitig. Die aktuelle Marktoffensive von Temu mit riesigem Werbedruck geht vor allem zulasten von Wish und AliExpress. Denn Temu hat das gleiche Geschäftsmodell: Auf dem Marktplatz bieten ausschliesslich asiatische Produzenten ihre Waren an und liefern dafür Vermittlungsgebühren ab. Für die einheimischen Onlinehändler sehe ich die viel grössere Bedrohung darin, dass Amazon den hiesigen Markt direkt aus der Schweiz heraus bearbeiten könnte – mit eigenen Lagern und Logistikprozessen, die Lieferungen in kurzer Zeit und ohne Zollgebühren ermöglichen.
Laut dem Stimmungsbarometer ist Nachhaltigkeit für viele Konsumierende ein relevantes Thema. Wie können sich Schweizer Onlinehändler glaubwürdig dafür engagieren?
Tiziana Gaito: Damit Onlinehändler ihr Engagement für Nachhaltigkeit glaubwürdig kommunizieren können, muss es sich über den ganzen Kaufprozess erstrecken. Das beginnt schon bei der Produktsuche. Hier erwarten die Konsumierenden mehr Transparenz zur Herkunft der Produkte und zu den Produktionsbedingungen. Bei der Verpackung wiederum sind passendere Verpackungsgrössen, Verpackungen aus Recyclingmaterialien, Mehrwegverpackungen und der Versand in Originalverpackung gefragt. Bei der Logistik schliesslich wünschen sich viele Befragte als Versandoption, mehrere Artikel gebündelt zu erhalten, um die Zahl der Lieferungen zu senken. Zwar ist es den Konsumierenden wichtig, die Sendung verfolgen und steuern zu können. Nur wenige von ihnen wünschen sich jedoch eine sehr schnelle Zustellung, zum Beispiel noch am selben Tag.
Ralph Hutter: Ein grosser ökologischer Hebel besteht bei den Retouren. Der Widerspruch hier: Im neusten Stimmungsbarometer wünschen sich 68 Prozent der Befragten einen nachhaltigen Umgang mit Retouren. Gleichzeitig sind für 67 Prozent aber kostenlose Retouren wichtig – ein Dilemma für Onlinehändler, die sich für Nachhaltigkeit engagieren.
Der Stimmungsbarometer zeigt die aktuellen Erwartungen der Konsumierenden an das Onlineshopping. Mit Blick auf die Resultate: Was empfehlen Sie den Onlinehändlern? Woran sollten sie besonders arbeiten?
Ralph Hutter: Das lässt sich von unseren bisherigen Antworten ableiten: Die zentralen Themen sind Convenience, Vertrauen und Nachhaltigkeit – Letztere gerade auch als Abgrenzung gegenüber den ausländischen Onlinehändlern mit ihren oft langen, CO2-intensiven Lieferwegen. Weiter empfehle ich den Schweizer Onlinehändlern, sich die chinesischen Shopping-Apps genauer anzusehen und davon zu lernen, etwa bezüglich Vermarktung, Gamification, Social Selling und viraler Effekte für mehr Reichweite.
Philippe Mettler: Zudem sollten die Onlinehändler analysieren, was die wachsende Dominanz der virtuellen Marktplätze für sie bedeutet: Eignet sich ihr Sortiment für einen Verkauf auf Marktplätzen? Verdienen sie dann noch genug mit ihren Produkten? Welche Marktplätze haben für sie am meisten Vorteile und am wenigsten Nachteile? Die ernsthafte Auseinandersetzung damit ist wichtig.
Ralph Hutter: Ein weiteres Thema, das die Onlinehändler stärker anpacken sollten, sind die Retouren. Wie können sie die Kundschaft dazu bewegen, nicht mehr etliche Artikel zur Auswahl zu bestellen und die meisten wieder zurückzuschicken? Hier braucht es meiner Meinung nach bessere Anreize – vielleicht monetäre, spielerische oder moralische. Ich habe die Lösung nicht. Aber sicher ist: Ohne Verbesserungen droht in diesem Bereich eine Regulierung, die nicht im Interesse der Händler sein kann. Sie werden besser selbst aktiv.
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