Campus | 24. April 2023

Kaffeepause mit Gert Christen

Er lebt seit sieben Jahren in Kalifornien, hat zuvor an der HWZ die Fachstelle Entrepreneurship aufgebaut und das Thema in den Studiengängen der HWZ verankert. Kürzlich war Gert Christen auf Geschäftsreise in der Schweiz und stattete auch uns einen Besuch ab. Bei einem Kaffee im Starbucks erzählte er, wie es sich in San Francisco lebt, welche Zukunftstrends aus dem Silicon Valley kommen könnten und warum Kale, Avocado und Hafermilch in keinem kalifornischen Kühlschrank fehlen.

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In unserer Serie «Kaffeepause» trinken wir mit unseren Dozierenden und Studiengangsleitenden einen Kaffee oder Tee und erkunden die besten Plätze rund um die Europaallee, wo wir als HWZ zu Hause sind. In dieser Ausgabe waren wir im Starbucks an der Europaallee und haben Caffè Latte und Oatmilk Latte genossen. Wer kennt ihn nicht, den Starbucks-Kaffee: Vor 15 Jahren noch «the coffee-place-to-go», sind wir heute dank der kleinen Baristas eine exquisitere Qualität und vor allem auch tiefere Preise gewohnt. Wer jedoch einen ruhigen Ort zum Arbeiten oder für eine Besprechung sucht und dabei eine riesige Auswahl an verschiedenen exotischen oder auch traditionellen Kaffeesorten wünscht, ist bei Starbucks genau richtig.

Gert, herzlich willkommen zurück in Zürich :) Du lebst seit einigen Jahren in Kalifornien, warst früher an der HWZ als Fachstellenleiter tätig und bist uns glücklicherweise immer noch verbunden. Wie genau, werden wir später in diesem Interview erfahren. Zuerst einmal: Du hast die Fachstelle Entrepreneurship an der HWZ gegründet und aufgebaut, wie kam es dazu?

Ich habe 2007 an der HWZ angefangen, Projektmanagement-Seminare auf der Lenzerheide zu leiten. Da ich in den USA studiert hatte und daher die Sprachkenntnisse mitbrachte, betreute ich damals die englische Klasse. Die Entstehungsgeschichte der Fachstelle ist recht amüsant: Ich wurde damals von Urs Dürsteler angefragt, in einer Abschlussklasse ein Referat zu halten und zu erzählen, wie es war, nach der Ausbildung an der HWZ einen Master in den USA zu machen. Im Rahmen dieses Austausches fragte mich eine Studentin, welches denn das spannendste Fach gewesen sei. Ich musste nicht lange überlegen und antwortete: «Entrepreneurship». Das war ein Wahlfach, das ich unbedingt belegen wollte, weil es für mich auch symbolisch für den amerikanischen Traum «vom Tellerwäscher zum Milliardär» stand, ich wollte diesen Spirit selbst erleben. Das war meine Antwort an die Studentin, und da hatte Urs Dürsteler die zündende Idee, diese Fachstelle an der HWZ zu gründen – die bis heute besteht.

2015 zog es dich zurück in die USA – nach San Francisco. Inwiefern bist du heute mit der HWZ verbunden?

Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Verbindung über all die Jahre aufrechterhalten konnte. Als ich schon in Kalifornien war, fragten mich die Verantwortlichen der digitalen Studiengänge, ob ich Lust hätte, die Studienreisen nach San Francisco zu organisieren. Ich war sofort Feuer und Flamme und wusste, dass ich diese Chance gerne wahrnehmen würde. Ich kannte die HWZ, ihre Studierenden und deren Profile bereits gut, so dass Manuel Nappo, Patrick Comboeuf und ich uns einig waren, dass dies ein «Perfect Match» ist. Rund 20 Studienaufenthalte später mache ich es immer noch gerne. :)

Weshalb hattest du 2015 den Wunsch in die USA zu ziehen?

Meine Frau und ich wollten zurück nach Kalifornien und begannen, nach Jobs zu suchen. Neben meiner Tätigkeit an der HWZ leitete ich damals zwei Start-up-Inkubatoren in Zürich, den Blue Lion Inkubator und das Startzentrum Zürich. In diesem Zusammenhang habe ich an einer Konferenz teilgenommen und einen Vortrag über den Aufbau von Inkubatoren gehalten. Daraufhin wurde ich von einem Teilnehmer - der gerade dabei war, in Zusammenarbeit mit der University of California, Berkeley, einen Inkubator für die Stadt San Francisco aufzubauen - angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, sie dabei zu unterstützen.

Was war genau deine Aufgabe und bist du heute immer noch da tätig?

Die Frage war damals: Kann man die Start-up-Methodik anwenden, um Probleme im öffentlichen Bereich zu lösen? Auch die staatlichen Betriebe wollen lernen, schneller und agiler zu werden. Es war eine sehr vielseitige Aufgabe und ich betreute spannende Projekte, wie bspw. ein Projekt mit der Stadt L.A. im Bereich Infrastruktur. Man muss sich das vorstellen der Infrastrukturchef von L.A. ist für über 6000 Km Strassen und 2 Mio. Strassenlampen zuständig. Stell dir vor, du wechselst jeden Tag 1000 Glühbirnen, das dauert Jahre. Es war für mich sehr spannend, diese Dimensionen zu sehen und ich habe gelernt: «Small country small problems – big country big problems». Aber dieses Zentrum gibt es heute nicht mehr. Es ist uns leider nicht gelungen, die langfristige Finanzierung sicherzustellen. 

Und was machst du jetzt?

Ich unterrichte immer noch – nebst den Study Tours der HWZ, unterrichte ich an der University of California, Berkeley und gebe dort einen Start-up-Kurs. Obwohl sich die Methodik in den letzten Jahren erheblich veränderte, kann ich doch auf vieles aus meiner Dozierendentätigkeit an der HWZ zurückgreifen. Aber vor allem baue ich eine neue Firma auf – den USA Launching Pad: Ich hatte während Covid eine Geschäftsidee, wie man Firmen aus dem Ausland helfen kann, den Verkauf in den USA systematisch aufzubauen. Es gibt viele Programme, um Expert:innen zu bestimmten Themen zu finden oder um für ein paar Wochen den US–Markt zu erkunden. Aber es gibt kaum Hilfe, systematisch erste Kunden in den USA zu generieren oder erste Verkäufer einzustellen. Wobei dies doch entscheidend ist! Meine Firma fokussiert sich genau darauf. Wir haben bewiesen, dass unsere agile Methodik es ermöglicht, schnell mit vielen potentiellen Kunden zu sprechen und mit den Erkenntnissen systematisch das Marketing, den Verkauf, und die Produkte so anzupassen, dass Amerikaner sie kaufen wollen. Deshalb bin ich nun auch in der Schweiz und spreche mit verschiedenen Partnern. Seit der Pandemie konnten wir bereits sechs Firmen unterstützen und vier davon verkaufen ihre Produkte heute auf dem US-Markt. 

Welchen Mindset möchtest du den Studierenden mitgeben?

In Berkeley unterrichte ich Vollzeit-Studierende, bei ihnen merke ich, dass sie sehr dankbar sind, wenn man als Gesprächspartner zur Verfügung steht und von den eigenen Karriere-Erfahrungen berichtet. Sie brauchen eine Orientierungshilfe. Bei der HWZ ist es ein bisschen anders: die Studierenden der HWZ stehen bereits im Berufsleben und haben weniger Fragen. 

Wichtig ist für mich, dass ich nicht nur Inhalt runterspule, sondern den Austausch, gemeinsame Learnings und den Transfer in die Praxis fördere.
Gert Christen

Du hast es angesprochen. Du bist verantwortlich für die Studienreisen der HWZ nach San Francisco. Was möchtest du den Studierenden auf diesen Studienreisen mitgeben?

Die Studierenden aus dem CAS Digital Leadership kommen für eine Woche nach San Francisco und wenn sie zurück in der Schweiz sind, gehen sie am Montag wieder ins Büro. Mir ist wichtig, ihnen den offenen Silicon Valley-Mindset mitzugeben. Personen, die entscheiden können, haben die Möglichkeit zu öffnen. Für mich ist der Schweizer Mindset zu wenig offen, und es wird zu klein gedacht. Ich wünsche mir mehr Offenheit und die Möglichkeit und Erlaubnis, grösser zu denken. Während ihrem Study Trip in Kalifornien wird den Studierenden bewusst, dass Amerikaner im Silicon Valley diesbezüglich ganz anders vorgehen. Hier fängt man immer zuerst mit einer Vision an und personalisiert und beschreibt diesen Traum. Erst später geht man ins Detail und fängt an, das Produkt auszuarbeiten und zu erklären. Ein weiteres Ziel nach dieser Woche ist, dass die Studierenden einen konkreten Plan haben, was sie mitnehmen und in der Schweiz umsetzen möchten - das heisst «Do it on Monday». Dazu machen wir als Gruppe eine Design Thinking Übung, die hilft die Woche zu verdauen und herauszuschälen, was man gelernt hat. Die Herausforderung bei den Studienreisen ist, dass der Transfer entsteht und wirklich etwas mitgenommen wird ins Tagegeschäft, dass es einen Impact hat.

Der amerikanische Funke soll überspringen.
Gert Christen

Was ist wichtiger: Theorie oder Praxis?

Praxis.

Du warst früh in der Start-up-Szene und hast in Zürich den BlueLion Incubator aufgebaut und das Startzentrum Zürich geleitet. Was hat sich seit damals im Start-up Business verändert und welche Trends und Tendenzen sieht man da im Silicon Valley?

Für mich ging 2019 eine grosse Phase zu Ende. Ich glaube zehn Firmen gingen damals an die Börse: Airbnb, Uber, Salesforce etc. Wenn man das zusammenfasst, kann man sagen, das waren alles «Software as a service»-Firmen. Die Business-Prozesse wurden virtualisiert und z. B. SupplyChain wird mittlerweile im Browser anstatt in einem Datenzentrum gemacht. Für mich war das eine riesige Welle. Es hat revolutioniert, wie wir arbeiten, Ferien buchen etc. Nun ist dieser Zyklus abgeschlossen und man fragt sich «was kommt als Nächstes»? Ich glaube, «Climate Change» ist DIE Chance für die nächste grosse Welle von Innovation. Der Druck, etwas zu ändern, ist riesig und Staaten und Investoren werden viele Gelder dafür einsetzen. Daher könnte ich mir gut vorstellen, dass die nächsten 20 Jahre den Innovationen im Bereich Klima gehören. AI ist auch ein grosses Thema und sehr im Trend, ich bin mir aber noch nicht sicher, wie mächtig es werden kann. Im Silicon Valley redet man von Quantum Computing als nächste revolutionäre Innovation. Wir werden sehen, es bleibt spannend. 

Was machst du in San Francisco, wenn du nicht unterrichtest oder arbeitest?

San Francisco ist zwar etwa doppelt so gross wie Zürich, aber unser Lebensstil hat sich nicht stark verändert. Ich habe angefangen zu joggen. Ich schätze, dass ich 12 Monate im Jahr draussen joggen kann. Es ist sehr eine grüne Stadt. Zudem segle ich kompetitiv. Wer schon in San Francisco war, weiss, dass es immer Wind hat und daher ein super Revier zum Segeln ist.

Man hört immer wieder, dass die Schere zwischen Arm und Reich auch in den USA immer grösser wird. Welches sind die Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA?

Das soziale Auffangnetz ist in den USA nicht so dicht wie in Europa und die Mentalität «the winner takes it all» ist sehr vorherrschend. Angeblich kaufen sich aber auch viele Homeless People mit dem letzten Geld ein Busticket nach Kalifornien, da die Winter hier nicht so kalt sind. Die Amerikaner haben eine starke Spende-Mentalität. In Europa zahlen wir viel Steuern, daher haben wir eine gewisse Erwartungshaltung an den Staat. In den USA ist der Individualismus viel grösser inkl. Mäzenatentum und Spenden. In der Start-up-Szene ist es bspw. gang und gäbe, dass jemand mit einem erfolgreichen Exit sofort in die nächste Start-up-Generation investiert, sei es mit Geld oder Wissen. Die Meinung ist: «Der Staat soll das Minimum machen und den Rest regeln wir individuell.» 

Was vermisst du an der Schweiz?

Meine Freunde. Die 9 Stunden Zeitdifferenz macht die Kommunikation nicht einfacher. Andererseits vermisse ich manchmal auch die Verlässlichkeit. Zum Beispiel haben wir dieses Treffen heute vor Wochen abgemacht, und ich wusste, Burcu ist hier und wird erscheinen. In Amerika kannst du dich nicht darauf verlassen. Da musst du immer 1-2 Tage vorher nachfragen, ob der Termin noch steht. Das kann manchmal ein bisschen anstrengend sein und ich als Schweizer weiss, dass es effizienter ginge. :) 

Als Kind wollte ich …

Pilot werden. Mein Grossvater war Pilot, mein Vater ist auch geflogen, daher wollte ich auch Pilot werden – aber meine Augen liessen es nicht zu. Der Berufsberater in der 8. Klasse meinte zu mir, ich sollte Architekt werden. Ich muss sagen, er hatte eigentlich nicht unrecht. Was ich mein Leben lang tue, sind neue Sachen zu kreieren, strukturieren und bauen – es war zwar nie ein Haus, aber ich habe ein bildliches Vorstellungsvermögen und sehe Konzepte optisch dreidimensional vor mir. 

Welchen Rat würdest du deinem 20-jährigen «Ich» geben?

Ich würde sagen: «Halte zwei Jahre länger durch». Ich habe mich bisher etwa alle 5-7 Jahre beruflich neu erfunden. Damit habe ich viele wertvolle Erfahrungen gemacht und bin sehr zufrieden mit meiner Karriere. Allerdings, da ich nie länger durchhielt, weiss ich nicht, wie sich Sachen noch entwickelt hätten. Bei einigen Jobs hätte es sich gelohnt zu sehen, was noch draus geworden wäre.

Was kannst du überhaupt nicht?

Kochen.

Wem hast du zuletzt ein Kompliment gemacht? Wofür?

Heute Morgen einem Jungunternehmer für das, was er in den letzten zwei Jahren auf die Beine gestellt hat.

Wofür bist du dankbar?

Ich bin dankbar für alle Gelegenheiten, die mir das Leben immer wieder gegeben hat.

Was steht bei dir immer im Kühlschrank?

Wie bei jedem Kalifornier: Avocado, Kale und Hafermilch.

Was würdest du an der HWZ einführen?

Die HWZ hat viele Studierende aus Grossunternehmen. Ich würde einen Match-Making-Service einführen für Personen, die wissen möchten, wie man sich im Umgang mit Grossunternehmen verhält, arbeitet und redet. Für Personen aus dem Corporate-Umfeld ist das selbstverständlich. Das könnte für Leute aus kleineren Unternehmen spannend sein. Die HWZ könnte hier als Brückenbauer fungieren. 

Hwz Kaffeepause Gert Christen Web Beitrag 2023 04 18

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