Aktuell | 23. Oktober 2025
Neue Technologien wie KI verändern das Unternehmertum – sie sind jedoch nur ein Werkzeug im Gründer:innen-Koffer. Ideen lassen sich heute schneller testen, Prototypen günstiger entwickeln und Feedback effizienter auswerten. Wie Start-ups mit kleinen Experimenten und wenig Budget evidenzbasiert starten können, erklärt Dr. Linard Barth, Leiter des Departements Entrepreneurship, Innovation & Academy.
Wer ein Start-up gründet, steht oft vor derselben Herausforderung: Wie kann ich meine Idee schnell testen, ohne gleich zu viel Geld und Zeit zu riskieren? Genau hier verändern KI-Tools die Spielregeln. Ob Marktanalysen, Prototyping oder Nutzerinterviews – vieles lässt sich heute digital und iterativ durchführen, bevor grosse Investitionen nötig sind. Doch was bedeutet dieser Wandel für junge Gründer:innen in der Schweiz und Europa? Welche Chancen und Risiken ergeben sich, wenn KI plötzlich Design, Prototyping, Research und sogar Kundeninterviews übernimmt? Und vor allem: Wie vermeidet man es, am Anfang unnötig Geld zu verbrennen?
Im Interview erklärt Dr. Linard Barth, Leiter Departement Entrepreneurship, Innovation & Academy, wie Gründer:innen in der Frühphase von diesen Möglichkeiten profitieren – und welche Fehler sie vermeiden sollten.
Linard, wie haben sich die Möglichkeiten für Gründer:innen in den letzten Jahren verändert – besonders, wenn man mit wenig Budget starten will?
Gründen ist heute so leicht wie nie zuvor. Früher war es oft nötig, zuerst Kapital zu beschaffen, um überhaupt eine Idee testen zu können.
Heute können Gründer:innen mit deutlich weniger Geld Hypothesen prüfen, indem sie Prototypen entwickeln und so fundiert mit potenziellen Kund:innen interagieren. Innovative digitale Tools und KI-Anwendungen ermöglichen eine Geschwindigkeit und Kosteneffizienz, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab. Dazu zählen No- und Low-Code-Tools, also Plattformen, mit denen man digitale Anwendungen, Workflows oder Automatisierungen erstellen kann, ohne (oder mit sehr wenig) Programmierkenntnisse.
So können innerhalb kürzester Zeit klickbare, also interaktive Prototypen erstellt werden, um Nutzerfeedback einzuholen und wertvolle Daten zu sammeln – bevor in kostenintensive Produktentwicklung investiert wird. Eine Folge davon ist auch, dass heute Ideen getestet werden können, die früher in der Schublade geblieben wären, da deren Validierung zu aufwändig und damit risikoreich gewesen wäre.
Früher hiess es: «Ohne Team und Kapital geht nichts.» Heute sieht man, dass Gründer:innen mit kleinen Mitteln starten. Wie siehst du diesen Wandel?
Enorm positiv: Unternehmertum wird demokratischer, da Eintrittsbarrieren fallen. Methoden wie Lean Startup, Design Thinking und Rapid Prototyping haben zu einem Paradigmenwechsel geführt.
Wer eine gute Idee hat und bereit ist, konsequent zu testen, kann schnell erste Meilensteine erreichen – ohne zuerst ein Team zu bilden oder Investor:innen überzeugen zu müssen. Irgendwann braucht es aber weiterhin Klarheit über ein überlebensfähiges Geschäftsmodell und ein Kernteam mit den Kompetenzen, die Idee dann auch realisieren zu können.
Die Notwendigkeit, Kapital zu beschaffen, ist also nicht verschwunden, aber der Zeitpunkt hat sich in vielen Fällen nach hinten verschoben: Erst testen, lernen, pivotieren – also die Strategie anpassen und optimieren. Erst danach sollte in Wachstum investiert werden.
Welche Methoden eignen sich heute am besten, um eine Idee frühzeitig und evidenzbasiert zu testen – von klassischen Ansätzen wie Kundeninterviews bis hin zu modernen KI-Tools?
Ich empfehle eine Kombination aus klassischen und digitalen Ansätzen in einem iterativen Gesamtprozess. Zu Beginn sollte genügend Zeit investiert werden, um den Problem-Solution-Fit zu validieren: Ganz am Anfang eignen sich dazu weiterhin klassische Interviews und Beobachtungen, um erstmal strukturierte Hypothesen zu bilden. Mit Hilfe von KI-Tools lassen sich erste, einfache Prototypen erstellen, beispielsweise Entwürfe, klickbare Testversionen oder Apps ohne Programmieraufwand. Diese helfen, schnell Rückmeldungen zu erhalten und zu prüfen, ob die ursprünglichen Annahmen tatsächlich stimmen.
Wo bringen digitale Tools oder KI in der frühen Gründungsphase den grössten Nutzen oder können den Prozess sinnvoll unterstützen?
KI hat die automatisierte Sammlung und Auswertung von Primär- und Sekundärdaten massiv vereinfacht und beschleunigt. Interviews werden mit KI automatisch transkribiert, Foren und Online-Communities können automatisiert auf Risiken und Nutzen durchsucht werden, Umfragen werden automatisch ausgewertet, Sekundärliteratur und -daten können in kontextualisierte Markt- und Wettbewerbsanalysen zusammengefasst werden.
Das Rapid Prototyping ist ein Bereich, der durch KI nicht nur schneller, sondern auch deutlich zugänglicher geworden ist. Gründer:innen ohne Programmierkenntnisse können in kurzer Zeit einfache UI-Designs, Webseiten und Apps entwerfen und damit ihre Hypothesen testen. So können schnell klickbare Prototypen, Web-Auftritte, Onlineshops, E-Mail-Kampagnen und Erklärvideos erstellt oder Werbung auf sozialen Netzwerken geschaltet werden. So lässt sich die Attraktivität aus Kundensicht und das Wertversprechen testen, ohne viel Zeit und Geld zu investieren.
Entlang sämtlicher Phasen und Entwicklungsschritte gibt es mittlerweile eine Vielzahl an unterschiedlichen, teilweise hoch spezialisierten KI-Tools. Wichtig ist dabei zu beachten, dass KI vor allem Inspiration und Geschwindigkeit liefert – die Validierung und die tatsächliche Entscheidung sollten bei Menschen liegen.
Wo sollte man trotzdem auf klassische Methoden setzen?
Immer dann, wenn es um ein vertieftes Verständnis von Bedürfnissen und Produktanforderungen seitens der Nutzenden geht. Nichts ersetzt echte Gespräche, Beobachtungen und direkte Interaktionen. Auch bei der Definition von Sinn, Zukunftsbild und Werten kann KI unterstützen, aber die Aufgabe nicht abnehmen: Hier braucht es Reflexion, Erfahrung und den Austausch mit anderen Menschen. Ausserdem müssen diese Elemente für die Akzeptanz im Team gemeinsam entwickelt werden und sollten nicht von einer KI generiert werden.
Welche Schritte sollte jede:r Gründer:in gehen, bevor überhaupt an externe Finanzierung gedacht wird?
Verstehen, ob das Problem überhaupt relevant und dringlich ist.
Erste Prototypen bauen und testen, ob das Problem auf die angedachte Weise gelöst werden könnte.
Feedback potenzieller Nutzer:innen sammeln und, wenn notwendig, nicht vor grösseren Anpassungen zurückschrecken! Erst danach den Problem-Solution-Fit ausgiebig optimieren.
Sicherstellen, dass die Geschäftsidee potenziell überlebensfähig werden kann. Wie kann Geld verdient werden? Welche sind die essenziellen Partner/Lieferanten, um die Leistung erstellen zu können? Wo liegt Skalierungspotenzial?
Erste Kunden, Vorbestellungen oder klare Anzeichen für Interesse sammeln, beispielsweise mit einer Absichtserklärung.
Realistisch kalkulieren, wie viel Kapital tatsächlich benötigt wird, und dann so lange wie möglich «bootstrappen», also ohne externe Finanzierung investieren.
Welche typischen Fehler beobachtest du am häufigsten in der frühen Gründungsphase?
Besonders unerfahrene Gründer:innen sind oft mit einer fixen Idee gestartet und scheuen sich davor, diese wirklich intensiv auf Herz und Nieren zu prüfen. Sie haben Angst vor kritischem Feedback, schützen lieber ihre Ideen oder erliegen dem Confirmation Bias – sie suchen und sehen nur bestätigende Informationen. Das ist besonders fatal, wenn es zu einem weiteren oft beobachtbaren Fehler führt: Sie fangen viel zu früh an, die Lösung zu bauen. Statt ihre Idee zuerst mit echten Kund:innen zu validieren, investieren sie Monate – und oft auch schon Geld – in ein Produkt.
Ein weiteres Problem, das teilweise durch zu wenig extensive Validierung erklärt werden kann, ist mangelnder Fokus: Wer nur anekdotisch Evidenz sammelt, erhält oft unterschiedliche und widersprüchliche Anforderungen zur Lösung eines Problems. Deshalb starten Gründer:innen die Entwicklung einer eierlegenden Wollmilchsau oder verzetteln sich im Projektgeschäft.
Wenn du Gründer:innen nur einen einzigen Rat geben dürftest: Wie vermeidet man es, zu früh zu viel Geld zu verbrennen?
Früh, ausgiebig und mutig testen und dabei extrem kritisch gegenüber vermeintlichen Lösungen sein. Das bedeutet auch, bereit zu sein, die ursprüngliche Idee radikal zu ändern! Viele erfolgreiche Start-ups sind aus Pivots der ursprünglichen Idee entstanden.
Besten Dank, Linard, für diese spannenden Einblicke! Wir haben gelernt: Erfolgreiches Gründen braucht heute weniger Kapital als Mut zum Testen, Lernen und Anpassen. KI und digitale Tools beschleunigen viele Prozesse – ersetzen aber nicht die menschliche Reflexion und den direkten Austausch mit Kund:innen. Wer klein beginnt, evidenzbasiert experimentiert und Feedback ernst nimmt, legt das Fundament für ein nachhaltiges Wachstum.
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