Aktuell | 16. Februar 2023

Das Schweigen der CEOs

Sollen CEOs in der Öffentlichkeit klare Positionen zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen vertreten? Oder ist das Ganze vielmehr eine modische Strömung, der mit dezidierter Zurückhaltung zu begegnen ist? Heikle Fragen für Chief Communication Officers (CCOs). Stefan Eggenberger fasst in einem Gastbeitrag im «persoenlich» zusammen, was an einem kürzlich veranstalteten Workshop des HarbourClub diskutiert wurde.

Portrait Stefan Eggenberger Hwz

Dieser Artikel erschien als Erstpublikation in der Printausgabe von «persönlich». Es handelt sich daher um eine Zweitpublikation. Stefan Eggenberger schrieb diesen Gastbeitrag im Zusammenhang mit dem «Guerilla-Workshop» zum Thema CEO-Kommunikation, der vom HarbourClub organisiert wurde.

Die interne und externe Positionierung des Unternehmens ist für Kommunikationsverantwortliche ein Teil ihrer Kern-Aufgabe; dabei kommt der Rolle des CEOs grosse Bedeutung zu. Schon seit geraumer Zeit ist klar, dass Führungspersonen nicht nur gegenüber Mitarbeitenden und Partnern, sondern auch gegenüber Communitys und Gesellschaft Verantwortung tragen. Gewandelt haben sich aber bei diesen Anspruchsgruppen die Erwartungen in Sachen Haltung und Meinungsführung zu Themen von gesellschaftlicher Relevanz und Brisanz. Zunehmend scheinen alle Stakeholder auf gelebte und geäusserte Wertvorstellungen zu achten und erwarten von CEOs entsprechend Klartext zu Themen des öffentlichen Geschehens. Wie sollen Unternehmen und CEOs mit dieser Erwartungshaltung umgehen?

Economiesuisse fühlt den Puls

Der HarbourClub-Workshop vom November 2022 startete mit einer spannenden Rundumbetrachtung und Situationserfassung durch Michael Wiesner, Leiter Kommunikation von Economiesuisse und HarbourClub-Mitglied. Er erläuterte für seine Kolleginnen und Kollegen die aus seiner Sicht aktuellen Herausforderungen und damit verbundenen Knacknüsse. Einerseits, so Wiesner, sei eine zunehmende Entfremdung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft festzustellen. Andererseits nehme die kritische Haltung gegenüber Unternehmen und Führungskräften, gegenüber dem Wirtschaftswachstum und gegenüber dem technische Wandel zu. Dies zeige sich nicht zuletzt auch in Volksabstimmungen über wirtschafts- und sozialpolitische Vorlagen. Ferner mache es den Anschein, als werde die Marktwirtschaft zunehmend negativ konnotiert und als Antipode zu Menschenrechten, Klima- und Umweltschutz aufgefasst und dargestellt. Selbstkritisch setzte sich Wiesner mit identifizierten Veränderungsfaktoren seitens der Gesellschaft auseinander wie etwa Fake News, Haltung gegenüber dem Staat und der technologischen Entwicklung; seitens der Wirtschaft erwähnte er zum Beispiel Globalisierung, Lohn- und Boni-Exzesse sowie Umweltskandale. Wiesner plädierte dafür, dass CEOs und Führungskräfte – auch als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger – Mitverantwortung für den Standort Schweiz und nicht nur für das eigene Unternehmen entwickeln und übernehmen. Es gelte, Farbe zu bekennen, mutiger zu werden und sich zu exponieren. Dabei sei es auch wichtig, resistenter gegenüber möglichen Shitstorms zu werden.

Notwendige Bedingungen für das Tun oder Lassen

Die anschliessende Diskussion zeigte auf, dass sich CCOs – je nach Branche und Leistungsauftrag der Organisation – laufend intensiv mit den vielseitigen Erwartungen an eine authentische, verständliche, aufrichtige und haltungsbezogene Unternehmenskommunikation und eine dementsprechende CEO-Kommunikation auseinandersetzen. In einer ersten Arbeitsversion wurde die Variante «Macht Sinn» behandelt. Dabei kristallisierten sich die folgenden Hauptansätze heraus:

Unsere CEO / unser CEO äussert sich extern zu gesellschaftlichen Themen …

  1. weil dadurch aktuelle oder zukünftige Rahmenbedingungen aktiv mitgestaltet werden können;

  2. weil heutzutage keine Zuschauerinnen und Zuschauer, sondern verantwortungsbewusste Akteurinnen und Akteure gewünscht werden;

  3. wenn ein erkennbarer Bezug, eine nachvollziehbare Verbindung zum Unternehmen, zu ihren/seinen Fachgebieten und unternehmerisch relevanten Themen besteht;

  4. wenn es grundsätzlich zu ihr/ihm passt und sie ihr/ihm authentische Aussagen erlauben oder ermöglichen;

  5. wenn damit mittel- bis langfristig eine Unternehmenshaltung entwickelt und geteilt werden kann;

  6. weil dadurch die Haltung des Unternehmens oder der Dachmarke verständlich und nachvollziehbar dargelegt werden kann;

  7. weil bestehende und potenzielle Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden wissen wollen, was die Haltung des Unternehmens ist;

  8. weil dies ein erster, aber klar erkennbarer Schritt zum Dienst an der Gesellschaft ist.

Bei der zweiten Betrachtung ging es um die Perspektive «Macht keinen Sinn». Dabei wurden die folgenden Voten eingebracht:

Unsere CEO / unser CEO äussert sich nicht extern zu gesellschaftlichen Themen …

  1. wenn die Themen ausserhalb des Kontextes unserer Kernaufgaben liegen;

  2. wenn die persönliche und/oder unternehmerische Reputation gefährdet ist;

  3. wenn es keinen plausiblen Zusammenhang zwischen dem eigenen Werdegang/ Profil und aktuellen Engagements gibt;

  4. wenn diese nicht im direkten oder erweiterten Sinne zu den Kernkompetenzen des Unternehmens gehören;

  5. wenn kein intellektueller, sozialer, gesellschaftlicher Mehrwert zu erkennen ist;

  6. wenn die Themen die Gefahr der persönlichen Überforderung beinhalten;

  7. weil CEOs nicht die Diversität der Mitarbeitenden widerspiegeln können;

  8. weil dadurch die Gefahr besteht, dass sich intern politische Lager bilden und sich Gräben auftun;

  9. wenn damit die persönliche oder unternehmerische Glaubwürdigkeit beeinträchtigt werden könnte;

  10. weil dadurch auch vielen anderen Themen Aufmerksamkeit geschenkt werden soll und die Gefahr der «Parteilichkeit» oder der «Vernachlässigung» besteht;

  11. wenn sich die/der CEO dabei sichtlich unwohl fühlt und die Thematisierung nichts mit ihrem/seinem bisherigen oder aktuellen Engagement zu tun hat.

Erste Erkenntnisse

Die weitere Diskussion zeigte auf, dass es aus Sicht der Teilnehmenden weder eine «Good Practice» noch eine «Best Practice» gibt. Jede Organisation ist aufgefordert, eigenständig und selbstverantwortet zu entscheiden, ob CEOs Stellung in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen beziehen. Es braucht einen internen Prozess, ein Ringen um ein gemeinsames Vorgehen, in dem sich alle Beteiligten wiederfinden und in dem möglichst keine Gruppierung auf wesentliche Punkte verzichten muss. Analog der im HarbourClub angewendeten Technik eines ersten Pro- und Kontra-Katalogs können so Organisationen ihre Liste der notwendigen Bedingungen, die mit angemessenem Aufwand erfüllt werden können, für das künftige Tun oder Lassen erarbeiten. Dies anhand individueller, branchen- und kerngeschäftsspezifischer, marken- und kulturkompatibler Aspekte. Dabei gilt es, folgende Herausforderungen besonders zu beachten:

1. Keine externe Stellungnahmen ohne interne Verständnisgrundlage

Wenn CEOs sich spontan und aus der Hüfte schiessend zu geopolitischen Themen äussern, ohne dabei bei Mitarbeitenden eine tragfähige Verständnisgrundlage geschaffen zu haben, laufen sie Gefahr, mehr Baustellen zu schaffen, als Klärung zu erreichen. Mitarbeitende wollen nachvollziehen können, warum und wofür sich jetzt die/ der CEO plötzlich zu diesem Thema öffentlich äussert. Wie sollen Mitarbeitende als Botschafterinnen und Ambassadoren ihrer Marke ihre vielfältigen Beziehungen zu Anspruchsgruppen aktiv mitgestalten, wenn sie nicht wissen und nicht verstehen, weshalb jetzt die/der CEO Farbe bekennt?

2. Kontinuität versus Emotionalität

Sich einmal zu einem tragischen, bedrohlichen, schlagzeilendominierenden Ereignis zu äussern, ist weder nachhaltig noch überzeugend. Die Organisation sollte vielmehr eine Linie haben, will heissen: Sie verbindet ihre CEO-Stellungnahmen klar mit ihrem Purpose, ihrer Kultur, ihrem Verhalten im Tagesgeschäft und äussert sich somit differenziert und dezidiert zu verschiedenen Vorkommnissen oder Initiativen.

3. Der Leistungsauftrag öffnet Türen

Je nach juristischer Form der Organisation, ihrem Zweck und ihrem definierten Leistungsauftrag ist es für Anspruchsgruppen mehr, weniger oder gar nicht verständlich, wenn CEOs oder Führungskräfte öffentlich Stellung beziehen. Die CEO eines Kinderhilfswerks hat zum Beispiel nicht die gleiche Ausgangslage und unausgesprochene Legitimation, sich zu Flüchtlingsdramen zu äussern, wie die Leiterin einer kantonalen Direktion.

4. Love-Brand versus Hate-Brand

Unternehmen, die aufgrund ihres Kerngeschäftes, ihrer Skandale, ihrer Machenschaften im Markt nicht geliebt werden, tun gut daran, sich CEO-Stellungnahmen zu öffentlich brisanten Themen besonders sorgfältig zu überlegen. Sollte nämlich bei den Anspruchsgruppen der Eindruck aufkommen, es gehe primär um das Aufpolieren einer schlechten Reputation, wird das in der Regel nicht goutiert, baut weiteren Widerstand gegen die Organisation auf oder löst ganz einfach einen Shitstorm aus.

Künftige CEOs und CCOs für den Schulterschluss sensibilisieren

Wolfgang Griepentrog publizierte im Oktober 2011 im «Kommunikationsmanager» einen bis heute diskutierten Artikel: Der CEO und sein Kommunikationschef – eine Typologie einer besonderen Partnerschaft. Griepentrog plädierte für eine kommunikationsfördernde Partnerschaft, in der sowohl CEOs als auch CCOs kommunikationsstark sind. Für ihn ist klar, dass CEOs einen Kommunikationsauftrag haben, der nicht delegierbar ist, den sie somit mit den CCOs teilen. Für ihn bildet die gut funktionierende Partnerschaft aus CEO und Kommunikationsverantwortlichen die Grundlage für die Glaubwürdigkeit und den nachhaltigen Erfolg der Kommunikation eines Unternehmens. Ob eine CEO oder ein CEO sich nun zu öffentlichen Themen äussert, ist somit nicht primär Gegenstand einer rein situativen Entscheidung, sondern eines Reifeprozesses in der gemeinsamen Gestaltung der Unternehmenskommunikation. Denn besonders gesellschaftspolitische Aspekte sollen mit der richtigen Prise Glaubwürdigkeit und der rechten Portion Nachhaltigkeit würdig, klärend und aktivierend behandelt werden.

Schlussbetrachtung

Wenn CEOs ihre Organisation als integrierten Teil einer Gesellschaft verstehen, nehmen sie auch deren Entwicklungen, Veränderungen, Herausforderungen und Erwartungen wahr. Sie können dann einfühlsam und selbstkritisch entscheiden, inwieweit ihre Marke, ihre Funktion, ihre Organisation sie legitimiert, auf Strömungen und Trends, Ängste und Bedenken, Krisen und Katastrophen einzugehen, Haltung zu zeigen, Aktivitäten oder Zurückhaltung anderer zu unterstützen. Basiert dagegen ein Engagement lediglich auf einer situativ modischen, möglichst attraktiven Inszenierung der unternehmerischen oder persönlichen Marke, werden mündige Stakeholder das Spiel durchschauen und es nicht goutieren. Die Antwort lautet somit nicht «Haltung zeigen!», sondern «Weshalb und wofür wir Haltung zeigen!». Auch hier macht das «Why» den feinen Unterschied.

Du willst mehr über die richtige CEO-Kommunikation erfahren und worauf es ankommt? Stefan Eggenberger geht dieser Frage mit Stefan Vogler in ihrem Kommunikationspodcast «stefanundstefan» nach.