Forschung | 11. April 2024

Wie Unternehmen zukünftig die Natur als Stakeholder wahrnehmen können

Sybille Sachs, Leiterin des Instituts für Strategisches Management der HWZ, untersucht zusammen mit zwei finnischen Forscherinnen, Johanna Kujala und Anna Hannula, vier Typen, die es Unternehmen ermöglichen, die Natur als Stakeholder in Unternehmen wahrzunehmen und einzubeziehen. Im Interview erklärt Sybille die vier Arten «Verbundenheit», «Motivation», «Ressource» und «Partner» und wie Unternehmen von einem solchen differenzierten Umgang mit der Natur als Stakeholder profitieren können.

Portrait Sybille Sachs HWZ

Sybille, du arbeitest zusammen mit zwei Finninnen an einem wissenschaftlichen Paper, welches davon handelt, die Natur als Stakeholder in einem Unternehmen anzuerkennen und einzubeziehen. Kannst du uns einen tieferen Einblick in dieses Thema geben?

Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns in der Stakeholder-Forschung mit der Frage, ob die Natur respektive Einheiten wie Tiere, Flüsse oder Wälder von Unternehmungen als Stakeholder wahrgenommen werden. Aus diesem Grund setzen sich Johanna Kujala und Anna Hannula von der Universität Tampere in Finnland und ich mit der Frage auseinander, welche Art von Wahrnehmungen Unternehmungen bereits haben und welche dazu führen, dass die Bedingungen der Natur vermehrt in die unternehmerischen Aktivitäten einbezogen werden. 

Wie kommt es, dass du dieses Paper zusammen mit Johannna und Anna schreibst?

Jedes Jahr veranstaltet die Darden Business School der Universität Virgina ein internationales Doktorandenseminar, zu dem ich als Faculty regelmässig eingeladen werde. An diesem Seminar entstand vor fünf Jahren die Idee mit Johanna und Anna und seitdem beschäftigen wir uns damit und haben das Paper schon auf vielen Konferenzen vorgestellt.

Was hat dich/euch dazu motiviert, sich mit der Wahrnehmung und Integration der Natur als Stakeholder in Unternehmen zu beschäftigen?

Als Stakeholder-Expertin ist es mir ein Anliegen, dass die Natur nicht nur als Ressource wahrgenommen oder vertreten wird durch Intermediäre wie NGOs. Die Natur soll eigenständig wahrgenommen werden, damit wir drängende Themen wie C02 Reduktion oder Biodiversität wirksamer angehen können.

Die Natur soll eigenständig wahrgenommen werden, damit wir drängende Themen wie C02 Reduktion oder Biodiversität wirksamer angehen können.

Die Wichtigkeit, die Natur als Stakeholder anzusehen

Bevor wir in die Details eurer Ergebnisse eintauchen, wäre es hilfreich zu verstehen, was ihr unter «Natur als Stakeholder» versteht. Denn der Begriff «Natur» ist sehr vielschichtig und kann in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben. Was verstehst du darunter, genauer gesagt, wie kann man sich die Natur als Stakeholder vorstellen?

Wir vertreten die Sichtweise, dass die Natur als Ganzes nicht geeignet ist, um sie als Stakeholder zu verstehen, das Gleiche gilt auch bei der Gesellschaft. Sondern es ergibt Sinn, die verschiedenen Einheiten der Natur als Stakeholder zu verstehen. Am besten nachzuvollziehen, ist dies sicher bei Tieren. Die Art, wie «Nutztiere» oder Haustiere verstanden werden, verdeutlichen dies. Wir thematisieren aber auch Flüsse oder Wälder als Stakeholder, weil sie von den Aktivitäten der Unternehmung betroffen sein können und von dem her gesehen etwas «at stake» – sprich auf dem Spiel – stehen.

Warum hältst du es für notwendig, diese Einheiten der Natur als Stakeholder in einem Unternehmen einzubeziehen?

Wenn Einheiten der Natur Bestandteil der unternehmerischen Aktivitäten sind, dann ergibt es Sinn, wenn die Unternehmungen sich bewusst sind, dass sie diese Einheiten verschieden wahrnehmen können. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Umweltthemen für die Zukunft relevant sein werden und Unternehmungen dabei eine wichtige Rolle spielen. Unternehmungen haben die Möglichkeit, Risiken zu reduzieren, aber auch durch innovative Lösungen wie bei Fleischersatznahrung oder Carbonentfernungs-Technologien Nutzen zu stiften. Aus diesem Grund möchten wir den Unternehmungen ein Tool anbieten, das aufzeigt, wie sich durch verschiedene Wahrnehmungen das Verhalten der Unternehmung und anderer wichtiger Stakeholder wie Mitarbeiter:innen, Kund:innen oder Lieferant:innen verändert und Lösungen für die Umweltthemen gefunden werden können.

Wenn Einheiten der Natur Bestandteil der unternehmerischen Aktivitäten sind, dann macht es Sinn, wenn die Unternehmungen sich bewusst sind, dass sie diese Einheiten verschieden wahrnehmen können.

Vier Typen, die Natur als Stakeholder wahrzunehmen

Ihr habt in eurem wissenschaftlichen Paper einige Dimensionen und Möglichkeiten definiert, wie die Natur als Stakeholder überhaupt wahrgenommen werden kann. Könntest du diese erläutern? Und wie können diese konkret in der Praxis angewendet werden?

Zur Erfassung der Naturwahrnehmung sind zwei Dimensionen relevant.

  • Erstens ist die «Verbundenheit» dieser Einheit der Natur mit Kernaktivitäten einer Unternehmung ausschlaggebend. Wenn diese Einheit, wie z. B. Tiere, durch die Angebote eines Restaurants stark betroffen sind, ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden konkretes Wissen über die Haltung dieser Tiere haben. Wenn wir von einer Unternehmung sprechen, deren Aktivität keinen direkten Bezug zu Tieren haben, dann ist die Verbindung lose und das Wissen kann von anderen Expert:innen oder Intermediären wie Tierschutzorganisationen bezogen werden.

  • Die zweite Dimension umfasst die «Motivation» einer Unternehmung. Es ist relevant, ob eine Unternehmung intrinsisch motiviert ist, sich für Tiere einzusetzen, oder ob dies ausschliesslich aus strategischen Überlegungen geschieht. Nehmen wir das Beispiel einer Unternehmung, die keinen direkten Bezug zu Tieren in ihren unternehmerischen Aktivitäten hat und rein aus strategischem Kalkül handelt, dann sind diese Tiere unentdeckte Stakeholder in ihrer Wahrnehmung. Es kann jedoch sein, dass im Laufe der Zeit der Bezug zu den Tieren in der Wertschöpfungskette offensichtlich wird, wie z. B. bei den E-Bikes, die im Wald aufgrund ihrer Geschwindigkeit erschrecken. Es ist also relevant, dass die Unternehmung bei dieser Art der Wahrnehmung auf dem Radar hat, dass sich die Verbundenheit mit der unternehmerischen Aktivität oder auch die Werthaltung der Mitarbeitenden ändern kann. Wenn sich die Werthaltung verändert, dann würde sich die Wahrnehmung zum zweiten Typus ‚geschützt‘ verändern, da bei einer losen Verbundenheit zum Geschäft die Mitarbeitenden intrinsisch motiviert sein können, sich um das Wohl der Tiere zu kümmern. Damit gewinnen Intermediäre wie Tierschutzorganisation an Bedeutung. Eine Möglichkeit wäre, dass Kooperationen mit einer Tierschutzorganisation eingegangen werden und die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, zu einer solchen Organisation zu wechseln.

  • Der dritte Typus der Wahrnehmung ist «Ressource». Bei diesem Typ ist die Verbundenheit zu der unternehmerischen Tätigkeit stark, aber das Kalkül ist rein strategisch. Ein Beispiel wäre hier ein Feinschmeckerrestaurant, das für seine guten Fleischgerichte bekannt ist. Aufgrund der Wahrnehmung von Tieren als Ressource werden Restaurants nur gerade so viel für den Tierschutz tun, dass das Image nicht leidet. Hier stellt sich die Frage, ob sich das Bewusstsein der Gäste mit der Zeit nicht ändern kann und das Restaurant die Wahrnehmung in Richtung einer partnerschaftlichen Wahrnehmung verändern sollte.

  • Der vierte Typ «Partner» beinhaltet eine intrinsische Motivation und eine enge Beziehung zum Kerngeschäft der Unternehmung. Ein Beispiel hierfür wäre ein vegetarisches Restaurant, das über das Wissen verfügt, wie das Wohl der Tiere geschützt werden kann und intrinsisch motiviert ist, dieses Wissen ständig zu erweitern und den Gästen schmackhaftes und gesundes Essen anzubieten.

Fazit

Für Unternehmen ist es immer wichtig zu verstehen, was die Vorteile aus einer solchen strategischen Ausrichtung sind. Also die Frage: Wie können Unternehmen von einem solchen differenzierten Umgang mit der Natur als Stakeholder profitieren?

Unternehmungen profitieren von einer Differenzierung des Umgangs mit der Natur, in dem die verschiedenen Einheiten durch die Motivation und Verbundenheit mit der unternehmerischen Aktivität unterschiedlich wahrgenommen werden können. Mit diesen vier Typen können sie Prioritäten setzen, aber auch prüfen, wie sich Wahrnehmungen verändern können und sollen.

Dazu braucht es noch vertiefte empirische Erkenntnisse. Mein Doktorand Silvan Oberholzer untersucht derzeit empirisch, wie die Mobilisierung von Stakeholdern für nachhaltiges Wirtschaften im Kontext der Kreislaufwirtschaft und des Einbezugs der Natur als Stakeholder für nachhaltige Wertschöpfung erfolgen kann.

Das Institute for Strategic Management

Das Institute for Strategic Management ermöglicht durch die innovative angewandte Forschung der HWZ Raum, damit Menschen in Unternehmungen und Organisationen nachhaltig Wert für Mensch und Natur schaffen können.