Podcast | 17. Juli 2023
Vier Sprachregionen und mehr als zwanzig Dialekte. Die sprachliche Situation in der Schweiz ist einzigartig. Für die Schweizer Marketing- und Werbebranche ist dies Chance und Herausforderung zugleich. Die kulturelle Identität, die ein Dialekt verkörpert, bietet Marken die Möglichkeit, sich zu positionieren und einzigartige Botschaften zu vermitteln. Wir sprachen im Podcast mit Dr. Stephan Feige über das Thema und eine aktuelle Studie dazu.
Dialekt wird seit vielen Jahren in der Werbung eingesetzt. Wer erinnert sich nicht an die Ovo- Werbung aus den 90-er Jahren – «Mit OVO chaschs nöd besser, aber länger»?
Mittlerweile verwenden sehr viele Unternehmen wie bspw. Coop, Swisscom, Migros, Electrolux oder der Kanton Graubünden Dialekt in der geschriebenen Werbung. Doch wie wirkt diese Werbung auf Kundinnen und Kunden? Verstehen sie die Werbung in Mundart und welche Emotionen löst es aus? Bis anhin gab es keine fundierten Informationen bezüglich Chancen, Gefahren und tatsächlicher Wirkung von Werbung in Dialekt.
Im Rahmen der Studie «Ädverteising – Dialekt in der Werbung» untersuchte Stephan Feige, Fachstellenleiter für authentische Markenführung HWZ, gemeinsam mit dem Link Institut, dem Schweizerischen Idiotikon, der Universität Zürich, der Publicis Zürich und Partner:innen aus der Praxis, welchen Einfluss Dialekt in der geschriebenen Werbung hat. Die Studienergebnisse wurden bereits im Februar im Rahmen einer Veranstaltung präsentiert. Die wichtigsten Erkenntnisse fassen wir hier zusammen.
In drei Teilstudien wurden insgesamt 6300 Personen zwischen 15 und 79 Jahren in der Deutschschweiz online befragt.
Die Herausforderungen bei der Verschriftlichung von Dialekten in der Werbung sind vielfältig. Soll man nun Chind, Ching, Kind, Khind oder Kchind schreiben? Dialekte sind regionale Sprachvarietäten, die sich auf allen sprachlichen Ebenen von der Standardsprache (Hochdeutsch) unterscheiden. Mit sprachlichen Ebenen sind folgende gemeint: Phonologie (Lautsystem), Grammatik (Wortbildung und Satzbau), Wortschatz und auch die Verwendungsweise. Das Schweizerdeutsche wird als Teil des Alemannischen betrachtet, wobei es keine strikten Grenzen gibt und die Dialekte ineinander übergehen. Allerdings unterscheidet sich die hochdeutsche Standardsprache deutlich von den Dialekten in der Schweiz. Dies führt aber auch dazu, dass es in der Schweiz kein «Einheitsschweizerdeutsch» gibt. Dialekte wirken sowohl unterbewusst als auch bewusst. Diese Assoziationen führen zu Urteilen oder auch Vorurteilen und sind Proxys soziokultureller Gewohnheiten:
Berge = Skiferien / Stadt = arrogant / Land = bäuerlich
Die Verschriftlichung von Dialekten ist nicht trivial und kann den sprachlichen Variationen kaum Rechnung tragen. So ist die Schrift immer nur ein Abbild des gesprochenen Wortes, die phonetische Variation zwischen den Dialekten ist in der Schrift nur schwer darstellbar und die unterschiedlichen Lautsysteme müssen mit begrenzten typografischen Mitteln realisiert werden.
Quelle: Studie Ädvertising Dialekt in der Werbung Zürich, April 2023
Die Studie hat unter anderem gezeigt, dass nicht nur bei der Aussprache oder Schreibweise, sondern bereits bei der Wortwahl (z.B. bei Übersetzungen aus dem Standarddeutsch) Vorsicht geboten ist. So heisst es in der Schweiz «Dräck» statt Schmutz, «flicke» statt reparieren und «zügle» statt umziehen.
Die empirische Untersuchung über die Wirkung und Einsatzmöglichkeiten von Schweizer Dialekten im Marketing hat folgende Ergebnisse gebracht: Sprache ist ein hocheffizienter impliziter Prozess, der auch fehleranfällig sein kann. Zudem ist sie ein nicht abschaltbarer Prozess, der eher einer Schrotflinte als einem Scharfschützengewehr gleicht und mit dem verschiedene sensorische Sinneseindrücke wie bspw. Form oder Klang, aber auch grundlegende stereotype Bewertungsdimensionen wie Wärme und Kompetenz verbunden sind. Wie verwenden wir in der Schweiz Standardsprache versus Dialekt? Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass in der informellen Kommunikation Schweizerdeutsch häufiger verwendet wird als Standarddeutsch. Erstaunlich ist, dass Personen bis 44 Jahre zu 81% auf Schweizerdeutsch kommunizieren.
Quelle: Studie Ädvertising Dialekt in der Werbung Zürich, April 2023
Die Studie untersuchte auch das Verstehen und Erkennen von Dialekten. Das Erkennen bzw. die richtige Zuordnung eines Dialekts ist beim Berndeutsch und beim Bündnerdeutsch hoch. Bei den Zürcher Dialekten und bei den Dialekten der Nordwestschweiz erkennen weniger als 50%, um welchen Dialekt es sich handelt. Auch auf die Frage, welche Dialekte eher positiv oder negativ besetzt sind, gab es recht eindeutige Antworten. So ist das Berndeutsch in der westlichen Deutschschweiz und in der Zentralschweiz positiv verankert, in der Nordwestschweiz hingegen eher negativ. Der Zürcher Dialekt ist in den meisten Kantonen negativ besetzt, ausser in Zürich und der Ostschweiz. Auch das Baslerdeutsch ist ausser in der Nordwestschweiz eher unbeliebt.
Auf die Frage nach der generellen Sprachpräferenz in der Werbung antworteten alle Kantone mit Ausnahme des Wallis, dass sie Schweizerdeutsch bevorzugen. Rund ein Drittel der Befragten hat keine klare Präferenz.
Quelle: Studie Ädvertising Dialekt in der Werbung Zürich, April 2023
Schweizerdeutsche Dialekte sind komplex und vielfältig. Dialektverschriftung ist anspruchsvoll.
Mundart in der Werbung hat mehrheitlich Chancen. Etwa jeder zweite Befragte bevorzugt Schweizerdeutsch als Sprache der Markenbotschaft. Eine Marke, die auf Schweizerdeutsch kommuniziert, kann potenziell ihre lokale Positionierung und die gefühlte Nähe zu den Kunden erhöhen.
Auch internationale Marken dürfen auf Schweizerdeutsch kommunizieren.
Je besser man eine Marke kennt, desto besser funktioniert geschriebene Werbung in Mundart.
Nicht alle Dialekte werden in geschriebener Form gut erkannt. Bärndütsch wird am besten erkannt. Botschaften in Züridüütsch, Baseldytsch und anderen Dialekten werden mehrheitlich nicht korrekt zugeordnet.
Auf die wahrgenommene Kompetenz des Absenders hat der Dialekt keinen Einfluss. Auch keinen negativen.
Zusätzlich zu den empirischen Studien wurde eine Partnerstudie mit 2000 Befragten durchgeführt. Dabei wurde nach der Wirkung des Werbesujets und der Wirkung der Werbung auf die Marke gefragt. So konnte herausgefunden werden, dass beispielsweise ein ausländisches Unternehmen, das in Mundart kommuniziert, dadurch Nähe zu den Kundinnen aufbauen kann, während eine bereits lokale Marke durch den Dialekt nicht noch lokaler werden kann und somit auch durch Mundartwerbung diesbezüglich nicht viel gewinnt. In der Partnerstudie wurde auch deutlich, dass Schweizerdeutsch mit Standarddeutsch gemischt werden kann. So kann eine Headline auf Schweizerdeutsch Nähe schaffen und die Subline auf Hochdeutsch Erklärungen liefern.
Quelle: Studie Ädvertising Dialekt in der Werbung Zürich, April 2023
Aus der Partnerstudie ergeben sich somit folgende Key-Results:
Dialektkommunikation bietet Chancen in Bezug auf die Wahrnehmung der Marke und die Nähe zum Kunden. Für internationale Marken gilt das noch mehr, als für stark verankerte Schweizer Marken.
Die Verständlichkeit ist gegeben, solange die Texte nicht zu lang sind.
Die Kompetenzwahrung wird nicht negativ beeinflusst.
Die Gefahr, den Ton nicht zu treffen ist vorhanden – für ausländische Marken ist diese noch grösser als für Schweizer Unternehmen.
Die Kombination von Dialekt und Standardsprache kann im Einzelfall sinnvoll sein.
Die Wirksamkeit nationaler und regionaler Kampagnen ist vergleichbar.
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