Aktuell | 15. Mai 2024
Globale Pandemie, Klimakatastrophen, politische Unsicherheiten: Wir befinden uns im Zeitalter des Chaos. Strukturen zu erkennen ist schwer, zeitweise sogar unmöglich. Da kommt ein beschreibender Rahmen gerade richtig. BANI versucht mit vier Adjektiven die Welt und ihre Herausforderungen zu erklären. Was das Akronym bedeutet, weshalb es VUCA ablöst und ob es tatsächlich hilft: Eine Einschätzung von Dozent Matthias M. Mattenberger.
Die HWZ lebt zu einem grossen Teil vom Wissen ihrer Expertinnen und Experten aus der Praxis. In unserer Rubrik «Ask the Expert» stellen wir unseren HWZ-Expertinnen und -Experten Fragen aus Themenbereichen, die an der HWZ im Unterricht behandelt werden. Dabei handelt es sich um Fragen, die immer wieder auftauchen und aktuelle Fachbegriffe, die Erklärungsbedarf haben. In einem ausführlichen Blogbeitrag gehen Studiengangsleitende oder Dozierende den Fragen auf den Grund. Der Artikel wurde im Mai 2024 leicht überarbeitet.
Früher war alles besser. Vielleicht war das der Denkanstoss, der in den 80er-Jahren zum Akronym VUCA führte. Mithilfe dieses Buchstabengebildes erklärt man seither die veränderten Anforderungen an die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Im Gegensatz zu früher ist die Welt volatil, unsicher, komplex und ambivalent, daher VUCA.
30 Jahre später hat möglicherweise die Überlegung «Früher war alles gut, heute ist alles besser. Es wäre besser, wenn wieder alles gut wär» zu einem neuen Akronym geführt: BANI. Es beschreibt seit 2020 die noch komplexere Gegenwart.
Das Akronym versteht die Welt als brüchig, ängstlich, nicht-linear und sogar unbegreiflich. Es liest sich englisch als brittle, anxious, non-linear, incomprehensible – BANI.
Spannend ist dabei, dass das Akronym BANI den – seit Jahren die volatile Welt beschreibenden – Begriff VUCA abzulösen scheint. Eine sich verändernde Welt bedingt auch sich verändernde Akronyme.
Vater des neuen Wortes ist der US-amerikanische Zukunftsforscher und Autor Jamais Cascio. Im April 2020 erscheint der Begriff BANI im Artikel «Facing the Age of Chaos» auf der frei zugänglichen Blog-Plattform «Medium» zum ersten Mal.
Es lohnt sich, zum Verständnis des Wortgebildes, einen Blick auf die einzelnen Adjektive zu werfen:
Brittle, brüchig. Brechen tun Dinge, die nicht elastisch sind. Spröde und abgenutzte Gegenstände. Systeme, die nach aussen stark wirken, im Inneren aber schwach und morsch sind. Brittle steht für eine vermeintliche Stärke. Eine, die es eigentlich nicht mehr gibt oder die schon lange der Vergangenheit angehört.
Anxious, ängstlich. Angst entsteht aus dem Gefühl, mit keiner Entscheidung richtig zu liegen oder mehr noch: Mit jedem Beschluss ein Desaster auslösen zu können. Diese Angst kann Entscheidende in die Passivität oder die Verzweiflung treiben. Die schnelllebige und von Algorithmen getriebene Medienwelt unterstützt diese Negativspirale zusätzlich.
Non-linear, nicht linear. Nonlinearität bedeutet, dass Kausalitäten nicht mehr gegeben sind. Aktion und Reaktion stimmen nicht überein oder bedingen sich gar nicht. Kleine Aktionen können massive Reaktionen auslösen. Mit positiven oder negativen Ausprägungen. Aber immer mit schlecht vorhersehbarem Ausgang.
Incomprehensible, unfassbar. In einer unbegreiflichen, unfassbaren Welt sind Ereignisse oder Entscheidungen nicht nachvollziehbar. Entweder liegen die Ursachen dafür zu weit zurück oder sie sind zu komplex, um korrekt eingereiht zu werden. Selbst mehr Informationen garantieren kein besseres Verständnis. In der Informationsflut ist das Rauschen vom Signal kaum mehr zu unterscheiden.
Festzuhalten ist, dass heutige Probleme weder einfach noch kompliziert oder komplex, sondern chaotisch zu verstehen sind.
Ein einfaches Problem bedingt ein klares, eindeutiges Handeln.
Ein kompliziertes Problem bedingt, dass man die Situation vor dem Handeln analysiert.
in komplexes Problem bedingt vor dem Handeln zu sondieren. Sprich, mögliche Lösungsansätze ausprobieren.
Das Chaos bedingt aber erst eine Stabilisierung der Situation, bevor das Problem begriffen und gehandelt werden kann.
In Anlehnung an Snowden (2005), Cynefin Modell. Snowden, D. (2005). Multi-ontology sense making – a new simplicity in decision making. In: Informatics in Primary Health Care.
Wie VUCA will auch BANI helfen, die Herausforderungen der Zeit besser zu verstehen. Die Schlüsse daraus muss man für die alltäglichen Herausforderungen und die veränderten Anforderungen der Wirtschaftswelt allerdings selbst definieren.
Glücklicherweise liefert der Schöpfer des Begriffs einige Ansätze mit, wie man auf diese chaotische Umgebung reagieren kann.
Bei Brüchigkeit rät er zu Belastbarkeit und Lockerheit.
Der Angst könne man mit Achtsamkeit und Einfühlungsvermögen begegnen.
Nichtlineares verlangt nach Kontext und Flexibilität.
Und Unverständliches soll mit Transparenz und Intuition greifbar werden.
Selbst der Begründer des Akronyms konstatiert, dass die oben genannten Ansätze eher Reaktionen als Lösungen seien. Dennoch können uns solche Wortschöpfungen daran erinnern, wo man ansetzen kann. Zudem können sie der gefühlten Unsicherheit einen Namen geben und damit Klarheit schaffen. Klarheit, die gerade in diesen Zeiten nötig ist.
Sicher ist, dass sich alles verändern wird. Systeme, ob auf Staaten-, Wirtschafts- oder gar unsere persönlichen Beziehungen zu Freunden und Familie.
BANI wird uns für diese Veränderung nicht bereit machen, aber kann Hilfe leisten, den Wandel in Worte zu fassen. Bis ein neues Akronym nötig sein wird oder wir eines zu Hilfe nehmen, das bereits über 2500 Jahre alt ist: «Nichts ist so beständig wie der Wandel» (es wird Heraklit von Ephesus zugeschrieben).
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