17. Dezember 2025 · Forschung

Was wirklich zählt: Ein Blick auf Gender-Diversity in der Führungskräfteauswahl

Viele Unternehmen wollen mehr Frauen in Führungs- und Verwaltungsratspositionen bringen – doch in der Praxis ändert sich wenig. Warum? Ein gemeinsames Forschungsprojekt der FH OST und der HWZ liefert erstmals datenbasierte Antworten. Als Teil des Innosuisse-Projekts «Active Sourcing und Embedded Recruiting im Top Management mit Machine Learning» übernahm die HWZ die Analyse realer Bewerbungen – und machte bislang unsichtbare Muster sichtbar.

Harte Qualifikationen dominieren – auf Kosten der tatsächlichen Kompetenzen

Die Studienergebnisse zeigen eines besonders deutlich: Sowohl Bewerbende als auch Personalvermittlungen stützen ihre Einschätzungen fast reflexartig auf «harte Qualifikationen» – also Titel, Positionen, Abschlüsse oder bisherige Führungsfunktionen. Diese werden als verlässliche Indikatoren für Eignung wahrgenommen, obwohl sie wenig darüber aussagen, wie kompetent jemand tatsächlich führt, kommuniziert oder strategisch denkt.

Besonders problematisch: Frauen werden an genau diesen Kriterien gemessen, obwohl sie strukturell seltener Zugang zu Toppositionen hatten und diese «harten» Nachweise deshalb seltener erbringen können.

Ergebnis der Analyse:

Frauen werden zu 56 % über harte Qualifikationen beurteilt – Männer nur zu 35 %. Männer profitieren deutlich häufiger von persönlichkeitsbezogenen Einschätzungen, die ihnen einen impliziten Vertrauensvorschuss gewähren.

Was die Analyse sichtbar macht

Für die Studie wertete die HWZ rund 22’000 Motivationsschreiben von Bewerbenden und 5’500 Beurteilungen eines Schweizer Personalvermittlungsunternehmens aus. Mithilfe von dichtebasiertem Clustering und Word Embeddings konnten Muster identifiziert werden, die zeigen, welche Kompetenzen und Qualifikationen beachtet wurden und wie sie bewertet wurden. Folgende Qualifikations- und Kompetenzbereiche wurden identifiziert: soziale Kompetenzen, harte Qualifikationen, Persönlichkeit, kognitive Kompetenzen, Eignung für den Job.

Die Ergebnisse sind eindeutig:

  • Von allen fünf Kompetenzbereichen werden die harten Qualifikationen als die bedeutendsten betrachtet (mit 49 % bei den Bewerbenden und 41% bei den Personalvermittelnden).

  • Kompetenzen – wie strategisches Denken, Veränderungsfähigkeit oder Kommunikationsstärke – haben im Bewerbungsprozess ein weniger starkes Gewicht.

  • Die Daten der Personalvermittelnden zeigen zudem, dass bei Männern viel stärker auf die Persönlichkeit geachtet wird (33%) als bei den Frauen (13%). Bei Frauen stehen die harten Qualifikationen also enorm im Vordergrund, die Persönlichkeit ist zweitrangig. Bei den Männern ist dieses Verhältnis viel ausgeglichener.

Warum das für Unternehmen relevant ist

Die Forschung zeigt: Frauen müssen zuerst beweisen, dass sie topqualifiziert sind, bevor man ihnen «Führung» zutraut. Männern trauen Entscheidungsträger:innen diese Eignung häufiger zu.

Ein kompetenzorientierter Ansatz würde Rekrutierenden und Unternehmen dagegen ermöglichen, Deep-Level-Diversität zu erkennen – also unterschiedliche Perspektiven, Werte, Haltungen und Fähigkeiten, die nachweislich zu besseren Entscheidungen im Topmanagement führen.

Der Beitrag der HWZ: Daten, Muster und neue Perspektiven

Der datenwissenschaftliche Beitrag der HWZ war zentral, um diese Muster sichtbar zu machen. Durch die Kombination aus KI-gestützter Textanalyse und kompetenzorientierter Interpretationslogik zeigte das Team auf, wie tief geschlechtsbezogene Bewertungsunterschiede in Rekrutierungsprozessen verankert sind – und wie Unternehmen sie abbauen können.

In einem weiteren, vertieften Forschungsprojekt untersucht die HWZ nun, welche Selektionskriterien im Bewerbungsprozess angepasst werden sollten und in welchem Verhältnis Qualifikationen und Kompetenzen künftig zu gewichten sind. Ziel ist es, einerseits die Gender-Diversität zu erhöhen und andererseits gezielt kompetente Personen sichtbar zu machen, die im bisherigen Auswahlprozess – mit seinem starken Fokus auf harte Qualifikationen – kaum eine Chance auf eine Long- oder Shortlist hatten. Viele von ihnen werden Frauen sein.

Praxisnahe Forschung für Unternehmen

Das Center for Research & Methods der HWZ verbindet wissenschaftliche Methoden mit konkreten Herausforderungen aus der Unternehmenspraxis. Die Ergebnisse dieses Projekts zeigen, wie datenbasierte Analysen helfen können, Bias sichtbar zu machen und Entscheidungsprozesse zu verbessern.

Fazit: Wer Diversity will, muss seine Selektionslogik ändern

Die Forschung belegt klar: Solange harte Qualifikationen überbewertet und Kompetenzen unterschätzt werden, bleibt echte Gender-Diversity im Topmanagement unerreichbar. Unternehmen, die die besten Talente – Frauen wie Männer – erkennen wollen, müssen ihre Auswahlprozesse modernisieren und stärker auf Kompetenzen setzen.

Die HWZ liefert mit ihrer Analyse einen wichtigen Beitrag dazu: Sie macht sichtbar, wo Verzerrungen entstehen, wie sie wirken und wie datenbasierte Methoden helfen können, bessere Entscheidungen zu treffen.