Forschung | 9. November 2023
Die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft erfordert intensive und bedeutende Interaktionen zwischen unterschiedlichen Stakeholdern, damit Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen nachhaltig gestalten können. In einem Interview gibt uns Silvan Oberholzer vom Institute for Strategic Management: Stakeholder View der HWZ, Einblick in diese Thematik, die er für eine kürzlich erschienene Publikation mit Sybille Sachs vertiefte.
Die Kreislaufwirtschaft hat zum Ziel, Ressourcen möglichst lange und werterhaltend zu nutzen, um den Ressourcenverbrauch innerhalb der Belastungsgrenzen der Erde zu halten. Hierzu müssen Material- und Energiezufuhr, Abfall, Emissionen und Energieverlust so gering wie möglich gehalten werden. Dafür werden Material- und Energiekreisläufe geschlossen (Recycling, Sammlung), verlangsamt (langlebiges Produktdesign, Upcycling, Reparatur, Wiederverwendung, «Sharing», Dematerialisierung) und verengt (effiziente Ressourcen-/Energiezufuhr).
Kreislaufwirtschaft gewinnt auch in der Schweiz vermehrt an Bedeutung. Lokale und nationale politische Vorstösse nehmen zu. Trotzdem bestehen noch viele offene Fragen zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, insbesondere auf der Unternehmensebene. Als wichtige Grundlage für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft gilt es unter anderem besser zu verstehen, welche Interaktionen in Netzwerken, die verschiedene Stakeholder zusammenbringen, zentral sind.
Dieser Frage gingen Silvan Oberholzer und Sybille Sachs in ihrem Buchkapitel «Engaging Stakeholders in the Circular Economy: A Systematic Literature Review» nach. Die systematische Literaturrecherche erschien im Buch «Stakeholder Engagement in a Sustainable Circular Economy» (Palgrave MacMillan) von Johanna Kujala, Anna Heikkinen und Annika Blomberg. Im Buchkapitel beleuchten Silvan Oberholzer und Sybille Sachs verschiedene Stakeholder Engagement Praktiken und eine Netzwerkperspektive, damit ökologische Herausforderungen im Unternehmenskontext gemeinsam bewältigt werden können.
Nebst dem verfassten Buchkapitel gehen Silvan Oberholzer und Sybille Sachs, vom Institute for Strategic Management: Stakeholder View der HWZ, dieser Thematik im Forschungsprojekt «Green Transformational Leadership im Kontext der Kreislaufwirtschaft» nach. Darin untersuchen sie die Rolle und Eigenschaften von Führungskräften, welche in der Lage sind, externe Stakeholder für die Transformation zur Kreislaufwirtschaft erfolgreich zu motivieren und einzubinden. Dieses vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Projekt findet in Zusammenarbeit des Institute for Strategic Management: Stakeholder View HWZ mit der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) und ZHAW (Center for Corporate Responsibility) statt.
Silvan, welche Rolle spielt Stakeholder Engagement in der Kreislaufwirtschaft?
Stakeholder Engagement umfasst die Praktiken sowie die zugehörigen Motivationen und Auswirkungen (Impacts) bezüglich Interaktionen zwischen verschiedenen Stakeholdern. In der Kreislaufwirtschaft spielen nebst zirkulären Geschäftsmodellen und Produktdesigns, welche den Ressourcenverbrauch und Abfall vermindern und die Wiederverwendung von Ressourcen fördern, die Interaktionen zwischen verschiedenen Akteur:innen eine zentrale Rolle.
Genauere Einsichten in diese wichtige Thematik gab es bis anhin in der Managementliteratur jedoch nur begrenzt. Mit unserer systematischen Übersicht konnten wir einen bedeutenden Beitrag hierzu leisten.
Welcher Stakeholder ist denn besonders zentral in der Kreislaufwirtschaft?
Unsere Forschung zeigt auf, dass eine funktionierende Kreislaufwirtschaft viele heterogene Stakeholder wie politische Akteure, Unternehmen verschiedener Branchen, Forschungsinstitute, Kund:innen etc. zusammenbringt. Im Vergleich zur weitverbreiteten linearen Wirtschaft, welche dem Ansatz «Nehmen-Produzieren-Verkaufen-Verbrauchen-Wegwerfen» folgt, spielen in der Kreislaufwirtschaft insbesondere Konsument:innen eine zentrale Rolle. Diese sind dafür verantwortlich, dass durch einen sorgsamen Umgang die Produktlebensdauer maximiert wird und die Ressourcen während des gesamten Produktlebenszyklus in möglichst geschlossenen Kreisläufen erhalten bleiben. Den Konsument:innen kommt dadurch eine aktive Rolle zu, sprich sie sind beispielsweise dafür zuständig, die Produkte richtig zu entsorgen oder diese mit anderen Konsument:innen zu teilen.
In eurem Buchkapitel thematisiert ihr auch die Natur als Stakeholder, was im Kontext der Kreislaufwirtschaft noch wenig diskutiert wird. Worum geht es hierbei genau?
Wir sind der Meinung, dass nebst den traditionellen humanen Stakeholdern wie Lieferanten, Unternehmen, Kund:innen etc. auch die Natur ein zentraler Stakeholder der Kreislaufwirtschaft sein sollte. Schliesslich ist die Kreislaufwirtschaft ein umfassender Ansatz zu nachhaltigem Wirtschaften, welcher die Harmonie zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit und Natur fördert. Interessanterweise wird die Natur in der Kreislaufwirtschaft jedoch hauptsächlich als Kontext betrachtet. Deshalb forschen wir in weiteren Projekten zu «Natur-inklusivem Stakeholder Engagement». Diese Art von Stakeholder Engagement berücksichtigt die Rollen und Bedürfnisse verschiedener Teile der Natur aufgrund ihrer Betroffenheit in der Unternehmenstätigkeit. Dadurch können diese Teile direkt in Entscheidungen und Prozesse der Unternehmen einbezogen werden.
Welche Art von Stakeholder Engagement ist besonders wichtig in der Kreislaufwirtschaft?
In unserem Buchkapitel stellen wir, basierend auf bestehender Forschung, eine moralische, strategische und pragmatische Logik von Stakeholder Engagement vor. Im Kontext der Kreislaufwirtschaft identifizierten wir 24 dazugehörige Stakeholder Engagement Komponenten (Motivationen, Aktivitäten und Impacts). Moralisches Stakeholder Engagement in der Kreislaufwirtschaft zeichnet sich durch übereinstimmende Werte im Stakeholder Netzwerk aus, welche kreislauffähiges Verhalten fördern. Dies können beispielsweise geteilte Vorstellungen zu Nachhaltigkeitsnormen sein. Strategisches Stakeholder Engagement unterstreicht den innovativen Charakter zirkulärer Stakeholder Netzwerke. Es geht dabei um den Nutzen für die beteiligten Stakeholder in diesen Netzwerken, der zum Beispiel durch umweltfreundlichere und effizientere Produktionsmuster und Konsumgewohnheiten entsteht. Pragmatisches Stakeholder Engagement in der Kreislaufwirtschaft befasst sich mit inklusiver Partizipation und der notwendigen Koordination von Stakeholder Netzwerken durch geeignete Führung.
Wie du soeben angesprochen hast, diskutiert ihr in eurem Buchkapitel auch die Rolle von Stakeholder Netzwerken in der Kreislaufwirtschaft. Was sind deine Erkenntnisse hierzu?
Die Kreislaufwirtschaft ist ein dynamisches und kooperatives Business-Umfeld, welches sich durch heterogene Stakeholder Netzwerke auszeichnet. Solche Netzwerke bestehen aus voneinander abhängigen Stakeholdern, welche sich durch eine starke Interaktion, geteilte Verantwortung, einen gemeinsamen Zweck und daher ein Commitment für gemeinsame zirkuläre Wertschöpfung auszeichnen. Das Denken und Handeln gemäss dieser Netzwerkperspektive kann Synergien erzeugen und das Bewusstsein für die Vorteile für die Stakeholder sowie das Netzwerk steigern. Durch das aktive Pflegen heterogener Stakeholderbeziehungen können Ressourcenkreisläufe verengt (Effizienz), verlangsamt (Wiederverwenden, Teilen, Reparieren, Upcycling) und geschlossen werden (Recycling). Dies wird durch die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder in Netzwerken ermöglicht.
Welche Rolle spielt Leadership in solchen Netzwerken?
Die Werte und Verhaltensweisen von Stakeholdern in zirkulären Netzwerken müssen übereinstimmen. Geeignete Führungskräfte mit transformativen Fähigkeiten sind dabei in der Lage, diese Netzwerke zu koordinieren, Partizipation aktiv zu fördern und eine gemeinsame Vision aufrechtzuerhalten. Dadurch können auch allfällige lineare Denkweisen durchbrochen werden. Solche Leader stärken gemeinsame Entscheidungsfindungen durch das Abwägen der Bedürfnisse der einzelnen Stakeholder mit jenen des gesamten Netzwerks. Darüber hinaus sind unsere Einsichten in Leadership in zirkulären Stakeholder Netzwerken jedoch noch begrenzt, weshalb wir uns im Rahmen unseres SNF-Projekts vertiefter mit dieser bedeutenden Thematik auseinandersetzen.
Wie siehst du die Zukunft der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz?
Zudem kann die Schweiz durch die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft einen globalen Beitrag zur Verminderung der globalen dreifachen Umweltkrise (sogenannte Triple Planetary Crisis) leisten: Klimawandel, Verschmutzung und Biodiversitätsverlust. Die politische Entwicklung mit Vorstössen in Richtung Kreislaufwirtschaft sind zentral für ganzheitliche, kreislauffähige Lösungen. So hat beispielsweise die Stadt Zürich die kommunale Kreislaufstrategie «Circular Zürich» verabschiedet. Nebst dieser positiven Entwicklung auf der systemischen Ebene bilden zudem die immer zahlreicheren und vollständig kreislauffähigen Start-ups in der Schweiz einen wichtigen Treiber der Kreislaufwirtschaft. Gemäss dem im Frühjahr 2023 erschienenen Circularity Gap Report der Schweiz ist jedoch gerade mal 6.9% der Schweizer Wirtschaft kreislauffähig. Das bedeutet, dass noch ein beträchtlicher Weg bevorsteht, um ein ganzheitliches Umdenken sowie Verhaltensänderungen aller Akteur:innen in Richtung Kreislaufwirtschaft zu erwirken. Nur so können Konsum- und Produktionsmuster nachhaltiger gestaltet werden. Das Verständnis von Stakeholder Engagement im Kontext der Kreislaufwirtschaft bildet eine wichtige Grundlage hierzu.
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