Aktuell | 26. März 2025

GenAI im digitalen Marketing: Chancen, Hürden und ein strategisches Framework

Generative künstliche Intelligenz (GenAI) ist im digitalen Marketing angekommen – doch während viele es für die Content-Kreation nutzen, bleiben Automatisierung und datengetriebene Analysen herausfordernd. Andreas Martinis, Marketing-Experte und Absolvent des MAS Digital Business HWZ, widmete sich in seiner Master Thesis den Einsatzmöglichkeiten von GenAI im Marketing. Im Interview spricht er über zentrale Erkenntnisse, Herausforderungen im Unternehmensalltag und seinen Purple Circle of GenAI in Digital Marketing.

Newsbeitrag Portrait Andreas Martinis

Andreas, du hast im Januar dieses Jahres deine Master Thesis zu Einsatzmöglichkeiten von GenAI im digitalen Marketing eingereicht. Herzliche Gratulation! Konntest du die «fröhlichen» Festtage geniessen oder warst du bis zuletzt im Schlussspurt? 😊

Vielen Dank! Ich würde sagen: sowohl als auch. Ich habe mir tatsächlich vorbildlich einen Zeitplan zurechtgelegt – und ihn sogar grösstenteils eingehalten! Aber egal, wie gut man sich vorbereitet, am Ende gibt es doch immer eine kleine emotionale Achterbahnfahrt. Die Festtage konnte ich trotzdem geniessen – mit einer Mischung aus Guetzli, Glühwein und etwas Panik vor der Abgabe. 😁

Dein Weg an der HWZ war eine spannende Reise. Was hat dich dazu motiviert, einen CAS bzw. MAS bei uns zu absolvieren, und wie hat es deinen beruflichen Werdegang geprägt?

Digitalisierung hat mich schon seit Beginn meiner Karriere fasziniert, deshalb habe ich 2015 nach meinem Marketingstudium an der HSG schnell den Weg ins digitale Marketing gefunden. Nach einigen Jahren «Learning by Doing» wollte ich mein Wissen gezielt vertiefen, aber mit starkem Praxisbezug. Aus verschiedenen Kreisen habe ich sehr viel Positives über den MAS Digital Business an der HWZ gehört, daher fiel mir die Entscheidung leicht, mich 2021 zunächst für den CAS Digital Marketing Pro (Neu: CAS AI powered Digital Marketing Pro, A.d.R.) bei Dominic Stöcklin anzumelden. Nach einer zweijährigen Pause nahm ich den Weg zum MAS wieder auf und absolvierte die CAS Digital Leadership bei Sven Ruoss und Digital Product Lead (Neu: CAS Digital Product Management with AI, A.d.R.) bei Ralph Hutter – genau als GenAI an Fahrt aufnahm. Dieses Thema hat mich durch das gesamte Studium begleitet und begeistert mich heute mehr denn je. Ausserdem hat mir der starke Hintergrund im Bereich der Digitalisierung und KI einen guten Schub auf dem Arbeitsmarkt gegeben und mir definitiv geholfen, die Position zu erreichen, die ich heute innehabe.

Welche Erfahrungen aus deinem Studium an der HWZ haben dir bei der Erstellung der Thesis besonders geholfen? Gab es bestimmte Module oder Dozierende, die dir wertvolle Impulse gegeben haben?

Mein grosses Glück war, dass ich meinen MAS genau ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung von ChatGPT 3.5 fortgesetzt habe. Dadurch spielte GenAI in beiden folgenden CAS eine wichtige Rolle. Der Study Trip des CAS Digital Leadership ins Silicon Valley hätte zudem kaum besser terminiert sein können: Zeit genug für GenAI, um richtig gross zu werden – das ganze Silicon Valley sprach nur über GenAI und KI. Aber auch im CAS Digital Product Lead bei Ralph Hutter war das Thema omnipräsent. Besonders wertvoll war der Product Design Workshop, bei dem wir GenAI direkt in unseren Projekten angewendet haben. Diese Einblicke und die praktische Anwendung im Job haben mich inspiriert, tiefer zu erforschen, wie sich diese Technologie konkret auf das digitale Marketing auswirken wird – und so war das Thema meiner Thesis geboren.

Zur Person

Andreas Martinis ist ein begeisterter Marketingexperte mit über zehn Jahren Erfahrung. Seine Kernbereiche sind digitales Marketing, strategische Markenführung sowie der Einsatz von GenAI im Marketing. Kürzlich hat er seinen zweiten Master, den MAS in Digital Business, an der HWZ abgeschlossen. Zudem ist er Mitglied der Digital Minds Society in Zürich.

Ich durfte einen Blick in deine Thesis werfen. Laut deiner Umfrage verwenden 96 % der befragten Marketingfachleute bereits GenAI – vor allem für die Kreation von Inhalten. Warum tun sich Unternehmen noch schwer damit, GenAI für Automatisierung und datengetriebene Analysen einzusetzen?

Grundsätzlich ist die Kreation von Inhalten der naheliegendste und intuitivste Anwendungsfall von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT, da kein grosses Vorwissen notwendig ist. Doch für präzise und hochwertige Ergebnisse braucht es ausgefeiltere Prompts und vor allem ein Verständnis dafür, wie sich KI verhält, was sie gut kann und wo ihre Grenzen liegen. GenAI für Automatisierungen und datengetriebene Analysen zu nutzen, geht nochmals eine Stufe weiter – ein Level, in das sich einige noch nicht vorgewagt haben. Dafür sind nicht nur die erforderlichen Skills, sondern auch hochwertige, strukturierte Daten nötig. Doch selbst dann treten oft Compliance-Probleme auf, da Daten nicht bedenkenlos in externe Modelle hochgeladen werden sollten – zu Recht! Hinzu kommen technische Hürden und fehlende Integrationsmöglichkeiten, die für Automatisierung oft essenziell sind. Während Content-Kreation also schnell adaptiert wurde, erfordert GenAI für Automatisierung und Analysen eine durchdachte Strategie, um nachhaltigen Mehrwert zu schaffen.

Technische, rechtliche und ethische Herausforderungen erschweren den Einsatz von GenAI im digitalen Marketing. Wie können Unternehmen diese Hindernisse überwinden?

Unternehmen müssen gezielt in Datenqualität, Integration und Compliance investieren, um GenAI sinnvoll zu nutzen:

  • Klare Datenschutzrichtlinien und eine transparente Nutzung der Technologie sind essenziell, um Vertrauen zu schaffen.

  • Ethische Herausforderungen, wie Datenverzerrungen, müssen bewusst berücksichtigt und aktiv adressiert werden.

  • Eine gezielte strategische Einbindung ist entscheidend, um das volle Potenzial von GenAI auszuschöpfen.

Unternehmen, die diesen Wandel aktiv gestalten, können langfristig von Effizienzgewinnen und neuen Möglichkeiten profitieren.

Als Head of Marketing Alpine and Nordics bei HAYS, einem führenden Personaldienstleister, bist du selbst ein erfahrener Marketingexperte. Welche Herausforderungen und Risiken siehst du im wachsenden Einsatz von GenAI im Marketing? Müssen sich Marketingfachleute Sorgen machen, durch diese Technologie überflüssig zu werden?

GenAI ist ein mächtiges Werkzeug, aber noch kein Ersatz für menschliche Kreativität und strategisches Denken. Und schon gar nicht für die menschlichen Feinheiten, die Marketingrollen ausmachen – schliesslich richtet sich Marketing nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen und involviert eine Vielzahl an Stakeholdern. Klar, repetitive oder zeitaufwändige Aufgaben wie die Texterstellung für Social-Media-Posts oder Newsletter lassen sich schneller und mit grösserer Variation erledigen (und bei manch einem Marketer wohl auch in besserer Qualität 😁).

Doch Marketing lebt von Emotion, Storytelling und tiefem Kundenverständnis – und das bleibt menschlich. Wer KI als Ergänzung sieht und lernt, sie gezielt einzusetzen, wird effizienter, kreativer und wertvoller denn je. Ich denke also nicht, dass wir in naher Zukunft komplett ersetzt werden, aber die Erwartungshaltung an uns Marketer wird sich ändern.
Andreas Martinis, Absolvent MAS Digital Business HWZ

Du hast den «Purple Circle of GenAI in Digital Marketing» entwickelt. Kannst du kurz erklären, wie dieses Konzept Unternehmen dabei hilft, GenAI strategisch einzusetzen?

Der Purple Circle of GenAI in Digital Marketing ist ein strategisches Framework, das Unternehmen hilft, die Einsatzmöglichkeiten von GenAI ganzheitlich und übersichtlich zu verstehen – zumindest nach aktuellem Stand. Inspiriert von Simon Sineks Golden Circle beantwortet es die drei zentralen Fragen: Wieso resp. wozu GenAI im digitalen Marketing? Wie gestaltet sich der Einsatz? Und was für Ergebnisse sind zu erwarten? Kurz: Why – How – What. Anders als sein Vorbild gliedert der Purple Circle GenAI in vier Anwendungsfelder: Generierung, Personalisierung, Automatisierung und Analyse – denn alle Anwendungen im digitalen Marketing lassen sich diesen Bereichen zuordnen. Der Kreis wird so in vier Segmente unterteilt, die auch separat betrachtet werden können. Unternehmen erhalten damit eine klare Orientierung, wo GenAI Mehrwert bietet, wie es konkret eingesetzt werden kann und welche Ergebnisse zu erwarten sind. Der Purple Circle schafft eine einfache, aber umfassende Übersicht als strategische Grundlage – damit Marketer das Potenzial von GenAI besser verstehen und gezielt nutzen können.

Golden Circle Andreas Martinis Quadratisch

Was rätst du Unternehmen, die sich noch nicht sicher sind, ob sie GenAI nutzen sollen? Warum lohnt es sich, sich jetzt mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Sofort loslegen! Denn der Einsatz von GenAI erfordert vor allem eins: Üben, üben, üben. Das Gute daran? Wer sich einmal damit beschäftigt, erkennt das Potenzial – und macht automatisch weiter. Doch entscheidend ist, auch dann dranzubleiben, wenn es komplex wird.

Sich an anspruchsvollere Anwendungen zu wagen oder Compliance-Hürden zu meistern, zahlt sich aus. Ich denke hier bereits an GenAI Agents. Wer vorne mitspielt, sichert sich entscheidende Wettbewerbsvorteile – und in einer Welt, in der sich alles rasant entwickelt, zählt Geschwindigkeit mehr denn je.
Andreas Martinis, Absolvent MAS Digital Business HWZ

Die Verbindung von digitalem Marketing und GenAI ist noch wenig erforscht. Hoffst du, dass deine Master Thesis als Grundlage für zukünftige Forschungsarbeiten dient? Und wo siehst du den grössten Bedarf für vertiefte Forschung?

Ja, natürlich. Aber ich muss differenzieren: Geforscht wird aktuell stark. Blogbeiträge über den Einsatz von GenAI im Marketing gibt es wie Sand am Meer – viele davon wohl auch mit GenAI verfasst. Doch tiefgehende akademische Forschung mit umfangreichen Studiendaten war zu Beginn meiner Arbeit tatsächlich nur sehr begrenzt verfügbar. Allerdings sind einige Bücher und Studien derzeit in Entstehung oder unterdessen erschienen. Meiner Meinung nach wird es entscheidend sein, die Wirkung von GenAI-Inhalten auf Benutzer:innen kontinuierlich zu analysieren. Eine Studie aus 2024 zeigt, dass Benutzer:innen von GenAI-generierten Inhalten wenig begeistert sind. Gleichzeitig nutzen 96 % der von mir befragten Marketer GenAI – sehen Akzeptanzprobleme aber nur als fünftgrösstes Problem. Da frage ich mich: War die Studie zu kritisch, oder sind sich Marketer dieses Widerspruchs nicht bewusst? Und löst sich das Problem von selbst, wenn die Qualität von GenAI steigt? Werden KI-generierte Inhalte irgendwann als so «gut» empfunden, dass sie menschliche übertreffen? Solche und ähnliche Fragen gilt es weiter zu erforschen, denn sie sind für das Marketing äusserst zentral.

Wenn du ein Forschungsprojekt aus den Erkenntnissen deiner Master Thesis weiterführen könntest: Welches Thema würdest du genauer untersuchen wollen?

Besonders spannend wäre es, noch differenzierter zu analysieren, wie demografische Merkmale die Wahrnehmung von GenAI im Marketing beeinflussen. Dafür bräuchte es jedoch mehr als die 150 Teilnehmenden meiner Studie. Was ich bereits ableiten konnte: Die Firmengrösse spielt kaum eine Rolle, aber die Berufserfahrung schon. Weniger erfahrene Fachkräfte stehen GenAI deutlich kritischer gegenüber als erfahrene – intuitiv vielleicht überraschend. Dafür habe ich folgende mögliche Erklärung: Jüngere Fachkräfte nutzen GenAI breiter und facettenreicher, entwickeln dadurch ein schärferes Bewusstsein für seine Schwächen und bewerten den Effizienzgewinn sowie die wirtschaftliche Rentabilität zurückhaltender als ihre erfahreneren Kolleg:innen.

Was war dein prägendster Moment als Marketing-Profi mit GenAI? Gab es ein Aha-Erlebnis oder eine Herausforderung, die dich nachhaltig beeindruckt hat?

Zwar hat es nicht direkt mit Marketing zu tun, aber was mir richtig Spass gemacht hat, war zum ersten Mal einen Lego-Avatar zu generieren! Das war bei uns in der WhatsApp-Gruppe des CAS Digital Leadership ein regelrechter Hype. Mit meinem Avatar habe ich es sogar ins Yea(h)rbook der HWZ geschafft. 😁

Eintrag Study Touring Andreas Martinis

Wagst du dich als Technologie-Enthusiast an eine Prognose, wie sich GenAI in den kommenden Jahren entwickeln und das digitale Marketing verändern wird?

Ich bin überzeugt, dass die nächste Entwicklungsstufe nach GenAI bereits begonnen hat und die heisst «Agentic AI». Dabei handelt es sich um KI-Agenten, die in LLMs eingebettet sind und zunehmend in der Lage sein werden, komplexe Aufgaben eigenständig zu lösen. Sozusagen LLMs mit Superfähigkeiten! Diese haben das Potenzial, gerade die Automatisierung im Marketing auf ein neues Niveau zu heben und zahlreiche Prozesse deutlich effizienter zu gestalten. In vielen Bereichen des Marketings dürfte Agentic AI eine wichtige Rolle spielen.

Bachelor und Master Theses der HWZ

Detaillierte Einblicke in die Master Thesis von Andreas Martinis sowie weitere spannende Arbeiten bietet unsere Datenbank. Dort sind sämtliche Abschlussarbeiten der letzten drei Jahre von Bachelor- und Masterstudierenden der HWZ erfasst.