Aktuell | 21. Oktober 2024

«ChatGPT & Co. setzen nicht weniger, sondern mehr Sprachkompetenz voraus»

Ivo Hajnal, Sprachwissenschaftler und Mitbegründer der Schweizerischen Text Akademie, spricht im Interview über die Rolle der menschlichen Sprachkompetenz im Zeitalter der künstlichen Intelligenz. Im Gespräch erklärt er, warum die Arbeit mit KI-Tools wie ChatGPT mehr Sprachkompetenz denn je erfordert, wie sich die Kommunikationsausbildung ändern muss und warum Vertrauen in KI gut ist, Kontrolle aber unerlässlich bleibt.

Ivo Hajnal Interview

Hand aufs Herz, Ivo: Wie oft verwendest du inzwischen KI-Tools wie ChatGPT oder Gemini?

Ehrlich gesagt: mehrheitlich für Schulungszwecke im Unterricht und zur Bildgenerierung, um Präsentationen und gewisse Unterlagen optisch zu beleben. Also nutze ich die KI-Tools nur für sehr spezifische Aufgaben. Ich denke, es geht vielen ähnlich, die sich vertieft mit KI auseinandersetzen. KI ist kein Schweizer Taschenmesser für alle Lebenslagen. Es geht heute vielmehr darum, die Stärken, Schwächen und Einsatzmöglichkeiten genau zu kennen und in der Folge differenziert zu nutzen.

Als Sprachwissenschaftler beschäftigst du dich intensiv mit der menschlichen Sprachkompetenz. Wie siehst du die Rolle der menschlichen Sprache im Zeitalter der künstlichen Intelligenz?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Handhabung von ChatGPT & Co. nicht weniger, sondern mehr Sprachkompetenz voraussetzen. Konkret: Um zielführend zu prompten, sind exakte Kenntnisse zu sprachlicher Verständlichkeit, Stil, Textformaten und anderem mehr erforderlich. Erst dann liefert die KI brauchbare Ergebnisse, auf die wir in der Kommunikationspraxis aufbauen können.

Du sprichst es an: KI übernimmt immer mehr Aufgaben in der Textproduktion und Kommunikation. Bereitet dir das keine Sorgen?

Nein! Denn die Leistungsfähigkeit der Modelle nimmt derzeit sogar ab und die Betreiber:innen haben ganz andere Interessen, als der Werbe- und Kommunikationsbranche perfekte Inhalte in Text und Bild zur Verfügung zu stellen. Vielmehr geht es OpenAI, Google, Microsoft und anderen derzeit darum, energiesparende, tragbare Modelle zu entwickeln, die uns im Alltag unterstützen. Wer für Unternehmen schreibt, wird also nicht so schnell durch KI ersetzt.

Könnte der verstärkte Einsatz von KI jedoch dazu führen, dass sprachliche Nuancen und kreative Freiheiten verloren gehen? Oder siehst du in dieser Technologie neue Möglichkeiten für innovative sprachliche Ausdrucksformen?

Sprache korrekt und nuanciert zu beherrschen, kreativ zu texten oder strategisch zielführend zu kommunizieren, bleiben nicht trotz KI, sondern gerade wegen KI Kernkompetenzen.
Ivo Hajnal, Sprachwissenschaftler und Mitbegründer der Schweizerischen Text Akademie

KI-Tools erhöhen lediglich die Effizienz bei der Lösung von Kommunikationsproblemen. Zur Frage der sprachlichen Innovation: Es mehren sich die Anzeichen, dass die generativen Modelle bestimmte Begriffe bevorzugen – also wider Erwarten wenig innovativ, sondern eher repetitiv agieren. Von ChatGPT & Co. ist also zumindest derzeit wenig Stilbildendes zu erwarten.

Eine weitere spannende Frage: Wie verändert der Einsatz von KI den Sprachgebrauch in verschiedenen Kulturen? Können KI-Systeme sprachliche und kulturelle Unterschiede ausreichend berücksichtigen?

Zur ersten Frage: Im Moment fragen wir uns, wie soziale Medien seit den 2000er Jahren den Sprachgebrauch verändert haben. Was ich damit sagen will: Die analoge Frage, ob und wie KI kulturprägend ist, wird sich frühestens in einem Jahrzehnt beantworten lassen. Was die zweite Frage betrifft: Wir wissen über die Trainingsdaten der jeweiligen Modelle kaum Bescheid. Wir sind also nicht in der Lage festzustellen, ob das Wissen der Modelle zu gewissen Kulturen jeweils frei von Voreingenommenheit ist bzw. nicht doch ein gewisses Bias aufweist.

Welche sprachlichen Fähigkeiten werden deiner Meinung nach unersetzlich bleiben, auch wenn KI immer leistungsfähiger wird?

Alle! Als der Computer die Schreibmaschine ersetzte, machte uns dies nicht weniger sprachgewandt. Ebenso verhält es sich mit KI: Gegenwärtig können wir KI als effizientes, leistungsfähiges Werkzeug verwenden, mehr nicht. Die letzte Entscheidung über Wortlaut und Bildwelt fällt immer noch der Mensch. Klar scheint mir aber auch, dass günstiger Content für rasche Kampagnen künftig immer häufiger ohne menschliche Nachbearbeitung direkt aus dem KI-Tool bezogen werden wird.

Gibt es bestimmte Fähigkeiten, die Kommunikations- und Marketingfachleute in den kommenden Jahren besonders pflegen sollten, um sich von KI-basierten Lösungen abzuheben?

Um direkt an die vorherige Antwort anzuknüpfen: Kommunikations- und Marketingprofis sollten sich darauf einstellen, zunehmend dort eingesetzt zu werden, wo hochwertige Inhalte, ausgefeilte Kampagnen und hohe Wertschöpfung gefragt sind. KI wird künftig das Kommunikationsfliessband bedienen, der Mensch hingegen in der Manufaktur oder Veredelung tätig sein.
Ivo Hajnal, Sprachwissenschaftler und Mitbegründer der Schweizerischen Text Akademie

Du bist Mitgründer und Stiftungsratspräsident der Schweizerischen Text Akademie, mit der wir als HWZ seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Für uns als Hochschule stellt sich die Frage: Wie muss sich die Aus- und Weiterbildung im Bereich Sprachkompetenz weiterentwickeln, um den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden? Gibt es bereits spezielle Bildungsangebote oder Programme, die den Einsatz moderner Technologien wie KI in der Kommunikation und Textproduktion berücksichtigen?

Aus und Weiterbildungslehrgänge zum Thema Sprache und Content müssen etablierte Skills und Kenntnisse vermitteln – und gleichzeitig erläutern, wie sich diese Skills und Kenntnisse durch KI-Tools ergänzen oder komplettieren lassen. Aus diesem Grund haben wir bereits im letzten Jahr jeden unserer mit der HWZ durchgeführten Studiengänge mit themenspezifischen KI-Lehrinhalten angereichert. Inzwischen haben wir dadurch einen erheblichen Erfahrungsvorsprung gewonnen. So haben wir zum Beispiel gelernt, dass KI-Tools die Effizienz bei der Bewältigung von Kommunikationsaufgaben um rund 30 Prozent steigern. Und genau diese Erfahrungen geben wir gerne an unsere Kursteilnehmenden weiter.

Das klingt vielversprechend. Wie werden diese neuen Angebote vom Markt angenommen und welches Feedback erhaltet ihr von den Teilnehmenden? Gibt es bereits erkennbare Trends, wie sich die Nachfrage nach solchen Inhalten entwickelt?

Das Feedback ist sehr positiv. Die Teilnehmenden schätzen es vor allem, dass wir eine Brücke zwischen etablierten Praktiken und den Möglichkeiten von KI-Tools schlagen. Was die Nachfrage betrifft: KI ist gekommen, um zu bleiben. Aber im «Gartner Hype Cycle» hat KI in diesem Jahr den Gipfel der überzogenen Erwartungen überschritten, und das ist gut so! Denn jetzt geht es darum, realistische, praxisnahe Einsatzmöglichkeiten für KI zu finden – und genau hier setzen unsere Studiengänge an.

Ivo, was würdest du den Menschen raten, die dank KI wie ChatGPT viel Zeit bei der Textproduktion sparen, damit sie ihre eigenen sprachlichen Fähigkeiten und ihr Gespür für Nuancen nicht verlieren, auch wenn sie sich immer mehr auf diese Tools verlassen?

Mein Rat: Überlasst nicht die ganze Arbeit ChatGPT & Co. und bleibt technisch auf der Höhe, denn die Modelle entwickeln sich rasend schnell in die eine oder andere Richtung. Und noch eine Warnung: War gestern noch jeder Text (und jedes Bild) ein Unikat, gleicht sich der Output heute bedenklich an und die Plagiatsfalle schnappt allzu schnell zu! Vertrauen in KI ist also gut, Kontrolle ist besser ...

Podcast-Folge mit Ivo Hajnal

Alles Content oder was?

Der Begriff «Content» wird in der Unternehmenskommunikation längst als inflationäres Buzzword verwendet. In dieser Episode von stefanundstefan hat Special Guest Prof. Dr. Ivo Hajnal, Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck und Präsident des Stiftungsrats der Schweizerischen Text Akademie, versucht, dem Begriff wieder mehr Profil zu verleihen.